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Klage Bosnien-Herzegowinas gegen Jugoslawien wegen Völkermord in der Schwebe

6. November 2002

– Verteidigung streitet die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes ab

Sarajevo, 4.11.2002, OSLOBODJENJE, bosn., aus Den Haag

Milosevics Staat versuchte zu beweisen, dass er der Nachfolgestaat der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, SFRJ, ist. Kostunicas Staatsapparat dagegen versucht, die Welt davon zu überzeugen, dass die Bundesrepublik Jugoslawien erst im November 2000 UN-Mitglied geworden ist. Damit möchten die Leute um Kostunica einer finanziellen Katastrophe für ihr Land entrinnen. Milosevic führte der juristischen Abteilung der UN ganze neun Jahre Beweise für die Kontinuität der SFRJ zu. Allerdings beantragte er nie die Aufnahme in die UN, obwohl ihm dies per Resolution auferlegt wurde. Kostunica und seine Regierung beantragten dann die Aufnahme und wurden in Rekordzeit in die UN aufgenommen. Da nun Jugoslawien von zwei ehemaligen Mitgliedern der SFRJ, Kroatien und Bosnien-Herzegowina, verklagt wird, versucht das Verteidigungsteam unter der Leitung des angesehenen Juristen Tibor Varadi, sich von der Last der Klage Bosnien-Herzegowinas zu befreien.

Professor Francis Boyle reichte am 20. März 1993 im Namen von Bosnien und Herzegowina Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (International Court of Justice, ICJ – MD) in Den Haag ein. In der Klageschrift und in ihren Zusätzen wird Jugoslawien beschuldigt, gegen die Genfer Konvention, gegen die UN-Menschenrechtsdeklaration verstoßen zu haben sowie an den Bürgern von Bosnien und Herzegowina ethnische Säuberungen, Mord, Folter, Vergewaltigungen, seelische Grausamkeit begangen zu haben. Es wird Jugoslawien an dieser Stelle noch vorgeworfen, auf Zivilisten mit Granaten und Bomben geschossen zu haben. Weitere Anklagepunkte beziehen sich darauf, dass sich Jugoslawien in die inneren Angelegenheiten von Bosnien und Herzegowina eingemischt und seine staatliche Souveränität untergraben hat. Jugoslawien stellte damals die Zuständigkeit des Gerichtshofes nicht in Abrede. Es verfolgte die Strategie, die Existenz des Staates Bosnien-Herzegowina zu leugnen – ganz im Stil des damaligen Präsidenten Milosevic. Dies war bis zum Mai 1996 für Bosnien-Herzegowina positiv, als nämlich Milosevic seinen Einwand zurücknahm, nach dem eine Anerkennung von Bosnien und Herzegowina angeblich einen Verstoß gegen internationales Recht darstellte.

Durch das Urteil vom 11. Juli 1996 wurde der Klage Bosnien-Herzegowinas stattgegeben. Die Bundesrepublik Jugoslawien beantragte allerdings am 23. April 2001 eine Revision des Urteils. Der Gerichtshof gab dem Antrag statt. Daher findet vom 4. bis zum 7. November eine Anhörung vor dem ICJ statt. Falls der Gerichtshof dem Antrag Jugoslawiens stattgibt und sich nicht für zuständig erklärt, ist dies ein endgültiger und für Bosnien-Herzegowina katastrophaler Beschluss. Denn die Bundesrepublik Jugoslawien behauptet, dass der Gerichtshof für die Klage nicht zuständig sein kann, da sie eingereicht wurde, als dieses Land noch nicht UN-Mitglied war.

Die Strategie von Bosnien und Herzegowina weist aber ähnliche Symptome auf. Wir (Bosnien-Herzegowina – MD) haben es die ganze Zeit verworfen, dass die Bundesrepublik Jugoslawien der Nachfolgestaat der SFRJ ist. Wir erkennen sie lediglich vor dem ICJ an. Daher rührt auch die neue Strategie Varadis und seines Teams. Sie behaupten nämlich, da Jugoslawien vor dem 1. November 2000 kein UN-Mitglied war und erst am 10. Juni 2001 die Völkermordkonvention unterzeichnet hatte, konnte es nicht zu diesem Anklagepunkt 1993 angeklagt werden. Diese Strategie scheint noch gefährlicher als die vorige. Auf diese Weise wird der Versuch unternommen, den Kernpunkt der Rechtsstreits zu umgehen. Denn dabei sollte bewiesen werden, dass Jugoslawien Völkermord in Bosnien-Herzegowina begangen und Reparationen nicht geleistet hat. (md)