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Kleine Volksabstimmung über Merkel

Volker Wagener8. März 2016

Es sind nur Landtagswahlen. Doch es geht um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Verliert die CDU und etabliert sich die rechtspopulistische AfD, ist Merkels politisches Ende nah. Die Provinz entscheidet.

EU-Gipfel: Pressekonferenz Angela Merkel
Bild: dpa/OLIVIER HOSLET

Zum Beispiel Ellwangen im Osten Baden-Württembergs: Knapp 25.000 Einwohner, fast keine Arbeitslosigkeit, viele Mittelständler, eine wohlhabende Kommune. Hier ist die CDU eine Macht. Noch. Ende 2014 machte die Kreisstadt Schlagzeilen, als sie sich bereit erklärte, bis zu tausend Flüchtlinge aufzunehmen. Ellwangen wurde berühmt für seine Willkommenskultur. Doch es kamen weit mehr als geplant. Im Sommer 2015 waren es schon rund 4.600 Menschen.

Die freundliche Stimmung kippte. Größere Massenschlägereien in den Sammelunterkünften sorgten für Unruhe. Und am Sonntag wird gewählt. Gibt es ein anderes Thema als die Flüchtlingspolitik Angela Merkels?

Rund 12,6 Millionen Wahlberechtigte dürfen in den drei Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März abstimmen. Nie zuvor war das Gewicht der Stimmen aus der Provinz bundespolitisch so bedeutungsvoll. Klassische Länderthemen wie Bildungsfragen oder Polizeiangelegenheiten stehen klar im Schatten der großen Flüchtlingspolitik.

Verrückt - Linke und Grüne applaudieren Kanzlerin

Doch Merkels kategorisches Festhalten am Prinzip der offenen Grenzen ("Wir schaffen das!") chaotisiert seit Monaten die klassischen Schlachtordnungen des politischen Schlagabtauschs. Große Teile der Opposition spenden Merkel Beifall für ihre Politik der offenen Tür. Demgegenüber steht rund ein Drittel der Union in offener Frontstellung gegen die eigene Vorsitzende. Eine verkehrte Welt.

Und es gibt Profiteure dieser gesellschaftlichen Zerreißprobe, wie die AfD, die Alternative für Deutschland. Wohl noch nie zuvor in der bundesrepublikanischen Parteiengeschichte ist eine politische Organisation mit so wenig eigenem Zutun so schnell so groß geworden wie die AfD. Allein das Schüren von Ängsten beim sogenannten besorgten Bürger gegenüber den Flüchtlingen hat die Partei-Neugründung innerhalb von Monaten erstarken lassen. Demoskopen sehen die AfD, die schon in fünf Landesparlamenten vertreten ist, bei deutlich mehr als zehn Prozent in allen drei Bundesländern, in denen nun gewählt wird.

Die politische Front gegen Merkels Flüchtlingspolitik wird vor allem von Pegida und AfD angeführt.Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Angst vor Veränderung

Nirgendwo ist die Irritation über die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland größer als im Osten des Landes. Soziologen und Demoskopen sind sich einig: Die permanente Veränderung nach dem Mauerfall 1989 hat die Menschen in einem Maße in Atem gehalten, dass jede Form von Wandel als Zumutung empfunden wird. Reiner Haseloff, der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt mit weniger als zwei Millionen Wahlberechtigten, ist unter dem Eindruck des Flüchtlingszustroms deutlich nach rechts gerückt.

Teile des CDU-Landesverbandes ("Konservativer Kreis") halten Merkels Flüchtlingspolitik für "völlig gescheitert". Mehr als 12.000 Menschen könne sein Land pro Jahr nicht integrieren, so Haseloff. Tatsächlich sind, so der Flüchtlingsrat des Landes, bis Ende 2015 über 41.000 Flüchtlinge angekommen. Rund ein Drittel von diesen ist allerdings weitergereist.

Die AfD wird die Koalitionskonstellationen in den Ländern und vermutlich auch in Berlin verändern, da sind sich Politologen sicher. Was auch an der mittlerweile chronischen Schwäche der SPD liegt. Um in den Ländern und im Bund zukünftig regieren zu können, müssen in Zeiten der AfD mitunter drei Parteien ein Bündnis bilden, um eine Regierungs-Mehrheit zu bekommen und die Rechtspopulisten von den Staatskanzleien fern zu halten.

