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"Klimaneutralität bis 2050 ist eine Illusion"

5. Februar 2020

Der Wohlstand eines Landes ist noch immer mit hohen CO2-­Emissionen pro Kopf verbunden, so eine aktuelle Studie der Deutschen Bank. Autor Eric Heymann erklärt im DW-Interview, warum das auf absehbare Zeit auch so bleibt.

Symbolbild Klima
Bild: Imago-Images/Action Pictures/P. Schatz

Deutsche Welle: Herr Heymann, warum ist Wohlstand immer noch so eng mit dem CO2-Ausstoß eines Landes verknüpft?

Eric Heymann: Wohlstand geht in der Regel damit einher, dass wir auch relativ viel Energie verbrauchen. Auf globaler Ebene basiert der Energieverbrauch immer noch zu rund 80 Prozent auf fossilen Energieträgern. Insofern gibt es diese direkte Verbindung zwischen Wohlstandsniveau und CO2-Emissionen.

Welche Länder haben Sie in Ihrer Untersuchung besonders in den Fokus genommen?

Wir haben uns die G-20-Staaten insgesamt angeschaut, um diesen Zusammenhang festzustellen und unsinnerhalb dieser Gruppe auf ein paar Länder konzentriert wie die USA, das Land mit dem höchsten Wohlfahrtsniveau. Dort liegen auch die CO2-Emissionen über dem Durchschnitt. Zwar haben die USA in den letzten Jahren Fortschritte erzielt, etwa durch unkonventionelle Gasvorkommen wie Schiefergas. Außerdem ist auch in den USA die Fahrzeugflotte im Laufe der Jahre effizienter geworden. Trotzdem sind die USA noch immer eine sehr CO2-intensive Volkswirtschaft. Die Autos, die dort auf den Straßen unterwegs sind, verbrauchen immer noch mehr Treibstoff als in Europa. In den USA haben wir auch ein anderes Verhalten bei Flugreisen, fliegen gehört dort viel mehr zum Alltag als in anderen Ländern. Der relativ geringe Anteil des verarbeitenden Gewerbes von knapp über 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den USA ist also gar nicht so maßgeblich für die CO2-Emissionen. Das wird überkompensiert durch den hohen Alltagskonsum.

Sie haben gerade den Industrieanteil angesprochen. Der ist einem Land wie Deutschland noch immer sehr hoch. Was bedeutet das für den CO2-Ausstoß?

Güterverkehr in Deutschland: Hohe CO2-Emissionen entstehen auch durch eine sehr arbeitsteilige Volkswirtschaft Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Probst

Vielleicht kann man da einen direkten Vergleich mit Frankreich oder Großbritannien ziehen. In Deutschland liegt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung noch bei über 21 Prozent. In Frankreich und Großbritannien sind es nur um die 10 Prozent und das ist ein Grund dafür, dass wir in Deutschland auch bei den Pro-Kopf-Emissionen deutlich über dem Niveau von Großbritannien oder Frankreich liegen.

Das ist aber nur ein Grund. Wir haben in Deutschland durch den hohen Industrieanteil auch ein relativ hohes Güterverkehrs-Aufkommen. Wir haben - anders als Frankreich oder Großbritannien - eine sehr polyzentrische Wirtschaftsstruktur, wo wir nicht auf eine Region wie Paris oder London konzentriert sind, sondern wo Industriebetriebe über das gesamte Land verteilt sind. Durch unsere sehr arbeitsteilige Industrie haben wir ein sehr hohes Verkehrsaufkommen und - relativ banal - hat Deutschland gegenüber südeuropäischen Ländern einfach einen höheren Heizwärmebedarf. Das sind alles Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, dass wir einen hohen CO2-Ausstoß pro Kopf haben. Dazu kommt, dass die Braunkohle als sehr CO2 intensive Form der Stromerzeugung im deutschen Stromsektor noch immer eine große Rolle spielt.

Nicht nur Deutschland hat einen hohen Industrieanteil, das gilt auch für China. Wie sieht es da aus?

China hat in den letzten Jahren einen starken Zuwachs bei den Pro-Kopf-Emissionen gehabt. Das hängt damit zusammen, dass das Land stark industrialisiert wurde. Ein wesentlicher Wendepunkt war der WTO-Beitritt Chinas Ende 2001. Seitdem sind der Energieverbrauch und damit die CO2-Emissionen, aber auch die Integration des Landes in die globale Wertschöpfungskette steil angestiegen. In China hat man noch einen hohen Anteil der Kohle beim Primärenergieverbrauch. Zwar sind auch in China die erneuerbaren Energien in den letzten Jahren stark gewachsen, aber die Kohle dominiert nach wie vor. Und durch die hohen Exporte Chinas in andere Länder exportiert das Land in gewissem Sinne auch CO2 in andere Länder, wo die Produkte konsumiert werden. Wenn man sich das anschaut, liegt China bei den Pro-Kopf-Emissionen ungefähr zwischen Deutschland und Großbritannien. Das Land hat hier bei den Pro-Kopf Emissionen zum Niveau westlicher Industrieländern aufgeschlossen.

Die Prognose ist daher relativ eindeutig: Das Land wird weiter wachsen und damit wird auch der Energieverbrauch steigen. So negativ diese Botschaft für das Klima auch ist: China wird wohl weiterhin auch auf die Kohle setzen müssen. Denn nur mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, der dort massiv voranschreitet, wird es nicht gelingen den Energieverbrauch zu stillen.

Eric Heymann ist Experte für Klimapolitik bei Deutsche Bank ResearchBild: Deutsche Bank

Ein anderes großes Schwellenland mit einer Milliarden-Bevölkerung ist Indien. Wo steht das Land in ihrer Studie?

