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Reise

Das Comeback der Nachtzüge in Europa

Christina Küfner
11. Juni 2021

Immer mehr Menschen setzen auf klimabewusstes Reisen. Nachtzüge erleben derzeit ein unverhofftes Comeback. Das europäische Nachtzugangebot soll deshalb ausgebaut werden.

Nightjet der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB)
Bild: Christina Küfner/DW

Berliner Hauptbahnhof, es ist kurz vor 18.30 Uhr. Auf Gleis 11 steht ein langer Zug mit nachtblauen Waggons. "Nightjet" steht in großen Lettern unter den Fenstern, vor denen einige Reisende gerade ihre Koffer vorbeirollen. In wenigen Minuten wird der Zug in Richtung Wien abfahren. Mehr als 12 Stunden dauert die Reise, doch viel bekommen die Passagiere davon wahrscheinlich nicht mit. Im Schlaf gleiten sie langsam von einem Land andere - und wenn sie am Morgen aufwachen, sind sie bereits am Ziel.

Die Musikerin Yolotzin Cruz Cedillo ist in den vergangenen zwei Wochen vier Mal mit dem Nachtzug gependeltBild: Christina Küfner/DW

Erst seit der letzten Mai-Woche ist das wieder möglich, denn wegen der Pandemie konnten die Nachtzüge in Europa Monate lang nicht verkehren. Die Musikerin Yolotzin Cruz Cedillo aus Mexiko ist froh, dass es das Angebot jetzt wieder gibt. Für Proben pendelt sie derzeit zwischen Berlin und Wien hin und her - und bis sie geimpft ist, will sie auf die Enge in einem Flugzeug lieber verzichten. "In einem eigenen Abteil im Schlafwagen fühle ich mich sicherer", sagt sie. Auch dass man umweltfreundlicher reist, findet sie gut.

Klimabewusstsein hat die Nachfrage belebt

Ähnlich denkt auch die Studentin Paula, die ein paar Meter weiter steht und regelmäßig mit dem Nightjet in ihre Heimatstadt Wien fährt. Fliegen sei wegen der kurzen Reisedauer zwar schon ein bisschen angenehmer, gibt die 20-Jährige ganz offen zu. Ausschlaggebend sei für sie aber der Umweltaspekt: "Mir ist es sehr wichtig, nachhaltig zu reisen, deshalb fahre ich die Strecke mit dem Nachtzug." Ein Argument, das auch andere Reisende auf Gleis 11 anführen, wenn man sie fragt, warum sie mit dem Nachtzug reisen.

Ivana Viscovic hat für ihre erste Fahrt mit dem Nachtzug einen Platz im Sitzwagen gebuchtBild: Christina Küfner/DW

Die Klimadebatte habe die Nachfrage tatsächlich deutlich verstärkt, sagt auch Bernhard Rieder, Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die den Nightjet betreiben und EU-weit die meisten Nachtzugverbindungen anbieten, etwa von München nach Rom oder von Hamburg nach Zürich. "Ab 2017/2018 kam es zu einem regelrechten Nachtzug-Boom." Viele andere Bahngesellschaften, die das Segment bereits aufgegeben haben, seien plötzlich an einer Nachtzug-Kooperation mit den ÖBB interessiert gewesen. So wiederum konnten neue Nachtzug-Strecken entstehen, etwa von Wien nach Berlin oder, ganz neu, nach Amsterdam. 

Ankunft Amsterdam - nach mehr als vier Jahren Pause haben sich die Niederlande wieder an das europäische Nachtzugnetz angeschlossenBild: Remko de Waal/ANP/picture alliance

Nachtzüge galten lange als Auslaufmodell

Absehbar war dieses Comeback der Nachtzüge nicht - noch bis vor wenigen Jahren galten sie in Europa als Auslaufmodell. Die Konkurrenz der Billigflieger war zu stark, viele Strecken kaum noch rentabel. Auch die Deutsche Bahn hat ihren Nachtzug "City Night Line", der beispielsweise die Strecken Köln-Prag oder München-Rom bedient hat, deshalb eingestellt. In 2015, dem letzten Jahr des Nachtzugbetriebs, habe man 31 Millionen Euro Verlust auf den Strecken gemacht, sagt eine DB-Sprecherin im Gespräch mit der DW. Ein Jahr später kam dann das Aus.

