Klimaschutz: Gericht verurteilt Regierung zu Nachbesserung
17. Mai 2024
Die Bundesregierung muss ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe.
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Im Ringen um den Klimaschutz hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine neue Niederlage einstecken müssen. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg muss die Bundesregierung ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen. Die bisher aufgelisteten Maßnahmen reichten nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen, urteilten die Richter - und gaben damit zwei Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) statt.
Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben
In seiner bisherigen Form erfülle das im vergangenen Oktober beschlossene Programm nicht vollständig die gesetzlichen Vorgaben, sagte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle in ihrer Urteilsbegründung. Schon jetzt sei absehbar, dass von 2024 bis 2030 viele Sektoren die zulässigen Mengen an ausgestoßenen Treibhausgasen überschreiten werden - voraussichtlich mit Ausnahme der Landwirtschaft.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sagte der Deutschen Presse-Agentur zu dem Urteil: "Heute ist ein guter Tag für den Klimaschutz." Die Bundesregierung müsse nun rasch handeln und das Klimaschutzprogramm kurzfristig nachbessern. Eine wesentliche Forderung seines Vereins ist ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen, auf anderen Straßen außerhalb von Ortschaften Tempo 80 und innerorts Tempo 30.
Das Urteil könnte weitreichende Folgen für die Politik der Ampel-Regierung haben - sofern es umgesetzt werden muss. Denn die Bundesregierung kann noch in Revision gehen. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht erneut am Zug. Auf Anfrage wollte sich die Bundesregierung zunächst nicht zu ihrem weiteren Vorgehen äußern.
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Das Klimaschutzprogramm gilt als eine Art Gesamtplan der Bundesregierung
Die Umwelthilfe war zuletzt schon einmal juristisch gegen die Klimapolitik der Bundesregierung vorgegangen und errang im November 2023 einen Sieg. Damals urteilte das OVG Berlin-Brandenburg, dass die Regierung ein Klima-Sofortprogramm in den Sektoren Verkehr und Gebäude auflegen muss. Dagegen läuft die Revision beim Bundesverwaltungsgericht.
David gegen Goliath: Die Deutsche Umwelthilfe
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt erfolgreich gegen Abgasbetrug, dreckige Luft und untätige Politik. In Deutschland erzielt der Umweltverband sehr große Aufmerksamkeit und Respekt. Wie arbeitet und wer ist die DUH?
Bild: Maximilian Geiß / DUH
Manipulation mit Todesfolge
Schon seit über 20 Jahren kämpft die DUH für saubere Luft und eine zukunftsfähige Mobilität. Hier protestiert sie 2015 vor der Internationalen Automobil -Ausstellung (IAA) gegen Abgasmanipulation und -betrug. Sie werfen den Automobilherstellern vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in vielen tausend Fällen vor.
Bild: Maximilian Geiß / DUH
Indizien für illegale Abgasmanipulation
Die Abgasmanipulationen von VW wurden im September 2015 bekannt. Nachmessungen vom International Council on Clean Transportation (ICCT) brachten den Skandal ins Rollen. Seit 2016 misst deshalb auch die DUH als bisher einziger Umweltverband die Emissionen von PKW selber. Sie stellte fest, dass es bei vielen Diesel-PKW Indizien für illegale Abgasabschalteinrichtungen gibt.
Bild: Holzmann/DUH
Kontrollen setzen Autoindustrie unter Druck
Ein DUH-Abgastest auf der Straße: Im Durchschnitt pusten Diesel-PKW sechs Mal mehr giftiges Stickstoffdioxid aus als erlaubt und von den Herstellern angegeben wird. Außer VW streiten alle Hersteller ab, dass ihr Vorgehen illegal sei und weigern sich die Fahrzeuge in Europa nachzurüsten oder die Besitzer zu entschädigen.
Bild: DUH
Erfolge bei Klagen für saubere Luft
Seit 2010 muss die Luft in den deutschen Städten sauberer sein. Zum Schutz der Gesundheit darf der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) deshalb nicht überschritten werden. Doch viele Städte halten die Grenzwerte nicht ein da Diesel-PKW zu viel giftiges NO2 ausstoßen. Die Gerichte geben der DUH recht: Die Städte müssen handeln und notfalls auch mit Fahrverboten.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow
DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch
Die DUH ist seit dem Dieselskandal in den Medien präsent. Mit den Autotests, Klagen und der Aufklärungsarbeit ist die DUH ein Stachel im Fleisch der Autoindustrie. Wird die DUH-Forderung zur Nachrüstung von Diesel-PKW wie in den USA umgesetzt, so würden viele tausend Menschen weniger in Europa sterben - sagen Epidemiologen. Doch für die Autoindustrie wäre dies teuer.
Bild: DUH/R. Lehmann
Bessere Kraftstoffe, besser Luft
Die DUH wurde 1975 gegründet. Wie andere Umweltverbände engagierte sie sich in den 1980er Jahren gegen das Waldsterben. In einer Allianz mit der deutschen Autoindustrie kämpfte die DUH erfolgreich für die Einführung von schwefelfreien und benzolarmen Kraftstoffen. Bis 2003 werden diese eingeführt und ermöglichten neue Techniken der Abgasreinigung.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger
Umweltverband mit Klagerecht
Die DUH ist seit 2004 ein klageberechtigter Verbraucherschutzverband. Sie testet zum Beispiel die hergestellten Waschmaschinen und kontrolliert die Herstellerangaben. Bei Verstößen gegen Wettbewerb und Verbraucherschutz mahnt die DUH die Hersteller ab und leitet auch Gerichtsverfahren ein. Gegen solche Kontrollen wehrt sich nur die Autoindustrie.
Bild: Imago/B. Classen
Von der Kampagne zum Gesetz
Die DUH gehört zu den großen deutschen Umweltverbänden und genießt großen Respekt. Es geht um weniger Müll, weniger Plastik, Recycling, saubere Luft und Wasser, Energiewende, Klima- und Artenschutz. Ein großer Erfolg war die Kampagne gegen die Dosenflut: 2003 wurde deshalb in Deutschland das Dosenpfand eingeführt.
Bild: picture-alliance/dpa
Woher kommt das Geld?
100 Angestellte hat die DUH. Sie klären auf, machen Bildungsarbeit, Kampagnen wie Handyrecyling und kümmern sich um den Verbraucherschutz. Der Etat liegt bei 8,1 Millionen Euro und stammt aus Mitteln von Bundesbehörden, der EU, Stiftungen, Abmahngebühren und Spenden. Der einzige Spender unter den Autobauern ist Toyota. Er gibt 50.000 Euro pro Jahr für ein Projekt mit umweltfreundlichen Taxis.
Bild: imago/momentphoto/Killig
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Basis für die nun verhandelten DUH-Klagen waren wie damals die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes für verschiedene Sektoren zur Minderung des Ausstoßes an Treibhausgasen für die Jahre 2024 bis 2030. Zudem ist im Gesetz das Ziel verankert, diese Emissionen in ihrer Gesamtheit bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Im Vorjahr waren rund 46 Prozent Minderung erreicht.
Das Klimaschutzprogramm gilt als eine Art Gesamtplan der Bundesregierung, um diese Ziele zu erreichen. Es listet zahlreiche Maßnahmen in den Sektoren Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft auf.