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YouTube-Star

Anastassia Boutsko20. November 2013

Die Pianistin Valentina Lisitsa schreibt eine ungewöhnliche Erfolgsstory: Ihre Videos mit Werken von Chopin, Liszt und Rachmaninov werden im Internet millionenfach aufgerufen. Die DW untersucht das Phänomen.

Porträtfoto der blonden Pianistin Valentina Lisitsa mit rot-geschmintkem Mund vor hellbölauem Hintergrund. (Foto: Jemal Countess/Getty Images)
Bild: Getty Images

Die Kölner Philharmonie ist an diesem Abend halb voll. Manch anderer Klavierstar zöge deutlich mehr Publikum in den Prestigesaal. Doch es lohnt sich, genauer hinzusehen: Die üblichen weißhaarigen Philharmonie-Gäste und gut betuchte Abonnenten bleiben an diesem Abend eine rare Spezies.

Stattdessen interessieren sich jüngere Jeansträger, ein Biker-Pärchen, sogar schwarz gekleidete und weiß geschminkte Gruftis für die Klassik. Viele sind mit Blumen gekommen. Etwas unsicher schauen sie sich um. Ein hübscher, sehr junger Mann hat sich prominent in der zweiten Reihe platziert. Mit seinem Smartphone filmt er die groß gewachsene Frau, die mit üppiger blonder Mähne in wallendem, pinkfarbenem Kleid die Bühne betritt: Valentina Lisitsa. YouTube hat sie berühmt gemacht.

YouTube gewinnt

Als 33-jährige Pianistin der russischen Schule - mit amerikanischem Pass, kleinem Kind und stagnierender Karriere - hatte Valentina Lisitsa 2007 ihr erstes Video auf YouTube hochgeladen. Auf einem ziemlich verstimmten Instrument spielte sie eine Rachmaninow-Etüde, gefilmt von einer wackeligen Kamera. "YouTube war damals was ganz Neues. Es waren lauter Piratenvideos drauf. Ich war eine der Ersten, die da überhaupt was Legales einstellte", erinnert sich Valentina im DW-Gespräch. "Ich wollte mein Publikum finden."

Das hat geklappt: Valentinas Popularität im Netz schoss ins Unermessliche. Sie stellte immer neue Videos ein, hatte bald einen eigenen Kanal im Internet. Heute hat sie 120 Tausend Abonnenten, ihre Videos sind weit über 62 Millionen Mal abgerufen worden. "Das sind umgerechnet 50 Tausend Menschen pro Tag. Damit spiele ich täglich vor einem ganzen Fußballstadion. Ohne Internet ginge so was nicht!", schwärmt die Musikerin, deren virtuelle Popularität die Bekanntheit viel berühmterer Kollegen weit übertrifft.

Internet als Hochglanzbroschüre

"Für mich war das Internet nur eine Werbeplattform. YouTube wirkt wie eine Hochglanzbroschüre. Mein Ziel ist es aber, über diese Plattform die Menschen in die Konzertsäle zu bekommen."

So wagte die gefeierte "YouTube-Pianistin" 2012 ihren Sprung "offline" - und spielte vor 5.500 Zuhörern in der Royal Albert Hall in London. Dazu reisten Fans von Valentina Lisitsa aus der ganzen Welt an. Auf der Suche nach einem Protagonisten für einen Bericht der BBC hatte die Pianistin ihre Fans "angetwittert". "Auf meine Anfrage, wer sich von der BBC interviewen lassen würde, haben sich 138 Personen aus 30 Ländern gemeldet - darunter auch so exotische wie Granada. Nicht schlecht, oder?", schwärmt die Musikerin von der Reiselust ihrer Verehrer.

Valentinas Ziel: Das Konzert als einmaliges ErlebnisBild: Andrew Cowie/AFP/GettyImages

Wer einmal ein Live-Konzert erlebt habe, werde zum Wiederholungstäter, meint die Pianistin. "Nichts auf der Welt ersetzt das Erlebnis eines Live-Konzerts! Die Musik entsteht in jenem magischen Moment, wenn es in der Halle still wird und mein Publikum und ich gemeinsam in eine ganz andere Dimension reisen."

Klassik der Zukunft

Mancher Beobachter der Szene glaubt, im "Phänomen Lisitsa" den Klassik-Fan der Zukunft zu erkennen: Höchst individuell im Hörverhalten, informationssuchend, aber skeptisch gegenüber Werbemaschen der Musikindustrie. Neuigkeiten über "die russische Pianistin mit Seele", wie einer der Fans Valentina Lisitsa im Netz charakterisiert, verbreiteten sich ausschließlich über soziale Netzwerke.

Inzwischen versucht nun auch die Musikindustrie auf der Erfolgswelle zu surfen, vermarktet die heute Vierzigjährige als "neugeborenen Star". Ein Armutszeugnis, dass ihre Experten die charmante, geistreiche und technisch perfekte Musikerin nicht schon viel früher entdeckte.

Auf ihrer jüngsten CD spielt Valentina Lisitsa LisztBild: Decca

Damit ist das "Phänomen Lisitsa" aber nicht nur eine ungewöhnliche Erfolgsstory, sondern auch eine Ermutigung für viele neue Künstler, die entdeckt werden sollten: Der Weg der YouTube-Pianistin über das weltweite Netz lässt viele hervorragende Musiker aus Osteuropa und China hoffen, sich selbst auch einmal über das Internet in die Herzen potentieller Hörer und ins Bewusstsein möglicher Geschäftspartner zu spielen.

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