Indien ist nach wie vor ein sehr armes Land, wenn man sich die Durchschnitts-Einkommen anschaut. Innerhalb der G-20-Staaten ist es das Land mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen. Das spiegelt sich in relativ niedrigen CO2-Emissionen wider. Das ist das Gegenteil zu den USA, die ein reiches Land mit hohen Emissionen pro Einwohner sind. Trotzdem haben auch in Indien die Emissionen zugenommen, das Land ist in den letzten Jahren sehr rasant gewachsen.

Zugleich hängt ein großer Anteil des Energieverbrauchs an der Kohle. Zwar investiert auch Indien in erneuerbare Energien, aber den steigenden Energiebedarf kann das Land nicht allein mit Erneuerbaren decken und so finden auch massive Investitionen in Kohle statt. Doch trotz dieser Investitionen und der hohen Abhängigkeit von der Kohle sind die Pro-Kopf-Emissionen in Indien noch sehr niedrig, weil das Wohlstandsniveau ebenfalls niedrig ist. Wenn man sich den Alltag eines Inders anschaut: Dort ist individuelle Mobilität mit dem Auto oder mit dem Flugzeug die absolute Ausnahme. Beim Heizwärmebedarf oder in der Kommunikation haben wir weiter ein deutlich niedrigeres Konsumniveau als in westlichen Ländern. Und das zeigt sich dann auch in den niedrigen CO2-Emissionen.

Was bedeutet all das für die Zukunft, wenn wir uns die G20 ansehen?

Es gibt sicher einige Länder, die noch immense Potenziale hätten ihren CO2-Verbrauch zu reduzieren, ohne dass man dadurch merkliche Wohlfahrtseinbußen spüren würde, wo Energie heute unnötigerweise verschwendet wird, weil vielleicht die Energiepreise noch zu niedrig sind. Das gilt nicht nur für die USA, das gilt auch für Länder, in denen 'Energie gefördert' wird wie Saudi-Arabien, Kanada oder Australien. Dort sind die Energiepreise deutlich niedriger und wenn es dort kein Signal gibt, dass Energie ein knappes Gut ist, dann ist der Anreiz für private Haushalte und Unternehmen nicht so groß, um in effizientere Technologien zu investieren, die ja durchaus mehr Komfort bedeuten können. Dort gibt es noch Potenziale.

Durch den wachsenden Wohlstand werden auch in Indien die CO2-Emmissionen stark ansteigenBild: picture-alliance/NurPhoto/I. Aditya

Die EU-Kommission hat jetzt das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ausgerufen, ein sehr kurzer Zeitraum. Und das soll möglichst nicht zu Lasten des Wohlstands gehen. Frankreich kommt diesem Ziel bislang am nächsten: es ist relativ wohlhabend und hat zugleich ziemlich niedrige CO2-Emissionen pro Kopf - auch durch den hohen Anteil an Atomkraft bei der Stromerzeugung. Trotzdem ist Frankreich von der Klima-Neutralität noch weit entfernt. Wir brauchen auf jeden Fall noch bessere Technologien, um den weiter wachsenden globalen Energieverbrauch möglichst CO2-arm zu befriedigen.

Wie realistisch ist es, dass höher entwickelte Länder wie Deutschland oder die USA zusätzliche CO2-Emissionen durch den wachsenden Wohlstand in China und Indien kompensieren können?

China hat im Pariser Klimaschutzabkommen zugesagt, dass die CO2-Emissionen des Landes 2030 ungefähr ihren Höhepunkt erreichen sollten. Wie es aussieht, könnte das Land das schaffen. Denn es steckt noch relativ viel Potenzial in der Energieeffizienz, indem man ineffiziente Kraftwerke durch bessere, effizientere ersetzt. Insofern ist China schon relativ weit und hat ein Niveau erreicht, wo man argumentieren kann: das muss nicht mehr lange stark ansteigen. Während viele andere Länder - da, wo die Bevölkerung im Durchschnitt ärmer ist - noch aufholen werden. Und dort, wo noch ein großer Teil der Energieversorgung auf fossilen Energieträgern basiert, führt das auf globaler Ebene zu weiter steigenden CO2-Emissionen. Das sagen auch die Prognosen der Internationalen Energie-Agentur (IEA).

Die CO2-Emissionen werden zwar nicht mehr so stark wie in den Nullerjahren oder in den letzten 30 bis 40 Jahren steigen. Der Anstieg wird gebremst durch technischen Fortschritt, durch mehr Effizienz und auch durch erneuerbare Energien. Aber wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die CO2-Emissionen vorerst noch weiter steigen werden.

Die Abhängigkeit der Welt von fossilen Energieträgern ist mit 80 Prozent noch immer immens. Selbst in Deutschland, wo wir seit 20 Jahren an der Energiewende arbeiten, haben wir beim Primärenergieverbrauch immer noch eine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern von knapp 80 Prozent.

Stichwort Klima-Neutralität: Wie realistisch ist dann das Ziel der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen, dass Europa bis 2050 klimaneutral wird?

Aus heutiger Sicht ist Klimaneutralität nicht möglich, ohne eine massive Änderung von Produktions- und Konsumgewohnheiten hinzubekommen. Und das wäre politisch in Demokratien nur schwer durchzusetzen. Man sieht es ja aktuell: Wir sind gerade erst am Beginn der Kostendebatte beim Klimaschutz und es wird jetzt schon von gewissen politischen Kräften instrumentalisiert. Insofern ist mit den heute verfügbaren Technologien und dem heutigen Konsumniveau Klimaneutralität eine Illusion.

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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