Kleinkrieg vor dem Münchner Gericht
15. Mai 2013Manfred Götzl, der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess und Wolfang Heer, Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe, werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Zu oft und zu heftig geraten sie im Prozess laut und wortgewaltig aneinander.
Heer sagt: "Ich bitte um das Wort, Herr Vorsitzender." So fängt an diesem Mittwoch (15.05.2013), am dritten Verhandlungstag des Prozesses, ein zunächst harmlos wirkender Dialog zwischen den Beiden an. "Ja, wozu denn?", entgegnet Götzl. "Das werde ich Ihnen sagen, sobald Sie mir das Wort erteilen", antwortet Heer. "Ich will Ihnen ja das Wort erteilen, aber vorher wissen, worum es denn geht", wiederholt sich Götzl. Heer, nun sichtlich erregt, beharrt auf seinem Standpunkt: "Ich bestehe darauf, jetzt sprechen zu dürfen. Sie werden dann schon erfahren, um was es geht." Götzl, nun ebenfalls sichtlich gereizt, reagiert entsetzt: "Ich führe hier die Verhandlung, und ich verlange von Ihnen, mir zuerst zu erklären, warum Sie das Wort ergreifen wollen, bevor ich entscheide, ob Sie sprechen dürfen." So geht es noch munter weiter, und in ähnlicher Weise wiederholt es sich noch viele weitere Male an diesem Tag.
Der mit 40 Jahren recht junge und angriffslustige Strafverteidiger Heer empfindet Götzls autoritäre Verhandlungsführung offenbar als Affront, weil er sich unnötig bevormundet und belehrt fühlt. Der strikte und prinzipientreue Richter Götzl, mit 60 Jahren deutlich älter als Heer, empfindet dagegen die forschen und insistierenden Auftritte des Anwalts als Provokation. Dass die beiden sich auch noch gegenübersitzen und der Abstand zwischen ihnen kaum zwei Meter beträgt, trägt nicht gerade dazu bei, die Wogen zu glätten.
Starke Persönlichkeiten treffen aufeinader
Sowohl Heer als auch Götzl präsentieren sich als starke Persönlichkeiten und haben schon so manch größeres Verfahren durchgestanden. Götzl etwa führte Verhandlungen über den Mord an dem Münchner Modemacher Rudolph Mooshammer, über die Verbrechen von Islamisten und ehemaligen Nazi-Verbrechern, aber auch den Prozeß über die Klage des Schauspielers Ottfried Fischer gegen die Bild-Zeitung um ein Sex-Video.
Heer verteidigte beispielsweise Straftäter, die sich des illegalen Glücksspiels, des Drogenhandels oder der Korruption strafbar machten. Nun treffen sie in diesem Staatschutzverfahren aufeinander und wollen sich anscheinend auch die nächsten Jahre das Leben schwer machen, denn Beobachter erwarten, dass sich das Verfahren über einen solch langen Zeitraum hinziehen könnte.
Eine Reihe hinter Anwalt Heer sitzt Nicole Schneiders, die Verteidigerin des inhaftierten Rechtsextremisten Ralf Wohllebens, der dem NSU die Tatwaffe für neun Morde besorgt haben soll. Nicole Schneiders kennt Wohlleben seit seiner Zeit als stellvertretender Thüringer Landeschef der NPD. Schneider war damals Wohllebens Stellvertreterin als Kreisvorsitzender der NPD in Jena. Schneider, die durch ihre rot gefärbten Haare und ihre hellgrüne Brille auffällt, begründet einen Einstellungsantrag mit fehlenden Akten und Asservaten. "Die Beschäftigung mit nur unvollständigen Aktenbestandteilen ist mit dem Gesetz nicht vereinbar, daher fordern wir die Einstellung des Verfahrens", so die Anwältin.
Auch fehlten im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Andreas Temme, Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen, der bei der Ermordung eines türkischen NSU-Opfers in Kassel anwesend war, mindestens 37 Ordner mit Akten. Das Verfahren - so ihre Argumentation - sei daher auszusetzen, bis Wohlleben vollständige Akteneinsicht bekomme.
Versagen der Sicherheitsbehörden soll Angeklagte entlasten
Auch die Verstrickung in- und ausländischer Geheimdienste nutzt Schneiders als Gründe, um den Prozess zu beenden. Mehmet Gürcan Daimagüler, Berliner Anwalt von zwei Opfer-Angehörigen, weist den Antrag von Wohllebens Verteidigerin als "rechte Propaganda" zurück. "Eine etwaige Rolle von Verfassungsschützern muss im Laufe des Prozesses untersucht werden. Frau Schneiders versucht jedoch, ihren Mandanten zu entschuldigen, indem sie eine angebliche und riesige Verschwörung deutscher und ausländischer Geheimdienste behauptet", so Daimagüler. Über Schneiders Anträge wurde am dritten Verhandlungstag nicht entschieden.
Nagelbombenattentat in Köln ist ein großes Thema
Der Vorschlag des Richters Götzl, den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Jahre 2004 mit 31 versuchten Morden von diesem Verfahren abzutrennen, weil der Platz für die Nebenkläger im Saal womöglich nicht ausreiche, erntet heftigen Protest bei den Vertretern der Nebenkläger.
Der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der mehrere der Opfer aus der Keupstraße vertritt, wurde regelrecht wütend angesichts des Vorschlags: "Meine Mandanten wurden mehrmals zu Opfern gemacht: Durch den Anschlag und durch die falschen Verdächtigungen der Behörden, der Täter komme aus ihrer Straße. Nun muss die richtige Aufklärung hier und heute endlich erfolgen." Es gehe schließlich um Mord und um die mit diesem Anschlag bezweckte dauerhafte Trennung zwischen Deutschen und Migranten, erregt sich Hoffmann. Mit nur noch neun von 44 für Opfer-Angehörige reservierten Plätzen sei auch noch genügend Raum für mögliche weitere Nebenkläger. Auch Bundesanwalt Herbert Diemer, der die Anklage führt, hielt den Vorschlag nur für berechtigt, wenn die Hauptverhandlung nicht mehr ordnungsgemäß durchführbar wäre - was hier jedoch nicht der Fall sei.