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"Kleine Sehnsucht Korea"

Esther Felden16. Dezember 2013

Rund 18.000 südkoreanische Gastarbeiter kamen zwischen 1963 und 1977 nach Deutschland. Eigentlich sollten sie nur ein paar Jahre bleiben, doch viele sind noch immer hier. Zwei von ihnen erzählen ihre Geschichte.

Porträt einer südkoreanischen Krankenschwester neben einem Krankenhausbett (Foto: Kim Sperling)
60 Jahre koreanische Gastarbeiter in DeutschlandBild: Kim Sperling

Jin-bok Kim strahlt über das ganze Gesicht, wenn er berichtet, wie er sich seinen Lebenstraum erfüllt hat: den Traum, sich als Taxifahrer selbstständig zu machen. Nachdem er es geschafft hatte, arbeitete er 30 Jahre in diesem Beruf. "In der Zeit habe ich 200.000 Fahrgäste befördert und zwei Millionen Kilometer auf Berliner Straßen zurückgelegt", erzählt er stolz. Kim hat einen weiten Weg hinter sich, nicht nur geografisch. Denn sein Werdegang verlief über Umwege. 

Als Jin-bok Kim 1970 nach Deutschland kam, war er Mitte Zwanzig. "Eines Tages habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Bundesrepublik Deutschland Bergarbeiter sucht. Das war für mich die Gelegenheit, ins Ausland zu gehen." Kim war nicht der Einzige und auch nicht der Erste, der so nach Deutschland gelangte. Insgesamt etwa 8.000 südkoreanische Männer reisten in die Bundesrepublik ein - als Botschafter ihres Landes und im Rahmen des "Programms zur vorübergehenden Beschäftigung von koreanischen Bergarbeitern im westdeutschen Steinkohlebergbau". Am 16. Dezember 1963 hatten beide Länder ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Ausgestattet mit einem Dreijahres-Vertrag sollten die Südkoreaner an der Seite der deutschen Kumpels arbeiten. Danach sollte es zurück in die Heimat gehen. 

Erwünscht – aber nur auf Zeit

In Deutschland wirklich Fuß fassen sollten die Männer nicht, eine tatsächliche Integration war weder angedacht noch erwünscht. Sie lebten weitgehend unter sich, sprachen koreanisch, lebten ein koreanisches Leben in der Fremde. Und: Echte Bergarbeiter waren die meisten auch nicht. Im Gegenteil. Viele hatten als Angestellte gearbeitet, hatten das Abitur oder sogar einen Hochschulabschluss. Und genau deswegen hatte die Regierung in Seoul sie auch ausgesucht: Die gebildeten Männer sollten ein Aushängeschild für Korea sein. Die harte körperliche Arbeit unter Tage fiel den koreanischen Bergleuten schwer. Dennoch wollten viele nach  Ablauf ihres Vertrags nicht zurück in die Heimat sondern versuchten zu bleiben. Das ging – beispielsweise durch eine Umschulung oder durch Heirat.

Kim Jin-Bok arbeitete drei Jahre in einer Zeche in Castrop-RauxelBild: Herlinde Koelbl

Genauso machte es auch der ursprünglich in der koreanischen Bauernbewegung aktive Jin-Bok Kim. Um nicht gehen zu müssen, absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger, war danach mehrere Jahre in diesem Job tätig. "Ich war ja nie ein waschechter Bergmann", sagt er lächelnd.

Verstärkung für deutsche Krankenhäuser

Zeitgleich mit den Bergarbeitern kamen auch rund 10.000 südkoreanische Frauen in die Bundesrepublik. Auch sie waren als Arbeitskräfte hoch willkommen: Deutschland brauchte dringend gut ausgebildete Krankenschwestern. Und junge südkoreanische Frauen sahen eine Chance, der Armut und Perspektivlosigkeit in ihrer noch durch die japanische Kolonialzeit und den Koreakrieg gebeutelten Heimat zu entfliehen.

Koreanische Krankenschwestern bei ihrer Ankunft 1966 in Köln/BonnBild: Verein der nach Deutschland entsandten Bergleute und Krankenschwestern und Professor Kwon

Aus diesem Grund zog es auch Joung-sook Autenrieth in die Ferne. Mit 18 Jahren wanderte sie 1972 aus. "Ich hatte gerade mein Examen als Krankenschwester in der Tasche und wollte unbedingt weiter lernen und studieren", erinnert sie sich. In ihrer Heimat wäre das finanziell nicht möglich gewesen. Nach dem Tod des Vaters war die Mutter Alleinverdienerin und musste neben der Tochter auch noch drei Söhne unterstützen. "Als sich die Chance bot, habe ich sie deshalb sofort ergriffen." 

