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Hirten im Himalaya, die Letzten ihrer Art?

Jitendra Choubey
5. Dezember 2018

Das Hirtenvolk der Gaddi lebt im Himalaya seit Jahrhunderten von dem, was die Natur ihnen bietet. Die aber verändert sich mit dem Klimawandel und die Hirten versuchen mühsam ihre Tradition zu bewahren.

 Ein Mann sitzt in den Bergen auf dem Boden. Sein Pferd steht im Hintergrund
Bild: Jitendra Choubey

Es ist Herbst im Dhaulagiri-Gebirgsmassiv im hohen Norden Indiens. In diesem abgelegenen Teil des Himalayas, wo sich Serpentinen an die steilen Berghänge klammern, gibt es viele Kiefernwälder und hier leben Hirten mit ihrem Vieh. Im malerischen Dörfchen Kandral, in dem das halbnomadische Hirtenvolk der Gaddi lebt, sollten eigentlich Geblöke und das Klingen von Glöckchen allgegenwärtig sein - doch stattdessen: Stille.

Ranjit Singh und vier andere Hirten haben ihre Herden bei Verwandten hoch in den Bergen gelassen, um herunterkommen zu können und das alljährliche Dham-Fest zu feiern. Früher hätten sie ihre Tiere einfach mitgebracht und wären nach dem Fest geblieben, bis sie für die Wintermonate noch weiter hinab gezogen wären. "Traditionell war das die Zeit, wo unsere Herden bei uns gewesen wären und das Gras gefressen hätten, das wir für sie gesammelt haben, während wir sie scheren und die Wolle verkaufen", sagt Ranjit Singh.

Hirten transportieren alles Wesentliche auf dem PferderückenBild: Jitendra Choubey

Der stämmige 58-Jährige sitzt vor einem zweistöckigen Betonhaus, das sich an den Berghang schmiegt. Die Behausung hat schon bessere Tage gesehen. Der Boden hat an vielen Stellen Risse bekommen. Die Einheimischen glauben, daran seien Erdrutsche schuld, verursacht durch Entwaldung und Überweidung. Singh fürchtet, dass das gesamte Gebäude einstürzen könnte.

Gefährdet ist auch seine Art zu leben: Er verbringt den größten Teil seiner Zeit draußen, schläft in behelfsmäßigen Unterständen, trinkt aus Bächen und isst Mahlzeiten aus getrockneten Früchten, Mehl und Reis, die er auf seinem Pferd transportiert.

Der Klimawandel bedroht die lange Tradition im Himalaya

Traditionell zogen er und die anderen Hirten vom Tiefland ins Hochland, um die saisonal verfügbaren Weidegründe auf den verschiedenen Höhenlagen zu nutzen. Aber das sich verändernde Klima in diesem Teil des mittleren Himalaya hat den Rhythmus ihres Lebens durcheinandergebracht.

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Früher begann Singh seine jährliche Reise im April, wenn er zur Langa-Kinnaur Bergspitze auf 5000 Meter über dem Meeresspiegel aufbrach. Im September kam er runter auf etwa 2500 Meter, bevor er im Dezember ins Vorgebirge herunterstieg. Dort blieb er bis der Zyklus im Frühjahr von Neuem begann.

Damals war allerdings auch auf die Niederschläge Verlass. Dem Indian Meteorological Department (IMD) zufolge gab es im November 2014, 2016 und 2017 fast keine Winterniederschläge.

Im Himalaya wird Weideland von Unkraut, Landwirtschaft und teilweise von Nadelwäldern verdrängt, in denen kein Gras wächstBild: Jitendra Choubey

Ranbir Singh Rana, leitender Wissenschaftler in der Abteilung für Agronomie und Grasland-Management an der Himachal Pradesh Agriculture University (HPKV), sagt, die Veränderung habe weitreichende Auswirkungen. Verantwortlich dafür macht er den Klimawandel . "Weniger Schneefall in den mittleren Höhen belastet die Weidegründe, um die sich diese Hirten seit Jahrhunderten kümmern."

