Italien: Kino contra Populismus
7. März 2019"Das Private ist politisch" hieß das Motto der Berliner Filmfestspiele 2019. Unter diesem Motto lassen sich auch drei italienischen Filme zusammenfassen, die jetzt auf DVD wieder zugänglich sind und die alle den Spagat zwischen Privatem und Politischem gewagt haben.
"Wenn wir heute sehen, dass in Italien und auch anderswo wieder Nationalisten und Populisten mit hohlen Phrasen und ohne Lösungsansätze salonfähig oder gar mehrheitsfähig geworden sind, dann kann ein Blick zurück in jene Tage, in denen man sich ihrer erfolgreich entledigt hatte, nicht schaden", schreibt der Schweizer Filmpublizist Walter Ruggle im Begleitheft zur DVD-Edition mit den Filmen der italienischen Regisseure Paolo und Vittorio Taviani.
Sie schrieben und inszenierten ihre Filme geradezu symbiotisch
Paolo und Vittorio Taviani gelten als das berühmteste Brüderpaar der Filmgeschichte. In ihren Filmen blickten sie oft in die Vergangenheit, hatten dabei aber auch einen Kommentar zur gegenwärtigen italienischen Politik im Auge.
Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, sie gewannen die Goldene Palme in Cannes (für "Padre Padrone), einen Goldenen Löwen in Venedig für ihr Lebenswerk und 2012 den Goldenen Bären der Berlinale für ihre ungewöhnliche Shakespeare-Adaption "Cäsar muss sterben".
Die Tavianis haben sich in ihren Filmen immer wieder der Geschichte ihres Landes gewidmet, insbesondere dem Italien unter faschistischer Herrschaft. Auch in ihrem letzten gemeinsamen Film haben sie sich wieder diesem Thema gewidmet: "Una questione privata" ("Eine private Angelegenheit", 2017). Die Dreharbeiten begannen sie gemeinsam, doch Paolo musste den Film alleine zu Ende bringen, weil sein älterer Bruder bei einem Autounfall verletzt wurde. 2018 starb Vittorio. Die Welturaufführung des Films hatte ein paar Monate zuvor beim Filmfestival im kanadischen Toronto stattgefunden.
Paolo Taviani: "Der Antifaschismus ist als aktuelles Thema zurück"
Man kann "Una questione privata" als Vermächtnis der Tavianis betrachten. Für den deutschen Zuschauer ist die DVD-Edition mit vier Filmen der beiden Autoren und Regisseure nun von besonderem Interesse, weil "Una questione privata" hierzulande gar nicht in die Kinos kam.
"Der Antifaschismus ist zurück als ein Thema von großer Aktualität", sagte Paolo Taviani angesichts der bestehenden politischen Verhältnisse in seiner Heimat, in der Italiens Innenminister Matteo Salvini die politischen Koordinaten gerade scharf nach rechts justiert. Eigentlich hätten sie nicht mehr damit gerechnet, sich im Kino noch einmal dem Kampf gegen Rechts widmen zu müssen, so Paolo Taviani: "Doch jetzt spürten mein Bruder Vittorio und ich die Dringlichkeit, von den Partisanen und vom Widerstand zu erzählen."
Politisches und Privates vermischen sich bei den Tavianis
"Una questione privata" erzählt vom jungen Milton, der in den letzten Kriegsjahren in den Alpen gegen die italienischen Faschisten kämpft. Die Partisanengruppen sind zersplittert, das Gelände unwegsam, keiner weiß so recht, wie sich die Lage entwickelt. Hinzu kommt die Liebesnot des jungen Mannes. Miltons Erinnerungen werden von der jungen Fulvia beherrscht, einem Mädchen, in das er sich kurz vor Ausbruch der Kämpfe verliebt hat.
Doch Fulvia hatte offensichtlich auch mit Miltons Freund Giorgio angebändelt, was Milton in ein Gefühlschaos stürzt. Auch Giorgio kämpft gegen die Faschisten, in einer anderen Partisanen-Gruppe: Das Private ist politisch - beide Sphären lassen sich nicht trennen in diesem schönen, unspektakulär inszenierten Film.