Deutsch mit koreanischen Wurzeln

Die erste Zeit sei schwer gewesen, erinnert sich Jin-bok Kim. "Als Bergmann habe ich in einem Heim gelebt und hatte kaum Kontakte." Deutsch gelernt habe er dann vor allem auf der Straße, im Laufe der Zeit. Ganz ähnlich ging es Joung-sook Autenrieth, die nach ihrer Ausreise aus Korea zunächst für drei Jahre als Schwester in einem Krankenhaus im westfälischen Bad Oeynhausen arbeitete. "Ich kam damals mit sechs anderen Koreanerinnen an. Wir waren im Schwesternwohnheim untergebracht, und nach der Arbeit haben wir gemeinsam koreanisch gekocht oder zusammen gesungen." Deutsch habe sie in der ersten Zeit kaum gelernt, erst nach ungefähr einem Jahr sei sie in der Lage gewesen, sich einigermaßen zu verständigen. "Aber unsere Arbeit bestand zu einem Großteil aus Tätigkeiten, die man ohne Sprache verrichten konnte. Beispielsweise Spritzen geben." 

Koreanische Krankenschwestern hatten hierzulande einen guten Ruf. Sie galten als fachlich kompetent, freundlich und bescheiden. Und deshalb sollten sie die Möglichkeit erhalten, zu bleiben. Auch wenn den südkoreanischen Arbeitern von Seiten der deutschen Regierung erst Jahre später ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zugesprochen wurde, hatte Joung-sook Autenrieth nach Ablauf des Dreijahresvertrags keine Probleme, in Berlin eine neue Stelle zu finden. Neben der Arbeit holte sie ihr Abitur nach und finanzierte sich dann selbst ein Medizinstudium. Im Krankenhaus lernte sie Mitte der 70er Jahre ihren Mann kennen, einen Deutschen. Gemeinsam haben sie eine Tochter, auch sie studiert Medizin. Durch die Familie sei sie seit Jahrzehnten fast ausschließlich mit Deutschen zusammen, sagt die heute 59jährige Allgemeinmedizinerin Autenrieth - ohne Bedauern in der Stimme. "Ich habe zwei Drittel meines Lebens in Deutschland verbracht und fühle mich mittlerweile eher deutsch. Deutsch mit koreanischen Wurzeln. Korea ist mir eher als kleine Sehnsucht geblieben. Mein Lebensmittelpunkt ist hier." Natürlich habe es anfangs Momente gegeben, in denen sie geweint und sich gefragt habe, was sie hier eigentlich mache, aber das sei vorbei. "Ich bin längst angekommen." Auch ihr Zuhause ist komplett deutsch eingerichtet. Allerdings: Autenrieth liest gern koreanische Romane, hört in ihrer Freizeit koreanische Musik und besucht gern ihre Verwandtschaft in der Heimat. 

Im Herzen immer Koreaner

Auch Jin-bok Kim reist regelmäßig nach Südkorea. Aber auch er kann sich nicht vorstellen, dorthin zurückzukehren, obwohl er manchmal Heimweh hat. "Ja, ich vermisse Korea schon", gibt er zu. Anders als Joung-sook Autenrieth hat er auch eine Koreanerin geheiratet: eine Krankenschwester. Drei Kinder hat Kim, der älteste Sohn arbeitet als Ingenieur, die anderen beiden studieren noch. Damit sind sie keine Ausnahme. Im Gegenteil. Bildung spielt für die in Deutschland lebenden Südkoreaner eine wichtige Rolle. Etwa die Hälfte der ehemaligen Gastarbeiter entschied sich, dauerhaft in der Bundesrepublik zu bleiben - und mehr als 70 Prozent ihrer mittlerweile erwachsenen Kinder haben mindestens das Abitur. Wohl nicht zuletzt aufgrund des hohen Bildungsstandards werden Südkoreaner  immer wieder als Musterschüler in Sachen Integration genannt.

1963 kamen die ersten südkoreanischen Bergarbeiter nach DeutschlandBild: Verein der nach Deutschland entsandten Bergleute und Krankenschwestern und Professor Kwon

Als Musterschüler bezeichnet Jin-bok Kim sich selbst nicht. Der ehemalige Bergarbeiter, Krankenpfleger und Taxifahrer wirkt eher wie ein vor Tatendrang und Optimismus sprühender Lebenskünstler. Mittlerweile in Rente, kümmert er sich mit Hingabe um seinen 900 Quadratmeter großen Garten, in dem er koreanische Bäume gepflanzt hat. Er selbst nennt sich einfach Weltbürger. Andere haben dagegen mehr Schwierigkeiten, ihn einzuordnen, erzählt er. "Koreaner sagen immer zu mir, ich sei sehr deutsch geworden. Und Deutsche bezeichnen mich als typischen Koreaner."  Jin-bok Kim lacht laut. "Am Ende haben beide Recht."

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