Dilemma der CDU im Südwesten: der präsidiale Kretschmann

Er bete jeden Tag für Angela Merkel, diktierte Winfried Kretschmann ohne Wenn und Aber in die Mikrofone. Keine überraschende Aussage für einen praktizierenden Katholiken, wohl aber für den Ministerpräsidenten einer konkurrierenden Partei. Kretschmann (67) ist soziologisch gesehen der etwas andere Grüne. Er ist Realpolitiker durch und durch.

Der etwas andere Grüne: Winfried Kretschmann punktet im Lager der Konservativen.Bild: picture-alliance/dpa/F. Kästle

Im CDU-Stammland Baden-Württemberg, der emotionalen Heimat der Union, kommt der wertkonservative Gymnasiallehrer (Chemie, Biologie, Ethik) so gut an, dass er weit über die grüne Klientel hinaus bei schwarzen und roten Stammwählerschichten punktet. Kurz: Trotz seiner kommunistischen Vergangenheit als Student ("war ein fundamentaler Irrtum") regiert Kretschmann seit fünf Jahren geradezu präsidial. Es ist so, als hätte das Land mit Kretschmanns Grünen eine neue CDU.

Was Angela Merkel als CDU-Chefin trotz Kretschmanns Sympathie zu ihrer Flüchtlingspolitik nicht gefallen kann: der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands hat bewiesen, dass die Grünen ein Bundesland regieren können. Noch dazu das Parade-Industrieland Baden-Württemberg. Das schmälert die Chancen der Südwest-CDU am 13. März zusätzlich. Ist doch Merkels Flüchtlingspolitik spätestens seit Herbst unter Beschuss, und zwar vornehmlich aus den eigenen Reihen. Es droht eine Abstrafung der einst konkurrenzlosen Union in ihrem Stammland. Auch deshalb, weil mit Guido Wolf (54) ein nur mäßig populärer Herausforderer der Union gegen Kretschmann antritt. Ein gravierender Malus.

Will loyal sein und attackiert: Julia Klöckner kann Merkel beerben

Für Parteifreundin Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz ist die Ausgangslage völlig anders. Den Spagat zwischen demonstrativer Loyalität zu Angela Merkel und kontrollierter Attacke gegenüber der Berliner Flüchtlingspolitik beherrscht in der Union niemand besser als sie. Die 43-jährige Winzertochter ist eine Meisterin der "Sowohl-als-auch-Politik". Klöckner gilt als Ziehtochter der Kanzlerin. Seit 2012 ist sie eine von Merkels Stellvertreterinnen in der Union.

Jongliert zwischen Merkel-Treue und Kritik an der Flüchtlingspolitik: Julia Klöckner.Bild: Reuters/W. Rattay

Schon 2014 hat sie erkannt, dass das Flüchtlingsthema von Dauer und Brisanz sein wird. Jedenfalls mitentscheidend darüber, wie am 13. März die Bevölkerung votieren wird. Seitdem macht sie Wahlkampf mit dem Flüchtlingsthema. Klöckner schafft es einerseits, wie eine Kritikerin der Merkel-Politik zu klingen und damit den besorgten Bürgern zu signalisieren, dass sie deren Sorgen ernst nimmt. Andererseits steht sie verbal treu zur Kanzlerin und unterstützt deren Plan nach einer europäischen Flüchtlingspolitik.

Klöckner könnte nach insgesamt schwachen Ergebnissen für die Union in den drei Bundesländern die Siegerin des Abends werden. Dann nämlich, wenn sie in Rheinland-Pfalz eine Koalitionsregierung unter ihrer Führung bilden könnte und Angela Merkel gleichzeitig ihren Rückhalt in Bevölkerung und Partei verlöre. In der bis auf Wolfgang Schäuble personell nahezu entkernten Union käme man an Julia Klöckner kaum noch vorbei. Andererseits: Verliert Merkels Union nur mäßig in den drei Ländern, bestehen gute Chancen, Koalitionen unter Führung der CDU zu bilden.

Es wäre in bedrängter Situation der größtmögliche Erfolg für die Bundeskanzlerin. Und in Berlin würde sich mittelfristig gar nichts ändern.