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Stopp bei 1,5 Grad - oder Klimachaos?

28. Juni 2018

Erderwärmung und Wetterextreme nehmen zu. Die Hauptverursacher sind Kohle, Öl und Gas. Wie sind unsere Zukunftsaussichten - gibt es Chancen auf einen Stopp bei 1,5 Grad?

Peru Anwohner in Wasserflut in Lima
Bild: picture alliance/dpa/AP Photo

"Wenn wir ungebremst weiter Treibhausgase emittieren wie in den letzten Jahrzehnten, dann werden wir bis Ende des Jahrhunderts mindestens vier Grad globale Erwärmung erleben", sagt Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitglied im Weltklimarat. "Das [wäre] ein sehr anderer Planet als wir ihn jetzt kennen. Und die Erwärmung hört dann auch nicht auf, sondern wird in den weiteren 100 Jahren noch auf sieben, acht Grad ansteigen", so Rahmstorf gegenüber der DW, "ich glaube nicht, dass die menschliche Zivilisation das überleben würde."

Um die Erderwärmung und die Zunahme von Klimakatastrophen zu stoppen, beschloss die Weltgemeinschaft 2015 auf der Klimakonferenz in Paris, dass im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (1850) die Durchschnittstemperatur deutlich unter zwei Grad bleiben soll, möglichst bei 1,5 Grad. Aber die Aussichten dafür sehen bisher nicht gerade gut aus. 

Katastrophen nehmen zu

Nach Angaben der Weltorganisation für Meterologie liegt der globale Temperaturanstieg derzeit bei etwa 1,1 Grad über der vorindustriellen Zeit. Das verursacht bereits heute mehr Hitzeperioden, Dürren und Extremwetter wie Starkregen und Wirbelstürme.

Nach Schätzungen der Rückversicherungs-Gesellschaft Munich RE verursachten im letzten Jahr Stürme, Überschwemmungen und Erdbeben Schäden von insgesamt 330 Milliarden Dollar auf der Welt. "Vor 2005 gab es kein Jahr, in dem wir auch nur annähernd an hundert Milliarden herangekommen wären", erklärt Klimafachmann Ernst Rauch von Munich RE, den Unterschied zu früher. Heute und auch in Zukunft seien Sturm und Flutschäden wie im letzten Jahr die "neue Normalität".

Von Überschwemmungen werden weltweit immer mehr Menschen betroffen. Nach Prognosen des PIK wird sich die Zahl der von Überschwemmung betroffen Menschen in den nächsten zwei Jahrzehnten etwa verdoppeln, in Südamerika von sechs auf zwölf Millionen, in Afrika von 25 auf 34 Millionen und in Asien von 70 auf 156 Millionen.

Verbunden mit Starkregen, Überschwemmungen, Hitzeperioden und Dürren kommt es zu einem weltweiten Wohlstandsverlust. Davon betroffen sind laut IWF vor allem ärmere Länder. Die landwirtschaftliche Produktivität leide und begünstige auch die Flucht, betont UN-Klimasekretärin Patricia Espinosa: "Wir beobachten schon jetzt Flüchtlingsbewegungen im direkten Zusammenhang mit Klimaveränderungen." 

Hitze, Dürre, Wassermangel, keine Ernte und dann Flucht. Für immer mehr Menschen geht's ums nackte Überleben. Bild: picture-alliance/dpa

Jedes Zehntel Grad zählt

Das Klimasystem ist träge. Klimaforscher vom PIK gehen davon aus, dass sich die Temperatur durch die bereits emittierten CO2-Emissionen auf etwa 1,3 Grad im nächsten Jahrzehnt erhöhen wird. Da der CO2-Ausstoß nicht von heute auf morgen gestoppt wird, steigt durch zukünftige Emissionen die Temperatur noch entsprechend weiter. Deutlich spürbar sind bisher vor allem die Wetterextreme.

Darüber hinaus hat das Ökosystem aber auch bestimmte Toleranzgrenzen "Der Unterschied zwischen 1,5 und zwei Grad ist, ob tropische Korallenriffe auf unserem Planeten noch überleben können, oder ob sie alle absterben", erklärt Rahmstorf. Das Absterben von Teilen des Great Barrier Reef in Australien ist schon jetzt ein Zeichen für einen veränderten Planeten.

Ein kritischer Kipp-Punkt im Klimasystem der Erde ist laut Weltklimarat die Eisschmelze an den Polkappen. "Wird zum Beispiel das westantarktische Eisschild destabilisiert, würde der globale Meeresspiegel um etwa drei Meter ansteigen", sagt Rahmstorf. Und das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes würde einen weiteren Meeresspiegelanstieg von "noch einmal sieben Meter bringen."

Antarktis: Tickende Zeitbombe im Klimasystem. Schmilzt das Eis, so steigt der Meeresspiegel um mehrere 60 Meter. Bild: Reuters/A. Meneghini

Eisschmelze trifft Millionen 

Klimaforscher der Shepherd Universität in Leeds gehen in ihrer gerade veröffentlichten Studie davon aus, dass bei einem effektiven Klimaschutz der Beitrag der Antarktis zum Meeresspiegelanstieg bis 2070 im "besten Fall" in der Größenordnung von einem halben Meter liege. 