Futtersuche in höheren Bergregionen

Um sicherzustellen, dass ihre Tiere genug zu fressen bekommen, ignorieren die Hirten inzwischen den "festen Zeitplan", der festlegt, wie lange jeder Hirte an einem gewissen Ort bleiben darf, sagt Akshay Jasrotia, ein Bauer und Mitglied der Himachal Pradesh Ghumantu Mahasabha, einer Vereinigung, die für die Rechte der Hirten kämpft.

"Indem sie länger bleiben, steigt auch das Risiko von Überweidung, das die Umwelt zusätzlich belasten kann", erklärt er gegenüber der DW.

Auf der Suche nach Weidegründen steigen die Hirten auf neuen Wegen auch immer weiter den Berg hinauf. Aber das hat Berichten zufolge zu einer höheren Sterberate bei den Schafen geführt - wahrscheinlich aufgrund der schlechteren Qualität des Grases. Kleinere Herden bedeuten wiederum, dass es weniger Wolle, Fleisch und Milch zum Verkaufen gibt, was das Leben als Hirte insgesamt noch weniger lukrativ macht.

Dadurch, dass viele Menschen weggezogen sind, haben sich die Dörfer verändert und die traditionelle Lebensweise ist in GefahrBild: Jitendra Choubey

Nicht für alle ist weniger Schnee ein Nachteil

Die wärmeren Temperaturen erschweren nicht nur das Grasen der Herden, sie haben auch Bauern angelockt, die in den längeren Vegetationszeiten Nutzpflanzen anbauen. In einigen Gegenden hat sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt - für die Hirten keine gute Nachricht.

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"Es gibt Berichte aus verschiedenen Teilen von Himachal Pradesh von teilweise gewalttätigen Konflikten zwischen Dorfbewohnern, die Nutzpflanzen anbauen, und Hirten, deren Tiere auf diesen Feldern grasen", erzählt Prakash Bhandari, ein Aktivist, der für die Non-Profit-Organisation Himdhara in Kangra arbeitet und sich für den Schutz der Wälder einsetzt.

Zudem bedrohen invasive Büsche und Sträucher wie Lantana (Ziergras), Parthenium und  Ageratina adenophora (Drüsiger Wasserdost) die Weidegründe. Die Pflanzen stammen ursprünglich weder aus Indien noch aus Asien. Dank der milderen Temperaturen breiten sie sich aber in immer höheren Lagen aus und verdrängen dabei die heimischen Pflanzen, die Ziegen und Schafe fressen.

Eine sterbende Kultur?

Ranjit Singh hat noch nie vom Konzept des menschengemachten Klimawandels gehört, aber er weiß, was er sieht und sorgt sich um die Zukunft seiner Weidegebiete.

Wie sich herausgestellt hat, können sich Ziegen besser an die Bedingungen in höheren Lagen anpassen als SchafeBild: Jitendra Choubey

"Es ist schwer für uns, diese jahrhundertealte Tradition aufrechtzuerhalten", sagt er, sichtlich resigniert. "Inzwischen arbeiten nur noch sieben Familien in diesem Dorf als Hirten." Es waren einmal 25. Die anderen Gaddi-Hirten, die einst bergauf, bergab in die Fußstapfen ihrer Vorfahren traten, sind entweder in die Städte gezogen oder arbeiten anderswo - oft als Landarbeiter.

Und in vielen anderen Dörfern sieht es ähnlich aus. Auch Singh sagt, er habe darüber nachgedacht, das Hirtendasein aufzugeben. Aber es ist das, was er kann und kennt. Es ist seine Kultur, zu der auch das Dham-Fest gehört.

"Das ist die einzige Zeit des Jahres, an der wir unsere Leute treffen, viele verschiedene Speisen genießen, Ehen arrangieren oder zukünftige Zusammenkünfte und andere gesellschaftliche Veranstaltungen planen", erklärt Singh.

Wenn die Feierlichkeiten vorüber sind, wird er sein schwer beladenes Pferd wieder den Berg hinauf führen, dorthin, wo seine Herde gutes Gras findet. Das mag nicht der langen Tradition hier im Himalaya  entsprechen, aber für ihn gibt es keine wirklich Alternative.

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