Kleinstadt in Indien hält Weltrekord in Luftverschmutzung
8. Juli 2025
Die Kleinstadt Byrnihat sieht aus wie jede andere an der Grenze zwischen den indischen Bundesstaaten Assam und Meghalaya. Doch die Stadt mit geschätzten 50.000 Einwohnern hält derzeit einen unschönen Weltrekord. Nach einer Studie der schweizerischen Technologiefirma IQAir, die sich auf die Messung von Feinstaub in der Atmosphäre spezialisiert hat, ist Byrnihat die Stadt mit der schlechtesten Luftqualität der Welt.
Wenn man an einem regnerischen Nachmittag durch die hügeligen Straßen der Stadt spaziert, wird die überwältigende Stille nur durch das rhythmische Klirren von den nah gelegenen Fabriken unterbrochen. Hier in der Stadt sitzen etwa 80 Schwerindustriebetriebe für Metallverarbeitung. Die Nationalstraße 40, die durch die Stadt führt, ist kurvenreich und gesäumt von endlosen Reihen von LKWs. Einige stehen still, andere transportieren Rohstoffe wie Kohle zu den Fabriken.
Dicke Luft
Die Industrieproduktion und die Schwertransporte belasten die Luftqualität. Nach Messung von IQAir überstieg 2024 die durchschnittliche Feinstaubkonzentration PM2,5 um das 25-Fache von dem, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als saubere Luft und unbedenklich zum Atmen definiert. Der absolute Wert in Byrnihat lag 2024 bei 128,2 Mikrogramm pro Kubikmeter, sagt Armen Araradian von IQAir. "Wir hatten 2024 Messdaten von 359 Tagen aus Byrnihat. Demnach entsprach die Luftqualität an 356 Tagen nicht den PM2,5-Richtlinien der WHO."
Der Feinststaub PM2,5 ist eine Mischung aus winzigen festen Partikeln und flüssigen Tröpfchen, die durch die Luft schweben. Die Aerosol-Teilchen haben ein Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer und können tief in die menschlichen Lungen und über die dortigen Bläschen in den Kreislauf gelangen. Es sei eine der Hauptursachen für Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie Krebs, so die WHO. Der empfohlene Grenzwert für PM2,5 liegt bei maximal 5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
"Ich beobachte eine zunehmende Zahl von Atemwegsinfektionen und anderen Problemen im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung", sagt Dr. Prasanta Kr Brahma, der seit acht Jahren eine Praxis in Byrnihat betreibt. "Im Laufe der Jahre ist auch Krebs sehr häufig geworden, insbesondere der Kopf-Hals-Krebs HNC, der mit Luftverschmutzung in Zusammenhang steht." HNC ist ein Sammelbegriff für verschiedene bösartige Tumore, die im Kopf- und Halsbereich auftreten können. Dazu gehören Tumore der Mundhöhle, des Rachens, des Kehlkopfes, der Nase und des Halses.
Ungünstige Faktoren
Seit Ende der 1990er Jahre hat sich Byrnihat im Zuge der Industrialisierung zu einem Industrie- und Verkehrsknotenpunkt entwickelt. Im Umland befinden sich große Kohlevorkommen. Es kamen Eisenhütten, Stahlwerke und Zementfabriken, die sich nach und nach niederließen. Diese Branchen sind sehr energieintensiv und belasten die Umwelt.
Die lokale Umweltbehörden empfahlen schon 2022, aufgrund schlechter Luftqualität keine weiteren Industrieunternehmen mehr anzusiedeln und den Schwertransport zu begrenzen. Passiert ist bisher nicht viel. Erst Anfang 2025 ließen die Behörden sechs Produktionen wegen nicht erfüllter Umweltauflagen stilllegen. Doch die Luftqualität wurde dadurch nicht wesentlich besser.
Auch der Straßengüterverkehr produziert jede Menge schädliche Gase. Byrnihat ist eine der wichtigsten Transitrouten Indiens. Die Nationalstraße 40, die durch den Ort führt, ist eine sehr stark befahrene Straße. Fehlende Katalysatoren, schlechte Treibstoffqualität, Überladung sind nur einige Faktoren, die für dicke Luft sorgen. "Um PM2,5 zu reduzieren sind Kontrollen von Lastwagen unerlässlich", fordert Dr. Sharad Gokhale, Professor für Umwelttechnik am Indian Institute of Technology im Bundesstaat Assam.
Braunkohle, die in andere Bundesstaaten verkauft wird, wird unter freiem Himmel gelagert und umgeladen. Dadurch entsteht große Menge Kohlenstaub. "Dies führt zu flüchtigen Emissionen. Kohlenstaub macht sich in der Luft breit, was zusätzlich zur Luftverschmutzung beiträgt", sagt Sunil Dahiya, Gründer der Umweltschutzorganisation EnviroCatalysts. Auch die Industrieabfälle würden ohne Vorbehandlung direkt verbrannt. Einige Fabriken seien ständig von giftigen Rauchschwaden umhüllt.
Kleinstädte mit trauriger Umweltbilanz
"Byrnihat ist fast vollständig von Hügeln umgeben. Und die Topografie verhindert, dass sich Schadstoffe leicht verteilen können", sagt Araradian von IQ Air. Erschwerend kam 2024 hinzu, dass es deutlich weniger geregnet hatte. Die Luft konnte somit nicht gewaschen werden.
Viele Bewohner in Byrnihat waren geschockt, als sie vernahmen, dass ihr Wohnort, diesen unwürdigen Weltrekord der am meisten verschmutzten Stadt hält. Und sie ist offenbar nur der Extremfall in einem allgemeinen Trend. IQAir-Experte Araradian sagt, dass seine globalen Daten oft extrem hohe Messwerte in kleinen oder weniger bekannten Städten aufzeigen würden.
Dennoch konzentrieren sich die indische Politik und die Medien weiterhin auf Delhi und andere Großstädte, wo die meisten Menschen leben. "Letztendlich sollte der Umweltaspekt ein zentraler Bestandteil der städtischen Entwicklung sein. Ohne sie werden wir weiterhin schlechte politische Entscheidungen treffen", warnt Araradian. "Selbst fünf Jahre nach dem Start des politischen Aktionsprogramms für saubere Luft NCAP dreht sich die Debatte immer noch nur um die Metropolenregion um die Hauptstadt Neu-Delhi. Kleinere Städte bleiben außen vor. Das muss sich ändern."
Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan