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"Chance für CO2-freie Energie bis 2035"

16. März 2021

Mit erneuerbaren Energien lässt sich die Welt bis 2035 komplett versorgen, sagen führende Energieexperten, katastrophale Klimafolgen ließen sich so reduzieren. Wie das geht, erklärt Prof. Eicke Weber im DW-Interview.

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Prof. Eicke Weber sieht die Photovoltaik als wichtigsten Energieträger der Zukunft.Bild: ISE

DW: Zusammen mit anderen global führenden Wissenschaftlern sagen Sie in einer Deklaration, eine klimaneutrale Energieversorgung zeitnah weltweit umsetzbar ist. Was ist das Entscheidende?

Prof. Eicke Weber: Technisch, wissenschaftlichen und ökonomisch ist diese Transformation so rasch umsetzbar, wie es laut Klimaforschung nötig ist.

Um das ganz deutlich zu sagen: Der ursprünglich Zeithorizont lag laut Weltklimarat IPCC bis 2050. Nach diesem IPCC Report von 2015 kam aber in der berühmten Veröffentlichung in den Proceedings der National Academy of Sciences vom August 2018 heraus, dass wir schon ab 2030 gefährliche Tipping Points, also Schwellenwerte, überschreiten werden, die dann das Klima in lawinenartige Prozesse rollen lassen, die dann nicht mehr aufhaltbar sind.

Eine Gefahr der Kettenreaktion ist zum Beispiel die sibirische Tundra. Taut sie auf und wird das eingeschlossene Methan aus dem früheren Permafrost freigesetzt, so wird der Klimawandel sich verstärken und beschleunigen. Das heißt: wir können nicht warten bis 2050, und müssen rascher handeln und haben den Zeithorizont nur bis 2030, 2035.

Welche Chance gibt es für einen so schnellen Umbau der Energieversorgung?

Unsere Analysen kommen alle zu dem Schluss: Wenn wir dieses Problem erkennen und als Menschheit anpacken, dann haben wir tatsächlich die Chance, uns schnell genug umzustellen. Ein emissionsfreies Energiesystem ist machbar und sogar bezahlbar.

Die entscheidende Frage ist: Erkennt die Menschheit die letzte ernsthafte Chance den Planeten bewohnbar zu halten für die nächsten Generationen, für die nächsten fünfhundert Jahre?

Was bedeutet die schnelle Umstellung?

Die positive Botschaft: Wir haben die Technologien und sie hat letzlich einen positiven Einfluss auf die Weltkonjunktur. Es sind im Prinzip Programme zur Ankurbelung der Konjunktur. Das Geld wird eben nicht mehr für die Verbrennung von Öl ausgegeben, sondern investiert, um Fabriken für Solarmodule, Batterien, Elektromobile aufzubauen, und alles was dazugehört.

Die Zukunft sieht dann natürlich ganz anders aus als bisher. Durch den Rückgang von klimaschädlichen Gasen auf null gibt es enorme Vorteile für die Umwelt. Pro Jahr haben wir derzeit schätzungsweise 7 Millionen Tote durch Umweltschäden und Umweltzerstörung als Folge der fossilen Wirtschaft. Das können wir vermeiden. Wir müssen uns nur entscheiden und es anpacken.

Wie sieht das neue Energiesystem dann aus?

Dieses Energiesystem wird vor allem auf Strom basieren. Heute deckt Strom nur ungefähr ein Viertel bis ein Drittel des globalen Energieverbrauchs. Der Rest sind thermische Energien, wie zum Beispiel das Verbrennen von Öl und Gas. Aber das umgestellte System basiert zu 80-85 Prozent auf Strom.

Strom lässt sich sehr leicht aus Erneuerbaren herstellen, aus Sonne, Wind, Geothermie und Wasserkraft. Unsere Analysen zeigen aber, dass das Hauptgewicht die Solarenergie ist, die Photovoltaik. Sie ist preiswert und praktisch unbegrenzt überall auf der Welt verfügbar.

Solarkraft ist die günstigste klimafreundliche Technik. Atomkraft ist allein aus Kostengründen keine Alternative.

Und wie funktioniert das rund um die Uhr?

Die Kosten für solaren Strom gehen sehr schnell in den nächsten Jahren Richtung ein Cent pro Kilowattstunde. Das ist ein völliger Paradigmenwechsel im Vergleich zu den Energiekosten der Vergangenheit. Selbst Kohlestrom kostet mehrere Cent pro Kilowattstunde. Natürlich muss man dann noch das Speichern von Strom dazu addieren, noch einige wenige Cent dazu. Das heißt: Der Strom für die Nacht kostet dann je nach Speichertechnologie drei bis fünf Cent pro Kilowattstunde.

