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Kindertransporte: Flucht vor den Nazis

31. März 2023

Zwischen 1938 und 1939 gelang eine umfangreiche Rettungsaktion meist jüdischer Kinder vor den Nationalsozialisten. Rund 10.000 fanden Schutz. Viele zahlten einen hohen Preis: Sie verloren ihre Familien für immer.

Drei Ausweisdokumente jüdischer Kinder für die Kindertransporte nach England von circa 1939
Die Kinder wurden mit provisorischen Dokumenten ausgestattet auf die Reise geschicktBild: IMAGO/Heritage Images

Zwei Kinder auf der einen Seite, eine Frau mit vier weiteren Kindern auf der anderen – getrennt durch eine tiefe Kluft. Eines der Kinder streckt seine Hand aus, doch die anderen können es nicht sehen. Sie haben sich abgewendet. Zwei versus vier. Die wenigsten Kinder haben überlebt. Eine der zentralen Aussagen des Denkmals "Kindertransport – Der letzte Abschied". 

Das Denkmal "Kindertransport - Der letzte Abschied" hat der Künstler Frank Meisler geschaffenBild: Georg Wendt/dpa/picture alliance

Es steht am Südausgang des Bahnhofs Hamburg-Dammtor und ist den überwiegend jüdischen Kindern gewidmet, die dank zahlreicher Kindertransporte nach Großbritannien zwischen 1938 und 1939 der nationalsozialistischen Verfolgung entgingen - und überlebten. König Charles III. hat dem Denkmal gemeinsam mit seiner Frau Camilla im Zuge seiner Deutschlandreise einen Besuch abgestattet.

Der erste Kindertransport verließ am 1. Dezember 1938 Berlin. Einen Tag später kamen die rund 200 Kinder in Harwich in Großbritannien an. Sie stammten aus einem jüdischen Waisenhaus, das während der Pogrome im November zerstört worden war. Ihnen folgten bis 1940 rund 10.000 überwiegend jüdische Kinder, die so gerettet wurden. Die ältesten waren 17 Jahre alt, die jüngsten nur einige Monate. Offiziell endeten die Kindertransporte am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Ein letzter Transport brach am 14. Mai 1940 von den Niederlanden aus nach Großbritannien auf. Er rettete noch einmal rund 80 Kindern das Leben, die zuvor aus dem "Deutschen Reich" geflohen waren.

Auslöser Reichspogromnacht

Auslöser für die Kindertransporte war die Reichsprogromnacht in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Tausende jüdische Geschäfte und Synagogen waren damals zerstört, Menschen verhaftet, getötet oder in Konzentrationslager gebracht worden. Die ungehemmte antisemitische Gewalt veranlasste vor allem jüdische aber auch einige wenige christliche Organisationen, ihre Rettungsbemühungen zu verstärken. Sie baten Großbritannien um die Aufnahme verfolgter Kinder. Es war eine Zeit, in der viele Länder ihre Einreisebestimmungen für jüdische Flüchtlinge bereits deutlich verschärft und Fluchtmöglichkeiten eingeschränkt hatten.

Die britische Regierung willigte ein, jüdischen Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahren die Einreise zu gewähren – vorausgesetzt, dass sie die Reise selbst bezahlen können. In Großbritannien sollten die Kinder bei Familienangehörigen, in Pflegefamilien oder in Internaten untergebracht werden.

Der britische Premierminister Lord Baldwin appellierte 1938 an die Mitmenschlichkeit der englischen Bevölkerung: "Ich bitte Sie, den Opfern dieser Katastrophe beizustehen, die keine Naturkatastrophe ist […], sondern ein Ausbruch von Unmenschlichkeit von Menschen gegen ihre Mitmenschen."

Für die 10.000 geretteten Kinder bedeutete die Rettung zwar das Überleben. Die meisten aber sahen ihre Eltern, Tanten, Großeltern, Geschwister, die im "Deutschen Reich" oder den überfallenen Ländern Europas zurückblieben, nie wieder.

Bildhauer selbst Überlebender

Einer, der ein solches Schicksal nicht nur nachvollziehen kann, sondern selbst durchlebt hat, ist der Künstler selbst, der die Skulptur in Hamburg schuf. Frank Meisler, 1925 in Danzig geboren und 2018 in Israel gestorben, verließ mit einem der letzten Kindertransporte Ende August 1939 die Freie Stadt Danzig. Nur wenige Tage später überfielen die Nationalsozialisten Polen; Meislers Eltern wurden in Auschwitz ermordet.

Frank Meisler (hier ein Foto von 2008) starb im Jahr 2018 in Jaffa Bild: Mike Wolff/Tagesspiegel/picture-alliance

Bei seiner Rettung kam Meisler wie die meisten Kinder an der Liverpool Street Station in London an. Auch hat Meisler eine Skulptur aufgestellt, die an die Kindertransporte erinnert. Durch Europa hinweg hat Meisler mit seinen Skulpturen den Weg der Kindertransporte nachgezeichnet: In Rotterdam, in Berlin, in Danzig, in London und Hamburg erinnern seine Denkmäler an die geretteten Kinder.

In London am Bahnhof Liverpool Street in London erinnert ebenfalls eine Skulptur an die Kinder, die hier Schutz fandenBild: Ashley Cooper/Global Warming Images/picture alliance

Heute sind die Überlebenden entweder bereits verstorben oder sehr alt. Im Jahr 2019, als sich die Kindertransporte zum 80. Mal jährten, kamen einige Überlebende nach Berlin. Darunter auch Ralph Mollerick. 1938 erreichte er Großbritannien, emigrierte später in die USA. 1942 erfuhr er, dass seine Eltern im Holocaust ermordet worden waren. Lange, erzählte Mollerick der DW damals, habe ihn das Trauma des Verlassenwerdens und des vergeblichen Hoffens, dass seine Eltern noch nachkämen, begleitet. Er habe damals immer gedacht, seine Eltern würden schon noch kommen, aber sie haben es nie getan. "Sie konnten es nicht."

Eine Geschichte von Flucht und Vertreibung

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