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Politik

Vom Container-Kapitän zum Lebensretter

Vanessa Cotterell
16. Oktober 2016

Vor ein paar Jahren steuerte Klaus Vogel Containerschiffe. Seit Februar rettet er mit der "Aquarius" vor der nordafrikanischen Küste Flüchtlinge aus Seenot. Dafür hat er den Europäischen Bürgerpreis erhalten.

Hilfe in letzter Sekunde
Bild: SOS Mediterranee/P.Bar

DW: Seit acht Monaten ist Ihr Rettungsschiff vor der Küste Libyens im Einsatz. Sie koordinieren die Rettungsarbeiten und übernehmen auch selbst das Steuer. Wie hat Sie diese Arbeit geprägt?

Klaus Vogel: Ich habe die ersten Rettungsoperationen Ende Februar geleitet und ich muss sagen, dass mich hierbei am stärksten die Begegnung mit den Menschen verändert hat, die in Lebensgefahr sind und Todesangst haben. Das kann man sich vorher gar nicht vorstellen. Das verändert etwas in einem. Und es ist mir und allen klar, die mit mir hier arbeiten, dass wir die Pflicht haben diesen Menschen weiterhin zu helfen und sie zu retten, so gut wir können. Darüber hinaus sehe ich es auch als unsere Pflicht, auf die Lage in Libyen hinzuweisen, wo die Menschen sich in erschütternden und lebensgefährlichen Situationen befinden. Diese Menschen werden dort gefangen genommen, gefoltert, vergewaltigt. Gerade das ist in Europa viel zu wenig bekannt.

Europa diskutiert derzeit, statt zu helfen. Und politisch geht es vor allem darum, wie viele Menschen überhaupt aufgenommen werden können oder ob man nicht manche zurück schicken soll. Lässt Sie das verzweifeln oder schöpfen Sie noch Hoffnung aus ihrer Arbeit?

Ich bin tatsächlich erschüttert darüber, wie sich die Diskussion im vergangenen Jahr in Europa entwickelt hat. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass diese Menschen, die so diskutieren, die Lage dort einfach nicht kennen und keine Vorstellung von ihr haben. Ich habe aber auch die Hoffnung, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, dass die Menschen das besser verstehen. Wir bieten denjenigen an, die Zweifel haben, einfach mitzukommen und diese Erfahrung selbst zu machen.

Kapitän Klaus Vogel braucht 11.000 Euro pro Tag, um Flüchtlinge im Mittelmeer zu rettenBild: SOS Mediterranee/P.Bar

Und ich würde gerne Entscheidungsträger aus Europa auf unserem Schiff mitnehmen. Wenn die das einmal sehen, was wir dort täglich erleben, dann würden sie ihre Meinung ändern. So wie der Erste Offizier aus der Ukraine, der zu unserer Besatzung gehört.  Für ihn war es zu Beginn einfach nur sein Job, dieses Schiff mit uns von A nach B zu fahren. Und obwohl er am Anfang diese ganze Rettungsoperation überhaupt nicht verstanden und Angst vor den Flüchtlingen hatte, ist er inzwischen einer unserer stärksten Unterstützer geworden.

Mal angenommen wir setzen Angela Merkel oder einen beliebigen anderen europäischen Entscheidungsträger mit Ihnen auf das Schiff. Welche Menschen würde sie dort kennenlernen?

Sie würde Menschen kennenlernen, die sich über Monate, teilweise Jahre hinweg in Lebensgefahr befunden haben, die keinen anderen Ausweg gesehen haben als diesen Weg zu gehen. Das sind Menschen, die in Libyen das Schlimmste erlebt haben, was man sich nur vorstellen kann. Sie haben am Ende alles auf eine Karte gesetzt haben und das Wagnis auf sich genommen, sich in einem kleinen Schlauchboot auf hohe See zu begeben. Zudem können diese Männer, Frauen und Kinder meist nicht schwimmen. Wer diese Menschen so sieht, würde verstehen, dass wir einen anderen Weg finden müssen, damit diese Menschen zu uns kommen anstatt dieses lebensgefährliche Risiko auf sich zu nehmen. Wir müssen unsere Grenzen offen halten für Menschen, die flüchten und in Not sind.

Ein anderer Ansatz der EU ist inzwischen, gegen Schlepper im Mittelmeer vorzugehen. Ist das der richtige Weg?

Auf den Flüchtlingsbooten, die wir bergen, befinden sich keine Schlepper. Die Schlepper sind  im Hinterland, die sind in Libyen, oder auch in anderen Ländern. Das heißt, um die Schlepper zu bekämpfen, müsste man andere Möglichkeiten für die Menschen schaffen. Wenn wir legale Wege schaffen, damit die Menschen sich nicht in diese Lebensgefahr begeben müssen, dann müssen sie sich auch nicht in die Hände von Schmugglern begeben und über Libyen reisen, wo sie in Lebensgefahr sind.

Je mehr wir uns also öffnen, desto weniger gefährliche Schmuggler wird es geben. Aber wir müssen in Europa grundsätzlich bereit sein, Menschen aufzunehmen. Und sei es nur, um sie anzuhören und berichten zu lassen, was sie erlebt haben und ihren Wunsch nach Asyl zu prüfen.

Klaus Vogel wirbt derzeit in Europa um weitere Unterstützung. Sein Verein braucht 11.000 Euro am Tag, um die Aquarius weiter zur Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen einzusetzen. 

Das Gespräch führte Vanessa Cotterell.