Die Studien haben das stundengenau durchgerechnet und gezeigt, dass dieses Energiesystem absolut machbar und stabil ist, basierend auf heutigen Technologien.

Für so ein System werden große Fabriken gebraucht, die die Module herstellen. Wie kann diese Kapazität so schnell aufgebaut werden?

Die Photovoltaik hat ein unglaubliches Wachstum von jährlich 38 Prozent im Durchschnitt. Im Jahr 1992 waren ungefähr 0,1 Gigawatt installiert, im Jahr 2020 weltweit 700 Gigawatt. Bei Fortführung dieses Wachstums sind im Jahr 2035 weltweit ca. 60.000 Gigawatt installiert. Und die Modelle zeigen, dass man in etwa diese 60.000 Gigawatt braucht für ein Stromsystem, dass zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basiert.

Statt diesem exponentiellen Wachstum zu folgen, in dem die größten Kapazitäten erst in den letzten Jahren dazukommen und nur wenige Jahre produzieren, sollten viele große Modulfabriken besser bereits in den nächsten fünf Jahren, bis 2025, aufgebaut werden und dann zehn Jahre lang jährlich Module mit einer Gesamtkapazität von jährlich rund 6000 Gigawatt produzieren. Dies wäre ökonomisch sinnvoller.

In China entsteht bereits so eine große Fabrik. Sie kann jährlich Module mit einer Kapazität von 60 Gigawatt produzieren. Bis 2025 brauchen wir also hundert derartige Fabriken in der Welt. Was es nun lediglich braucht sind politische Weichenstellungen mit den richtigen Rahmenbedingungen und Anreizen.

Welche Reaktionen gibt es auf Ihre Initiative?

Wir sind damit am 9. Februar an die Öffentlichkeit gegangen. Innerhalb der ersten Woche hatten wir schon mehr als 1000 Unterschriften in der globalen Community und bekamen weltweit sehr positive Reaktionen. Die letzte hier gerade auf dem Tisch war von der Fraktion der Linken in Deutschland.

Grundsätzlich sind die globalen Randbedingungen dafür auch nicht so schlecht mit Präsident Biden in den USA, dem politischen Schwergewicht John Kerry als Klimabeauftragter, und in Deutschland wird vermutlich bei der Bundestagswahl im September das Thema Klima ein ganz wesentliches Argument sein. Ich sehe auch die Europäische Kommission mit Ursula von der Leyen hat sich sehr deutlich in dieser Richtung aufgestellt. Es bewegt sich etwas und ich denke die Voraussetzungen für hundert Fabriken mit je 60 Gigawatt Produktionskapazität sind nicht so schlecht.

Werden in den nächsten fünf Jahren 100 großen Fabriken für Solar-Modulen gebaut, könnte die Welt bis 2035 komplett CO2-frei mit Strom versorgt werden.

Wie wird die fossile Wirtschaft auf diesen Vorschlag reagieren?

Es ist vollkommen klar, dass der Prozess, den wir skizziert haben, auf große Widerstände stößt. Die fossile Energiewirtschaft macht Milliardengewinne und hat tausende Milliarden in Infrastruktur investiert, um fossile Energie nutzbar zu machen. Und alle diese Menschen und Aktionäre werden natürlich nicht glücklich darüber sein, wenn plötzlich ihre wunderbaren Gelddruckmaschinen nicht mehr funktionieren.

Ich sehe die Gefahr, dass diese Firmen im Hintergrund alles tun werden, um politischen Einfluss auszuüben, um die Entwicklung zu verlangsamen und um so möglichst lange noch weiter viel Geld zu verdienen.

Und diese Industrie hat finanzielle Möglichkeiten, sponsort Thinktanks wie "Eike" und die "Intitiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Es gibt diese starken Kräfte, und sie versuchen, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Das ist das Problem.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass wir 2035 weltweit klimaneutral sein werden?

Vor zwei Jahren hätte ich gedacht null Prozent Wahrscheinlichkeit. Kein Mensch wird so etwas schaffen. Als die Pandemie vor einem Jahr ausbrach, habe ich gemerkt, dass es Dinge gibt, die vorher undenkbar waren. Und heute mit der Bewegung Fridays for Future mit all den Ablegern wie Parents for Future, Scientists for Future, die überall auf der Welt unterwegs sind, würde ich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit heute bei 30 bis 40 Prozent liegt, mit steigender Tendenz!

Prof. Eicke Weber leitete das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg von 2006 bis 2016, war Director of the Berkeley Education Alliance for Research in Singapore und lehrte 23 Jahre an der University of California. Heute ist er Vorsitzender der European Solar Manufacturing Counxil. Weber gehört zu den renommiertesten Solarforschern der Welt und erhielt mehrfach hochrangige Auszeichnungen.

Das Interview führte Gero Rueter.

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