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Klima-Kipppunkte: Sind Katastrophen noch abzuwenden?

Stuart Braun
25. Oktober 2023

Lösungen müssen schnell umgesetzt werden, bevor Klima-, Nahrungs- und Trinkwassersysteme über gefährliche Kipppunkte hinaus zusammenbrechen. Das zeigt ein Bericht der UN-Universität.

Wassertropfen fällt im Sonnenlicht von einem schmelzenden Stück Eis. Grönland schmelzender Eisberg
Eis und Gletscher weltweit schmelzen immer schneller, mit dramatischen AuswirkungenBild: David Goldman/AP Photo/picture alliance

"Unumkehrbare, katastrophale Auswirkungen für Menschen und den Planeten" stehen bevor, wenn einmal zerstörte globalen Ökosysteme nicht mehr wiederhergestellt können, so heißt es in dem neuen Bericht des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS).

Zu den sechs Kipppunkten, die im "Interconnected Disaster Risks Report 2023" untersucht werden, gehören unter anderem der Mangel an frischem Grundwasser und der Verlust von Arten. Wassermangel gefährdet die  Lebensmittelproduktion und das Überleben der Menschheit in einer sich erwärmenden Welt . Der Verlust wichtiger Arten  könnte den Zusammenbruch von Ökosystemen auslösen.

"Wenn wir uns diesen Wendepunkten nähern, spüren wir die Auswirkungen bereits. Sobald wir sie überschritten haben, wird es schwierig, die Auswirkungen rückgängig zu machen", warnt Jack O'Connor, Hauptautor und leitender Experte bei UNU.

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07:42

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Menschen haben den Planeten an diese Wendepunkte gebracht, doch sie verfügen auch über Lösungen. Dazu seien umfassende Transformationen nötig, so der Bericht. So werde eine rasche Reduzierung von Treibhausgasen aus fossilen Brennstoffen von entscheidender Bedeutung sein, um die "unerträgliche Hitze" im Zusammenhang mit der Gletscherschmelze und dem Verlust des Grundwassers zu bekämpfen. 

Beschleunigung des Aussterbens

Veränderte Praktiken bei der Nutzung von Land, übermässige Ausbeutung, Klimawandel, Umweltverschmutzung und die Einführung invasiver gebietsfremder Arten beschleunigen das Aussterben von Pflanzen und Tieren um das 10- bis 100-fache der natürlichen Rate auf dem Planeten, heißt es im UNU-UN-Bericht.

"Wir erhöhen das Risiko des Ko-Aussterbens, von Arten, die stark miteinander verbunden sind", erklärt Zita Sebesvari, Hauptautorin des Berichts und stellvertretende Direktorin von UNU-EHS. Der Verlust von sogenannten Schlüsselarten kann Auswirkungen auf ganze Ökosysteme haben.

Ein Beispiel dafür ist die Gopher-Schildkröte. Sie gräbt Höhlen, die von mehr als 350 weiteren Tierarten als Unterschlupf, zur Fortpflanzung, Nahrungsaufnahme, zum Schutz vor Raubtieren und extremer Temperaturen genutzt werden.

Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts könnten bis zu zehn Prozent der Arten ausgerottet sein, bis zum Jahr 2100 sogar bis zu 27 Prozent, so Sebesvari gegenüber der DW. "Wir müssen den Naturschutz überdenken", sagt sie zu möglichen Lösungen. Das Ziel sollte sein, statt nur einzelne bedrohte Arten zu erhalten, die "Verbindungen zu retten", also etwa Rodungen und den Verlust von Lebensräumen zu verhindern, die Aussterben auslösten.

Das Grundwasser wird knapper

Neben Gebirgsgletschern ist das Grundwasser weltweit der größte Süßwasserspeicher, doch es ist durch Übernutzung und globaler Erwärmung zunehmend bedroht. Dabei versorgen natürliche unterirdische Speicher, auch Grundwasserleiter genannt, laut den Forschern über zwei Milliarden Menschen mit Trinkwasser. Doch mehr als die Hälfte der wichtigen Grundwasserleiter des Planeten werden derzeit schneller erschöpft, als sich auf natürliche Weise wieder auffüllen können. 

Dabei verbraucht die Landwirtschaft rund 70 Prozent der Grundwasser-Ressourcen.

So ist etwa der Reisanbau in der trockenen Region Punjab im Nordwesten Indiens inzwischen übermäßig auf Grundwasser angewiesen, sagt Sebesvari. Jetzt trocknen die Grundwasserspeicher immer weiter aus, damit ist eine wichtiges Nahrunsmittelquelle für das bevölkerungsreichste Land der Welt bedroht. Die Lösung sei ein ganzheitlicher Ansatz für den Reisanbau, einschließlich der Pflege angrenzender Feuchtgebiete, die helfen, das Grundwasser wieder aufzufüllen. Im Prinzip müssten die Landwirte weniger Wasser aus dem System entnehmen, als wieder zurückfließe. 

Der Punjab ist eine der größten Reisanbauregionen Indiens. Doch das Grundwasser wird knapper, das bedroht die ErntenBild: Raminder Pal Singh/AA/picture alliance

Raschere Gletscherschmelze schadet dem Trinkwasser

Der Studie zufolge ziehen sich die Gletscher weltweit inzwischen doppelt so schnell zurück also noch vor zwei Jahrzehnten. Doch Schmelzwasser aus Gletschern und Schnee ist eine wichtige Süßwasserquelle für Trinkwasser, Bewässerung, Wasserkraft und Ökosysteme.

