Daniel Kahn & The Painted Bird
5. Januar 2012Rauschebart, dunkler Hut, zerknitterter Anzug und eine theatralisch angehauchte, eindrucksvolle Stimme, die ins Berlin der 1920er Jahre passt: Fast könnte Daniel Kahn als Zeitgenosse Bertolt Brechts durchgehen. Ob Brecht einst die Armut der Menschen in der Wirtschaftskrise der 20er Jahre anprangerte oder Kahn es ihm in der Gegenwart gleich tut, die Grenzen der Zeit scheinen plötzlich aufgehoben. Dennoch: Was Kahn und seine Mannen von The Painted Bird auf der Bühne bieten, ist durchaus zeitgemäß, auch wenn ihr Outfit eher an eine jüdische Klezmer-Kapelle vergangener Epochen erinnert.
"Ich hoffe doch, dass wir eine Band aus dem Berlin des 21. Jahrhunderts sind", lacht Kahn. "Wir spielen zwar alte Lieder, aber nur solche, die zur Gegenwart passen und die auch etwas über die Welt von heute zu sagen haben. Die Probleme sind ja aktuell, obwohl sie 100 Jahre alt sind. Ich nenne das Geschichte rückwärts."
Verfremdungs-Klezmer und Geschichten
Kahn geht es nicht um Vergangenheits-, sondern um Gegenwartsbewältigung, er beleuchtet Probleme der Jetzt-Zeit im historischen Kontext. Mit seiner Musik will er den Träumen der Vergangenheit neues Leben einhauchen. Ganz oben auf seiner Wunschliste stehen dabei Solidarität, Sozialismus und antikapitalistische Revolution. Und mit Musik, so findet Kahn, könne er seine Botschaft am besten verbreiten - wobei sich seine Klänge jedem gängigen Genre entziehen.
"Wir haben sie Verfremdungs-Klezmer genannt", erklärt er. "Unsere Musik lebt von verschiedenen Einflüssen. Man findet natürlich traditionellen Klezmer und osteuropäische jiddische Lieder, aber auch moderne Gedichte und Lieder im Stil von Tom Waits, Bertolt Brecht, Bob Dylan oder Nina Simone." Daniel Kahn liebt es, Geschichten zu erzählen. Für ihn sind Lieder die besten Werkzeuge, um seine Botschaft zu verbreiten. Am liebsten singt er Balladen über Liebe und Tod, über Arbeitslosigkeit und Krieg, aber auch über Hoffnung und Solidarität.
Tabubruch und Provokation
Der Klezmer ist allgegenwärtig bei Daniel Kahn & den Painted Bird. Seit dem Mittelalter hat sich diese Volksmusik der osteuropäischen Juden entwickelt und gehörte jahrhundertelang zum jiddischen Alltag. Schon seit Jahren gibt es ein Revival des Genres, Klezmerfestivals auf aller Welt vereinen jüdische und nicht jüdische Musiker.
Kahn selbst ist zwar Jude, aber er wuchs in einer sehr liberalen Familie auf und fand erst über die Musik Zugang zu den alten Liedern und der jiddischen Sprache. Er tritt mit Akkordeon und selbstgebauter Ukulele an, singt auf Englisch, Deutsch und Jiddisch, und die anderen bunten Vögel fallen ein. Die Violine jubiliert und die Klarinette schluchzt oder umgekehrt. Dazu gesellen sich eine ruppige Posaune, eine quengelnde Tröte,
Vordergründig ertönt Klezmer, aufgemischt durch Punk-Folk, vor allem aber trumpft immer wieder schelmisch politisches Kabarett auf. Kahn provoziert, bricht Tabus und verwirrt nicht selten die Zuhörer. "Es passiert schon mal, dass die Leute uns missverstehen", gibt er zu. "Das ist nicht schlimm, denn hinterher kann man die Sache dann aufklären. Aber wir wollen auf keinen Fall immer falsch verstanden werden."
Was in dem bissigen Lied "Ankam" auch durchaus fatal wäre, denn hier fordert ein jüdischer Partisane, dass für jedes einzelne Holocaustopfer ein Deutscher sterben soll. "Ankam" ist das hebräische Wort für Rache. Jenen Partisanen soll es wirklich gegeben haben, er hieß Abba Kovner und wollte, wie es in dem Lied heißt, "six million Germans" umbringen.
Pappmaché-Vögel und Katrina
Bei Daniel Kahn und seinen bunten Vögeln mutiert Klezmer bewusst zur Kampfmusik. Bitterer Sarkasmus, Wut und dann wieder Humor sind die Waffen, die Kahn und seine bunte Truppe einsetzen. Die Musik relativiert die Schärfe der Liedtexte, denn die lebensfrohe Klezmer-Musik, die früher bei keinem jüdischen Fest fehlen durfte, ist ansteckend. Kahn und seine Painted Bird sind zwar alles andere als Traditionalisten, aber auch bei ihnen kann und soll getanzt werden – und dann nachgedacht. Die melancholischen Pappmaché-Vögel, die die Bühne bevölkern,
Kahn hat in seiner Heimatstadt Detroit Schauspiel, Regie und Theaterstücke-Schreiben studiert, er war Barmusiker in New Orleans und hat dort auch Zirkusparaden begleitet. So ein kreativer Kopf präsentiert seinem Publikum nicht nur Musik, sondern ein Rundum-Spektakel. Er vergisst nie die bissig-ironischen Untertöne, und notfalls schreit er auch mal ins Megafon. So wie zum Beispiel im jiddischen Song "Khurbn Katrina" über den Hurrican, der 2005 New Orleans verwüstete. Das Lied basiert übrigens auf einem Song, der den Untergang der Titanic besang.
Verliebt in die Wahlheimat Ausgerechnet in der Südstaaten-Metropole, wo Jazz und Big Band dominieren, hat sich Daniel Kahn in die Klezmer-Musik verliebt. So sehr, dass er sogar beschloss, jiddisch zu lernen. Doch der Künstler aus Michigan war nicht nur in der Klezmer-Szene aktiv, sondern auch Gewerkschaftler, der unter anderem die Mindestlohnkampagne einer Hilfsorganisation für Arme organisierte. Sein soziales Engagement spiegelt sich in der Musik wider. Partisanen und Parasiten, blutsaugende Kapitalisten, Faschisten, Arbeitslose und Opfer der Gesellschaft: Sie alle haben heute als skurrile Charaktere ihren Platz in seinem jiddischen Punk-Klezmer-Kabarett. Polka, Walzer und traditionelle jüdische Tanzweisen mutieren zum Klangteppich für Kahns Botschaft. Fehlen darf allerdings auch die Liebe nicht. Und verliebt hat sich der 32-Jährige definitiv in seine Wahlheimat Berlin, wo für ihn das Herz des Klezmer schlägt. Zwar hatte der Amerikaner schon immer ein Faible für deutsches Theater, deutsche Literatur und deutsche Musik, doch erst die Einladung zu einem Klezmer-Workshop holte ihn nach Deutschland. "Es gibt seit Jahren eine sehr gute jiddische Musik-Szene in Deutschland", sagt er. "Hier war immer ein Treffpunkt für Künstler aus der ganzen Welt, die Klezmermusik machen und sich mit der jiddischen Sprache beschäftigen." Und so blieb Kahn hängen in der Stadt, in der nicht nur die Klezmer-Szene, sondern auch die Erinnerung an sein Idol Brecht sehr lebendig ist. "Ich habe einen Schlüsselanhänger, da steht Wahlheimat drauf", sagt er. "Ich liebe dieses Wort." Autorin: Suzanne Cords
Redaktion: Rick Fulker