Bekommt die Weltgemeinschaft den Klimaschutz aber nicht mehr in den Griff, so würde laut Studie „im schlimmsten Fall" der globale Meeresspiegel schon um mehr als einen Meter bis 2070 ansteigen und durch einen eventuell folgenden Zusammenbruch des westantarktischen Eisschildes langfristig um etwa 3,5 Meter. 

Die kurz- und langfristigen Folgen wären für viele Inseln, Küsten und Länder erheblich, besonders betroffen wären zum Beispiel Bangladesch und die Niederlande und bekannte Städte wie Venedig, New York, Tokio, London, Mumbai und Sydney.

Keine Kapazität für CO2 in der Atmosphäre

CO2 ist ein sehr beständiges Gas und baut sich in der Atmosphäre nicht ab. Jede zusätzliche Tonne in der Atmosphäre sorgt somit für mehr Treibhauseffekt und einen weiteren Temperaturanstieg. Derzeit werden vor allem durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas rund 40 Gigatonnen CO2 (40.000 Milliarden Tonnen) pro Jahr in die Atmosphäre emittiert.

Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, kann die Atmosphäre nur noch rund 200 Gigatonnen (Gt) CO2 zusätzlich vertragen, erklärt Klimaforscher Gunnar Luderer vom PIK. "Das heißt, nach fünf Jahren wäre dieses Budget erschöpft."  Es gibt aber auch noch gewisse Unsicherheiten, ob es am Ende einige Jahre mehr oder weniger Zeit gibt. Das spiegelt sich auch ineiner noch unveröffentlichten, aber bereits geleakten Arbeitsfassung des Weltklimarates zum 1,5 Grad Ziel wieder.

Luderer und seine Kollegen gehen davon aus, dass bei Beibehaltung des derzeitigen Trends weltweit noch 4000 GT CO2 bis zum Ende dieses Jahrhunderts in die Erdatmosphäre emittiert werden könnten. Die damit verbundene Erderwärmung läge bei drei bis vier Grad.

Energiesystem von heute wirkt noch lange

Was ist machbar, wenn die Weltgemeinschaft reagiert und es eine ambitionierte Politik zur CO2-Reduktion gibt? "Wir haben errechnet, dass selbst bei enormen Anstrengungen aller Länder, die fossilen Kohlenstoffemissionen bei etwa 1000 Gigatonnen CO2 verbleiben werden", erklärt Luderer, Hauptautor einer weiteren dazu gerade veröffentlichten Studie.

Die damit verbundene Temperaturerhöhung läge am Ende dieses Jahrhunderts bei etwa zwei Grad. "Dies scheint das untere Ende dessen zu sein, was selbst mit sehr ehrgeiziger Klimapolitik erreicht werden kann, da ein Großteil der Rest-Emissionen aufgrund der vorhandenen Infrastrukturen und der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen bereits fest im System drin ist", so Luderer.

CO2 muss aus Atmosphäre entfernt werden

Um die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen, reicht selbst ein sehr schneller Ausstieg nicht. CO2 müsste aus der Atmosphäre entfernt werden. "Für das 1,5-Grad Ziel brauchen wir wahrscheinlich um die 800 Gigatonnen negativer Emissionen," erklärt Luderer.

Die diesbezüglichen Herausforderungen sind groß. Bekannt ist die Wiederaufforstung und verstärkte Humusbildung im Boden. Mit Hilfe von Pflanzenwachstum lässt sich so CO2 aus der Atmosphäre entziehen. "Allerdings wäre dieser natürliche Prozess viel zu langsam für die notwendige CO2-Reduktion", sagt Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group im DW-Interview.

Wann lohnt sich CO2-Abscheidung für die Industrie?

Fell wirbt für eine technologische Beschleunigung dieses natürlichen Prozesses. Bei der sogenannten hydrothermalen Karbonisierung (HTC) wird aus Pflanzenresten und Bioabfällen unter Druck Biokohle hergestellt, die anschließend in die Böden eingearbeitet werden kann und zudem die Bodenfruchtbarkeit erhöht. Fell hält es für möglich so rund sieben Gigatonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre zu entfernen.

Eine andere Möglichkeit ist der Anbau von viel Biomasse und deren anschließender Verbrennung mit CO2-Abscheidetechnik (CCS). Das große Problem hierbei ist allerdings der große Flächenverbrauch und die Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. 

Eine weitere Technik ist die CO2-Entfernung aus der Luft durch chemische Reaktionen, wie sie derzeit in der Schweiz praktiziert wird.

Wichtig für solche Techniken ist laut Luderer ein CO2-Preis: Ab 50 Dollar pro Tonne CO2 könnte es sich für Unternehmen lohnen, solche Techniken aufzubauen. Der Preis müsste in den nächsten zwei Jahrzehnten dann auf bis zu 160 Euro steigen, "um diese notwendige Minderung einzuleiten." 

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