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Gesellschaft

Himmel über Berlin

24. Mai 2017

Deutsches Sommermärchen und protestantisches Woodstock: Am Mittwochabend beginnt in Berlin der Deutsche Evangelische Kirchentag. Das Großereignis steht im Zeichen der Reformation und wartet mit jeder Menge Prominenz auf.

Deutschland Vorbereitungen zum 36 evangelischen Kirchentag
Bild: picture alliance/dpa/S. Kembowski

Prominentester Gast unter den rund 140.000  erwarteten Teilnehmern ist Ex-US-Präsident Barack Obama. Wenn er am Donnerstagmorgen mit Bundeskanzlerin und Pfarrerstochter Angela Merkel vor dem Brandenburger Tor über Verantwortung spricht, ist die Botschaft klar: Demokratie braucht Gottvertrauen, Gospel - und Politiker, die predigen können, wie Obama.

Es ist ein Treffen der Superlative: 2500 Veranstaltungen, 30.000 Mitwirkende und Gäste aus der ganzen Welt feiern 500 Jahre Reformation und protestantische Streitkultur. Neben Politstars wie Merkel und Obama predigen, beten, singen und debattieren in Berlin und Wittenberg herausragende geistliche Führungspersönlichkeiten, Philanthropen und Popstars.

Zu den bekanntesten Persönlichkeiten gehören der Erzbischof von Kapstadt, Thabo Makgoba, Sheikh Ahmad al-Tayyeb, Imam der al-Azhar-Moschee in Kairo, Philanthropin Melinda Gates, Sänger und Songwriter Max Giesinger, Klimaforscher Ottmar Edenhofer, UN-Gesandter Staffan de Mistura und der israelische Schriftsteller Amos Oz.

Im Zeichen Martin Luthers: Anlässlich des Reformationsjubiläums findet der Kirchentag in Wittenberg und Berlin statt Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Made in Germany: Kirchentag

Der evangelische Kirchentag, der seit 1949 alle zwei Jahre stattfindet, ist gleichzeitig weltoffen und typisch deutsch. Gegründet wurde er von dem ostpreußischen Politiker Reinold von Thadden-Trieglaff (1891-1976), der während des Nationalsozialismus als Mitglied der Bekennenden Kirche Widerstand leistete und bis 1964 Präsident des Kirchentags war.

"Außer der Bekennenden Kirche hat die evangelische Kirche in großen Teilen keine rühmliche Rolle im Nationalsozialismus gespielt", sagt Kirchentagssprecherin Sirkka Jendis. "Engagierte Laien haben deshalb gesagt, wir müssen ein Forum schaffen, um dazu beizutragen, dass so etwas nicht mehr passieren kann." 

Aus der "evangelischen Woche" 1949 in Hannover erwuchs eine protestantische Laienbewegung, die in bewusster Abgrenzung zur Amtskirche regelmäßige Kirchentage veranstaltete. "Die inhaltliche Breite und öffentliche Relevanz ist einmalig", meint Sprecherin Jendis. Angesichts der zahlreichen Podien rund um das Thema  Flucht, Migration, Krieg, Toleranz und Integration steht für sie fest: "Dieser Kirchentag kann politisch werden."

"Christlicher Realismus"

Protestantische Vordenker und Theologen haben den Kirchentag nicht nur in Deutschland geprägt, sondern ihm auch international Aufmerksamkeit verschafft. Grund für Obamas Besuch auf dem Kirchentag ist deshalb nicht nur das Reformationsjubiläum und Martin Luther.

Der ehemalige US-Präsident fühlt sich dem Protestantismus auch durch die Schriften des deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr verbunden. Niebuhrs "christlicher Realismus", der Gerechtigkeit an der Beachtung des Gemeinwohls festmacht und nationale Überheblichkeit ablehnt, wurde für Obama während seiner Präsidentschaft zur Richtschnur.

In Deutschland prägten Politiker wie der ehemalige Entwicklungsminister Erhard Eppler (SPD) und der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) als ehrenamtliche Kirchentags-Präsidenten das Protestanten-Forum. Eppler war einer der führende Köpfe der Friedensbewegung in den 1980er-Jahren, Weizsäcker (1920-2015) versuchte als Bundespräsident des wiedervereinigten Deutschlands, die Spaltung des Landes zu überwinden.

Streitbare Gäste

Auch die aktuelle politische Führungsriege der Protestanten auf diesem Kirchentag kann sich sehen lassen: Finanzminister Wolfgang Schäuble fragt sich, was Europa zusammenhält. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz diskutiert über Glaubwürdigkeit und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gestaltet den Festgottesdienst in Wittenberg mit.

Innenminister Thomas de Maizière bricht alle Präsenzrekorde und tritt gleich siebenmal auf dem Kirchentag auf, einmal davon gemeinsam mit Großscheich Ahmed al-Tajjib von der al-Azhar-Moschee in Kairo. "Ich finde es großartig, dass er kommt und sich der Diskussion stellt", erklärt de Maizière in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". "Streitbare Gäste wie er sind ein Gewinn für den Kirchentag."

Innenminister Thomas de Mazière wirkt an sieben Veranstaltungen auf dem Kirchentag mitBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

In der Höhle des Löwen

Doch auch die protestantische Streitkultur hat ihre Grenzen. So gab es im Vorfeld heftigen Widerstand gegen die Einladung der 43-jährigen Anette Schultner, Bundessprecherin der "Christen in der AfD". Den Kirchentagsbesuchern will sie erklären, warum ihr Glaube und ihre Mitgliedschaft in der Partei miteinander vereinbar seien.

"Man muss unterschiedliche Positionen aushalten", rechtfertigt Jendis die Einladung. "Wir setzen auf Dialog und haben ein kritisches Publikum". Der Kirchentag biete keine Plattform für Rechtspopulisten, ist sie überzeugt. Jendis: "Es ist genau das Gegenteil der Fall: Frau Schultner wagt sich in die Höhle des Löwen."