Kirchners Kreuzzug
4. Mai 2012Solche Auftritte liebt sie: Ganz in schwarz steht Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner zwischen der blau-weißen Flagge und einem Portrait der Nationalheldin Eva Perón. Ausgewählte Regierungsmitglieder und Vertreter der Parteijugend bejubeln die Präsidentin, bevor sie auch nur ein Wort gesagt hat. Dann hebt Cristina Kirchner die Hand und spricht den Satz aus, auf den die Claqueure warten: YPF, der größte Ölproduzent des Landes, werde aus Gründen des „öffentlichen und nationalen Interesses“ verstaatlicht, der Hauptanteilseigner, der spanische Konzern Repsol, enteignet.
Offiziell verteidigt die argentinische Regierung diesen Paukenschlag mit dem Vorwurf, Repsol, das bisher gut 57 Prozent an YPF hält, kümmere sich seit Jahren mehr um die Interessen seiner Aktionäre als um die Ölförderung, die ständig zurückgehe. Richtig ist daran, dass die von YPF ausgebeuteten Ölquellen langsam, aber sicher zu versiegen drohen, während die Nachfrage in Argentinien steigt. Mit der Folge, dass Argentinien 2011 zum ersten Mal seit 17 Jahren Rohöl importieren musste – für mehr als 9 Milliarden US-Dollar.
Keine Gespräche mit Spanien
Doch schon beim Thema Investitionen beginnen Kirchners Vorwürfe zu bröckeln: Einen umfänglichen Investitionsplan von Repsol hat sie kurzerhand als „ungenügend“ zurückgewiesen, einem Gespräch mit Repsol-Chef Antonio Brufau verweigert sie sich seit Wochen. Im Übrigen war Cristina Kirchner bereits Präsidentin, als YPF gedrängt wurde, argentinische Anteilseigner aufzunehmen. Die waren nicht nur ganz zufällig Freunde der Familie Kirchner. Die neuen Teilhaber finanzierten auch ihr Aktienpaket – immerhin ein Viertel der YPF-Anteile – mit ihren Einnahmen aus den Konzernprofiten. Die Schulden sind bis heute nicht abbezahlt.
Die wahren Gründe für Kirchners Coup liegen woanders: Argentinien braucht Geld. Die Exporte der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas gehen zurück, das Wachstum wird sich in diesem Jahr auf vier Prozent halbieren. Die Inflationsrate soll offiziell unter einem Prozent liegen – der Internationale Währungsfonds geht von 20 Prozent aus. Um Devisen zu sparen, verhängt die Regierung absurde Importsperren – mit der Folge, dass immer mehr Produkte des täglichen Bedarfs nicht mehr zu haben sind.
Private Geldquellen anzapfen
Bei der Suche nach Geld sieht die Regierung Kirchner in der Verstaatlichung ein geeignetes Mittel: Sie kassierte das Vermögen der privaten Rentenkassen, die Devisenreserven der Zentralbank und die Fernseheinnahmen der Fußball-Liga – alles natürlich immer getarnt als patriotischer Akt zum Wohle der Argentinier. Oder, wie es der Politologe Rosendo Fraga ausdrückt: „Frau Kirchner wechselt vom Kapitalismus für Freunde zum Staatskapitalismus“. Und jetzt ist YPF dran, Jahresumsatz 15 Milliarden Dollar und einziger Kandidat für die Ausbeutung gerade entdeckter riesiger Öl- und Gasvorkommen. Die Folgen könnten fatal sein: Potentielle Investoren sind verschreckt. Und der regierungsnahe und einflussreiche Gewerkschaftsboss Oscar Lesano legt noch einmal nach: „Wenn ich mir die momentane Regierungslinie anschaue, dann nehme ich Signale wahr, dass auch andere Konzerne verstaatlicht werden könnten“, sagte er in einem Radiointerview. Bei solchen Aussagen gehen in den Zentralen ausländischer Konzerne die Alarmglocken an.
Die Verstaatlichung von YPF ist aber auch ein Versuch, von eigenen Fehlern in der Energiepolitik abzulenken: Die Verbraucherpreise werden seit Jahren mit Subventionen künstlich unten gehalten. Gleichzeitig werden die Preise der Erzeuger von der Regierung gedeckelt. „Um dieses Defizit auszugleichen, muss man die Regeln auf dem Energiemarkt verbessern“, sagt der argentinische Ökonom Daniel Montamat, der Ende der 90er Jahre selber Energieminister war. Doch eine realistische Preisgestaltung würde vor allem Cristina Kirchners Wählerschaft verprellen – das will die Präsidentin nicht riskieren.
Den Nachbarn im Blick
Stattdessen verweist sie darauf, dass alle lateinamerikanischen Staaten ihre Energiereserven kontrollieren. Kein wirklich stichhaltiges Argument, wie der Blick ins Nachbarland Brasilien zeigt: Der Ölkonzern Petrobras wird zwar vom Staat kontrolliert, kann aber gerade bei der Preisgestaltung frei handeln. So hat Petrobras das Vertrauen der Investoren: „Im brasilianischen Modell sind noch niemals Verträge einfach gebrochen worden. Die Regeln wurden immer respektiert“, sagt Rafael Schechtmann vom Brasilianischen Institut für Infrastruktur in Rio de Janeiro.
YPF wird in den nächsten Jahren 25 Milliarden Dollar an Investitionen brauchen. Die werden jetzt schwer zu finden sein. Und dann wird auch die Begeisterung bei den Anhängern von Cristina Fernández de Kirchner rapide nachlassen.