Da die Schmelze jedoch schneller voranschreitet, bestehe die Gefahr, dass ein Kipppunkt erreicht werde, nach dieser Höchstwassermenge gäbe es immer weniger Schmelzwasser für die Wasserversorgung. Bei einigen kleineren Gletschern in Mitteleuropa, Westkanada und Südamerika wurden diese Höchstwasserstände bereits erreicht, oder die Kipppunkte werden in der nächsten zehn Jahren erwartet.

In den südamerikanischen Anden haben zahlreiche Gletscher die Kippunkte bereits überschritten und die lokale Trinkwasserversorgung und Bewässerung wird immer unzuverlässiger. Die Forscher schätzten, dass 90.000 Gletscher im Himalaya, sowie dem angrenzenden Karakorum und dem Hindukusch Gefahr laufen, bis 2050 die Höchststände beim Schmelzwasser zu erreichen. Das betrifft laut Bericht die Wasserversorgung von 870 Millionen Menschen.

Eine Anpassung ist zwar möglich, aber dringende Maßnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs durch die Reduzierung von Treibhausgasemissionen seien die einzige wirkliche Lösung.

500.000 Tote jedes Jahr durch lebensgefährliche Hitze 

In direktem Zusammenhang mit der durch den Klimawandel verursachten Gletscherschmelze steht die zunehmende extreme Hitze. Sie verursachte laut Bericht in den letzten zwei Jahrzehnten jedes Jahr etwa 500.000 zusätzliche Todesfälle.

Hohe Luftfeuchtigkeit macht Hitze noch unerträglicher, da sie die Schweißverdunstung erschwert und den natürlichen Kühlmechanismus des Körpers einschränkt, betonen die Autoren. Wenn die "Feuchtkugeltemperatur", also die Kombination von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, länger als sechs Stunden 35  Grad Celsius überschreitet, kann die Unfähigkeit des Körpers, sich abzukühlen, zu Organversagen und Hirnschäden führen.

Untersuchungen zeigen, dass diese Schwelle in Teilen Südasiens und des Nahen Ostens bis 2070 regelmäßig überschreiten werden, so der Bericht. 30 Prozent der Weltbevölkerung ist bereits jetzt mindestens 20 Tage pro Jahr tödlichen Klimabedingungen ausgesetzt, bis 2100 könnte ihre Zahl auf über 70 Prozent steigen.

Zwar ist die Reduzierung der Treibhausgasemissionen die eigentliche Lösung um lebensgefährliche Hitze zu vermeiden, doch für viele Teile der Welt ist es dafür schon zu spät. Eine Möglichkeit besteht darin, Menschen aus unerträglich heißen Gebieten umzusiedeln. Doch das ist nicht überall möglich. Darum müssen Anpassungsmaßnahmen, wie die Bereitstellung von schattigen Orten und kühleren Wohnmöglichkeiten, schnell umgesetzt werden.

Extreme Hitze erhöht den Bedarf an knappen Wasserressourcen. In 2023 war Matam im Sengal mit rund 48 Grad Celsius regelmäßig der heißeste Ort der ErdeBild: John Wessels/AFP

Gefahr durch Weltraummüll: ein weiterer Kipppunkt

Satelliten sind von entscheidender Bedeutung zur Beobachtung die und Bewältigung von Katastrophen. "Wir brauchen Weltrauminfrastruktur, um beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels ebenso wie die Gefahren etwa von Wirbelstürmen einschätzen zu können", sagt Sebesvari.

Doch im Weltraum sammelt sich so viel Müll an, dass eine Kette von Kollisionen die Überwachungsinfrastruktur beschädigen könnte. Von den fast 35.000 Objekten im Orbit seien heute nur etwa 25 Prozent funktionierende Satelliten. Der Rest bestehe aus Müll oder kaputten Satelliten, die sich seit den 1960er Jahren angesammelt hätten.

Da bis 2030 mehr als 100.000 neue Raumfahrzeuge in die Umlaufbahn gebracht werden sollen, steigt das Risiko. "Das Problem ist, dass man bei der Planung von Satelliten nicht das Ende ihrer Nutzungsdauer mit bedenkt", sagt Sebesvari. Es sei wichtig, nicht weiter zu glauben, dass das Abladen von Müll im Weltraum keine Auswirkungen habe.

Zukunft nicht mehr versicherbar

Die wetterbedingten Katastrophenschäden haben sich seit den 1970er Jahren versiebenfacht. Im Jahr 2022 verursachten solche Ereignisse weltweit wirtschaftliche Verluste in Höhe von 295 Milliarden Euro. Dem UNU-Bericht zufolge wird sich die Zahl der Klimakatastrophen bis 2040 voraussichtlich verdoppeln. Das liegt auch daran, dass der Klimawandel das Ausmaß von Waldbränden, Überschwemmungen und Stürmen erhöht.

Aufgrund des zunehmenden Risikos extremer Wetterkatastrophen sind die Versicherungsprämien seit 2015 um bis zu 57 Prozent gestiegen. Zudem kündigen einige Versicherungsunternehmen ihre Policen oder ziehen sich in Hochrisikogebieten aus dem Markt zurück.

Als Beispiel nennt der Bericht das zunehmende Überschwemmungsrisiko in Australien, was bis 2030 über eine halbe Million australischer Häuser nicht mehr versicherbar machen werde. Wer es sich nicht leisten kann, in sicherere Gebiete zu ziehen, muss mit diesem Risiko leben.

Zita Sebesvari sagt, dass kurzfristige wirtschaftliche Bedenken Lösungen derzeit behindern. Regierungen und der Privatsektor müssten jedoch gemeinsam handeln,  um die „Rechte zukünftiger Generationen“ zu sichern. 

Der Beitrag erschien in Englisch und wurde adaptiert von Gero Rueter

 

Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.
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