"Schuhputzer" von Vittorio des Sica
Zum Kino gefunden haben die Tavianis, nachdem sie 1946 Roberto Rossellinis bahnbrechendes neorealistisches Werk "Paisà" gesehen hatten, der im von Deutschen besetzten Italien spielt und als einer der ersten Filme des Neorealismus nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Kinowelt veränderte. Von Italien ging damals eine Art cineastische Befreiung aus, die die Fesseln nationaler Filmpropaganda mit einem Blick auf ungeschminkte Realitäten abzuschütteln wusste.
Neben Roberto Rossellini und Luchino Visconti gehörte der italienische Regisseur Vittorio de Sica zu den Hauptvertretern des Neorealismus. Sein Film "Fahrraddiebe" gilt noch heute als einer der besten Filme aller Zeiten, gewann einen Oscar und den Golden Globe und wurde beim Filmfest in Locarno ausgezeichnet.
Kritischer Blick auf harte Nachkriegswirklichkeit in Italien
Der Film, den de Sica unmittelbar vor "Die Fahrraddiebe" inszenierte, ist heute weniger bekannt, obwohl auch er einen Oscar gewann. "Schuhputzer" (1946) ist jetzt ebenfalls wieder auf DVD zugänglich. Es ist die zu Herzen gehende Geschichte des Bruderpaares Giuseppe und Franco, die im Rom nach der Befreiung durch die Amerikaner vom Arbeiten auf der Straße leben - sie putzen vornehmlich amerikanischen Soldaten die Schuhe.
In einem riesigen Jugendgefängnis spielt sich dann der Großteil der Handlung ab. Die beiden werden von sadistischen Wärtern drangsaliert. "Schuhputzer" ist eine auch heute noch ergreifende Geschichte von Not, Unterdrückung und Willkür. Ein realistischer Blick auf die Welt fernab der italienischer Filmwirklichkeit des populistischen und faschistischen Kinos.
Einen ganz anderen Ansatz des filmischen Widerstands wählte der vor kurzem verstorbene Regisseur Bernardo Bertolucci im Umbruchjahr 1968 für sein Werk "Partner". Bertolucci, den die meisten Kinoliebhaber als Schöpfer großer Epen wie "1900" und "Der letzte Kaiser" sowie des Skandalerfolgs "Der letzte Tango in Paris" kennen, hatte in der Frühphase seiner Karriere ästhetisch zunächst einen ganz anderen Weg eingeschlagen.
Der bekennende Marxist brachte in seinen ersten Filmen ein Weltbild auf die Leinwand, dass nichts mit den schwelgerischen Epen seiner späteren großen Erfolge zu tun hatte.
Mit "Partner" wollte Bertolucci gegen populäre Sehgewohnheiten verstoßen
Am radikalsten geschah das 1968 in "Partner". Der Film kann heute als Ausdruck des Kinos jener Zeit begriffen werden, das sich jeglicher Zuschauer-Identifikation entziehen wollte. Angelehnt an Dostojewskis Roman "Der Doppelgänger" und stark an seinem damaligen filmischen Vorbild Jean-Luc Godard orientiert, "erzählt" Bertolucci von einem jungen Mann, der Morde begeht, sich als Vampir gebiert und politische Parolen verbreitet.
Von einer nachvollziehbaren Handlung kann in "Partner" kaum die Rede sein. Der Regisseur distanzierte sich später von seinem Film: "Partner' war eine als Krankheit durchlebte Erfahrung, ein völlig neurotischer Film, krank und schizophren."
Auch wenn man heute tatsächlich Mühe hat, den inhaltlichen und formalen Spuren von "Partner" zu folgen, ist der Film doch ein typisches Dokument der Zeit: radikal in seiner Denk- und Erzählweise, verwirrend in seiner Struktur, aber auch immer wieder mit überraschenden und berauschenden Bildern. Es ist das frühe Werk eines Regisseurs, der sich später anderen filmischen Kosmen zuwenden sollte, die aber trotz der Zugeständnisse an das kommerzielle Kino eines nie waren: populistisch.
Die Taviani-Box mit den Filmen "Padre Padrone", "Die Nacht von San Lorenzo", "Kaos" und "Und questiona privata" ist ebenso beim Anbieter "Trigon-Film" erschienen wie der Film "Partner" von Bernardo Bertolucci. "Schuhputzer" von Vittorio de Sica liegt beim Anbieter "Pidax Film" auf DVD vor.