Die ÖBB haben die deutsche Nachtflotte dann 2016 übernommen und sukzessive modernisiert. Auch darin sieht Sprecher Bernhard Rieder einen Grund für den Erfolg. Dass im Zusammenhang mit Nachtzügen oft von nostalgischem Charme oder einer antiquierten Form des Reisens die Rede ist, hört er deshalb nicht so gern. Der Komfort nehme sogar noch zu, sagt er. In den 33 neuen Zügen, die der Konzern bestellt hat, wird jedes Schlafwagen-Abteil mit eigener Duschkabine und einem WC ausgestattet sein. 

Blick in die Zukunft - so sollen die neuen Nachtzüge aussehen, die die ÖBB ab 2022 in Betrieb nehmen Bild: ÖBB

Das europäische Nachtzugangebot wächst

In manchen Schlafwagen-Abteilen gibt es das jetzt schon. Ab 189 Euro kostet so eine Fahrt, ohne Dusche und WC ab 139 Euro - je nach Verfügbarkeit der Tickets. Wer günstiger reisen will, kann die Nacht auch im Liege- oder im Sitzwagen verbringen, die ab 59 oder 29 Euro zu haben sind. Entsprechend breit gefächert ist das Publikum, das in der Nacht reist. Von preisbewussten Fahrgästen wie Jugendgruppen oder Familien bis hin zu internationalen Geschäftsreisenden ist laut Rieder alles dabei.

Einschlafen in Paris und Aufwachen an der Côte d'Azur - viele europäische Destinationen sollen bis Ende des Jahrzehnts über Nachtzüge verbunden werdenBild: picture-alliance/robertharding/A. Rotenberg

Außerdem werden bald neue Verbindungen eröffnet, zum Beispiel ab Dezember 2021 die Strecke von Wien und München nach Paris oder von Zürich nach Amsterdam. In den nächsten Jahren folgen weitere, denn das Nachtzugangebot auf Europas Schienen soll ausgebaut werden. Darauf haben sich die Bahnchefs der ÖBB, der DB, der französischen SNCF sowie der schweizerischen SBB im vergangenen Dezember am Rande der europäischen Verkehrsministerkonferenz geeinigt.

Ein Transportmittel mit Zukunft?

Haben die Nachtzüge also eine sichere Zukunft? Trendforscher sehen gute Chancen - geben jedoch zu bedenken, dass sich die Bedingungen dafür noch weiter verbessern müssten, etwa durch einen Ausbau des Schienennetzes sowie günstige Ticketpreise. In Frankreich scheinen sich die Wettbewerbsbedingungen für die Nachtzüge gerade ein Stück weit zu verbessern, denn Paris will inländische Kurzstreckenflüge verbieten. In Deutschland machen sich die Grünen für das gleiche Ziel  stark. Billigflüge sollte es nach dem Willen von Grünen und SPD ebenfalls nicht länger geben. Fluggesellschaften zahlen in Europa keine Kerosinsteuer und in Deutschland obendrein keine Mehrwertsteuer auf internationale Tickets - genießen also Vergünstigungen gegenüber der Bahn. Solange sich das nicht ändert, bleibt die Konkurrenz durch die Luftfahrtbranche bestehen.

Wer im Schlaf durch Europa gleitet, muss auf keinen Komfort verzichtenBild: Remko de Waal/ANP/picture alliance

Und längst nicht alle Reisenden empfinden so viel Flugscham, dass sie einen Billigflieger gegen einen Schlafwagen eintauschen würden. Auch Ivana Viskovic wäre nach Wien geflogen, hätten die zeitweisen Reisebeschränkungen wegen Corona ihre Pläne nicht völlig durcheinandergebracht. Deshalb steht die Pflegerin jetzt ebenfalls auf Gleis 11 am Berliner Hauptbahnhof. "Ich fahre heute zum ersten Mal mit dem Nachtzug", sagt die 31-Jährige, bevor sie in einsteigt. Ein Modell für die Zukunft? "Wenn ich gut schlafe heute Nacht, dann vielleicht schon."

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