Töpfer: "Trumps Politik ist provokant"
14. Juni 2017Deutsche Welle: War der Erdgipfel vom 3. bis 14. Juni 1992 in Rio de Janeiro ein Meilenstein für den Klimaschutz oder ist das aus heutiger Sicht überbewertet?
Klaus Töpfer: Es war eine Großveranstaltung der Vereinten Nationen, die Umwelt und Entwicklung miteinander verknüpft hat. Sie hat uns zum Kernpunkt unserer heutigen Umweltpolitik geführt, nämlich der nachhaltigen Entwicklung. In dieser Beziehung war die Konferenz sicherlich ein Meilenstein. In Rio wurde die UN-Klimarahmenkonvention verabschiedet, also das Grundgesetz der Klimapolitik. Sie ist kurz danach in Kraft getreten - und zwar mit den US-Amerikanern.
Ist dieser in Rio eingeleitete Kurswechsel nicht ein Scheinsieg? Was nützt es, wenn Autos umweltfreundlicher werden, aber die Kohlendioxid-Emissionen trotzdem zunehmen, weil der Verkehr insgesamt rasant wächst?
Die wirtschaftliche Entwicklung kann angesichts des Bevölkerungswachstums nicht stagnieren. Im Jahr 2050 werden wir neun Milliarden Menschen sein, 1938, als ich geboren wurde, gab es 3,7 Milliarden Menschen auf der Erde. Ich war acht Jahre lang Leiter des UN-Umweltprogramms in Nairobi und habe mit eigenen Augen gesehen, dass wir Armut überwinden müssen, wenn wir Stabilität in dieser Welt haben wollen. Und das ist ein ureigenes Anliegen von uns, denn die Menschen, die sich nicht aus der Armutsfalle befreien können, werden sich aufmachen in Gegenden, wo ihrer Ansicht nach Milch und Honig fließen, und das ist Europa.
Verfügt die UN-Klimakonvention, die in Rio verabschiedet wurde, über effektive Mechanismen zur Umsetzung?
Wir brauchen auf jeden Fall weitergehende Maßnahmen. Das beginnt mit der Finanzierung eines solchen Wandels. Für die Entwicklungsländer ist es sehr schnell einsichtig, dass sie nicht auf Kosten des Klimas Energie erzeugen können. Der wichtigste Beitrag, den Deutschland für den Klimaschutz geleistet hat, ist, dass erneuerbare Energien mittlerweile wettbewerbsfähig sind. Es kann jetzt eben in vielen Ländern Afrikas wirtschaftliche Entwicklung mit der dafür notwendigen Energie gemacht werden, ohne dass das Klima dadurch belastet wird.
"Nicht blockieren lassen"
1992 betrug der Umfang der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit 0,36 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), heute sind es 0,7 Prozent. Ist das ein Erfolg von Rio?
Es ist gut und richtig, dass wir jetzt diese 0,7 Prozent erreicht haben. Und es ist wirklich provokant, wenn der Präsident der USA permanent darauf dringt, dass wir zwei Prozent des BIP für die militärische Verteidigung ausgeben müssen, und nicht einmal erwähnt, dass die wirklich vorsorgende Friedenspolitik darin besteht, dass wir Entwicklungszusammenarbeit ermöglichen!
Die USA haben zwar die Klimarahmenkonvention in Rio unterzeichnet, nicht aber die Konvention zum Schutz der Artenvielfalt. Hat die umweltpolitische Blockadehaltung in Washington Tradition?
Es gibt sehr viele Belege dafür, dass eine rechtlich bindende Vereinbarung für die USA extrem schwer durchzusetzen ist. Das betrifft die Konvention für Artenvielfalt und das trifft auch auf viele andere Bereiche zu. Wir müssen alles daran setzen, dass wir uns nicht dadurch blockieren lassen, dass andere blockieren. Wenn andere nicht mitmachen, die Aufgabe aber weiterhin besteht, dann müssen wir umso mehr unternehmen, damit es auch möglich wird. Das ist meine feste Überzeugung.
"Kampagne gegen Aufklärung"
"Ökobusiness is Big Business", so lautete damals in Rio das Ergebnis einer Weltbank-Studie. Gilt die These noch?
Natürlich gilt das noch! In einer Welt mit neun Milliarden Menschen kann man sich keine Technik leisten, die auf Kosten der Zukunft geht. Deswegen ist es ein großes Problem, dass in den USA eine Art neue Kampagne gegen Aufklärung existiert und die Wissenschaft in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten ist. Ich halte das für ein sehr großes und gefährliches Risiko.
Wo ist der Nachholbedarf im Klimaschutz größer, in China oder in den USA?
In China geht es nicht nur um Kohlendioxid-Emissionen sondern auch um Luftreinheit in den Städten. Die Regierung in Peking weiß, dass sie langsam an einem Punkt angelangt ist, wo die Menschen nicht nur auf das Wachstum gucken. Es geht um die damit verbundenen negativen Konsequenzen für ihre Lebensumstände, eben die Luftbelastung und den Smog. Deswegen wächst in China die Bedeutung der Elektro-Mobilität.
"America first" - ein Kardinalfehler
Sind die Vereinten Nationen im Zeitalter von Donald Trump das richtige Forum für internationale Umweltpolitik oder braucht es andere Plattformen, die auch ohne Konsens etwas vorantreiben können?
Nein, es gibt keinen Ersatz für das, was die Vereinten Nationen als Verpflichtung zu tun haben. Das schließt nicht aus, dass in Gruppen wie der G20, die ja in wenigen Tagen in Hamburg zusammenkommen, unterstützende Maßnahmen beschlossen werden. Es gibt viele zusätzliche Gruppen, zum Beispiel die EU, die G7 und viele Bundesstaaten in den USA. Kalifornien ist zum Beispiel ein Taktgeber für Klimapolitik. Die UN sind nicht allein, aber sie sind das einzige Forum, in dem die Vielfalt von 194 Staaten zusammenkommen kann und wo sich Staaten wechselseitig in der Verpflichtung sehen. Das ist extrem schwer, und viele sind gerade dabei, aus diesem Schema auszubrechen: Trumps Devise "America first" ist dafür ein Beispiel und der Brexit.
Auch in Frankreich und in Deutschland gibt es Bewegungen, die meinen, es reicht, für sich selbst zu sorgen und nicht für andere. Diese Einstellung ist ein Kardinalfehler. Gerade jetzt brauchen wir globale Umwelt- und Klimaschutzpolitik.
Wie fällt Ihre persönliche Bilanz nach 25 Jahren Rio aus?
Ich bin der Meinung, dass es in den Jahren, die ich mitgestalten konnte, möglich gewesen ist, Klimaschutz zu einer globalen Herausforderung zu machen. Als ich 1987 als Umweltminister anfing, gab es den Begriff Umweltpolitik noch gar nicht. Klimapolitik war gänzlich unbekannt. Erneuerbare Energien wurden, wenn überhaupt, belächelt. Aber das als meine persönliche Bilanz anzusehen, das wäre etwas vermessen. Mit 79 Jahren ist man nicht mehr in der Lage zu sagen, damals warst Du aber ein toller Bursche. Gott sei Dank nicht!
Klaus Töpfer, 79, ist einer der bekanntesten deutschen Umwelt- und Klimaschutzexperten. Beim Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 trug er als Bundesumweltminister entscheidend zur Entstehung der UN-Klimakonvention bei. Von 1998 bis 2005 war er Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms in Nairobi. 2009 gründete er das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Heute arbeitet er für den Think Tank TMG in Berlin.
Das Gespräch führte Astrid Prange de Oliveira.