1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hitzewellen: Gefahr für werdende Mütter

Catherine Davison
9. Juni 2022

Zu wenig Fruchtwasser, mehr Totgeburten, kaum Muttermilch: Rekordtemperaturen wie in den vergangenen Monaten in Indien gefährden Schwangere und Neugeborene. Die Frauen wissen das oft nicht.

Babita Baswal, 32, steht vor der Entbindungsstation des Safdarjung-Krankenhauses in Delhi
Babita Baswal berichtet, dass sie sich in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft schwindlig und krank fühlt, wenn die Hitze zu stark wirdBild: Catherine Davison

Diese Übelkeit und ständig das Gefühl, immer und überall gleich einschlafen zu können! Babita Baswal ist im neunten Monat schwanger, als Südasien im April dieses Jahres von einer Hitzewelle heimgesucht wird. In Delhi steigen die Temperaturen zu der Zeit auf 49 Grad Celsius. Nach einem besonders heftigen Brechanfall lässt sich die 32-jährige im Safdarjung-Krankenhaus aufnehmen. Die Diagnose: extreme Dehydrierung.

In diesen Tagen ist das kein Einzelfall, wie Dr. Ana erzählt. Die Ärztin betreut die Risikoschwangerschaften in der Klinik. In den zurückliegenden Wochen hatten viele Frauen auf der Entbindungsstation mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen.

"Die meisten von ihnen sind dehydriert, schwitzen und haben Herzrasen", berichtet die Ärztin. Bei so einer Tachykardie schlägt das Herz im Ruhezustand mehr als 100 Mal in der Minute. "Aber die Frauen klagen nicht, weil das ja in Schwangerschaften durchaus vorkommen kann."

Hitzewellen sind in Indien nichts Ungewöhnliches. Nur kletterten die Temperaturen in diesem Jahr viel früher als sonst. Die Höchstwerte erreichten sie lange vor dem Sommer. Nordwest- und Zentralindien erlebten den heißesten April seit 122 Jahren, meldete der Indische Wetterdienst.

Den finnischen Meteorologen Petteri Taalas wundert diese Hitze nicht. Im Gegenteil; der Generalsekretär der Weltwetterorganisation WMO erklärt im Mai: "Wir erwarten bei dem sich verändernden Klima mehr solcher Wetterereignisse."

Mütter auf der Entbindungsstation des Safdarjung-Krankenhauses in Delhi während des Höhepunkts der Hitzewelle im Mai Bild: Catherine Davison

Der Klimawandel führt in weiten Teilen der Welt zu extremer Hitze. Experten warnen bereits vor möglichen gesundheitlichen Folgen für Mütter und Neugeborene.

"In den Sommermonaten sehen wir viele Fälle von Oligohydramnion. Die Mütter haben dann zu wenig Fruchtwasser. Außerdem sehen wir mehr Frühgeburten und Frauen mit vorzeitigen Wehen", sagt Dr. Karishma Thariani. Sie ist spezialisiert auf Risikogeburten und arbeitet als Beraterin bei der indischen gemeinnützigen Organisation für Müttergesundheit ARMMAN. "Und die Sommermonate werden in Indien immer schlimmer."

Hitzewellen bedrohen ungeborene Kinder

Klettert das Thermometer um ein Grad Celsius, steigt das Risiko von Früh- und Totgeburten um fünf Prozent. Das ist das Ergebnis einer Meta-Analyse von 70 Studien über die Auswirkungen von Hitzewellen auf schwangere Frauen.

Laut einer australischen Studie stieg die Anzahl der Totgeburten in Hitzeperioden um 46 Prozent. Die meisten Studien sahen einen Zusammenhang zwischen Belastungen für die Mutter während der Schwangerschaft durch extreme Hitze und niedrigem Geburtsgewicht später beim Kind.

"Der mit der globalen Erwärmung einhergehende Temperaturanstieg könnte erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern haben", heißt es der Studie vom Wits Reproductive Health and HIV Institute (WRHI). Das interdisziplinäre Forschungsinstitut mit Sitz in Südafrika schreibt dazu weiter in seinem Report, dass sich die Öffentlichkeit der Risiken von Hitzeeinwirkung während der Schwangerschaft kaum bewusst zu sein scheint.

Die meisten Studien wurden jedoch in wohlhabenderen Ländern durchgeführt. Besonders gefährdet sind schwangere Frauen in ärmeren Ländern. Denn gerade dort können sich die Frauen viel weniger vor extremer Hitze schützen. Außerdem müssen sie in diesen Ländern häufig auch noch am Ende der Schwangerschaft weit über ihre "Hitzetoleranzgrenze" hinaus arbeiten, um Geld zu verdienen.

Nur wer über genügend Geld verfügt und sich den Luxus leisten kann, einen Gang runterzuschalten, kann sich abkühlen und mit ausreichend Wasser versorgen Bild: Catherine Davison

Die Experten rechnen damit, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auch unterschiedlich stark von der Hitze betroffen sein werden. So sagt die WRHI-Wissenschaftlerin Dr. Darshnika Pemi Lakhoo: "Selbst in ein- und derselben Stadt sind die Menschen den Temperaturen ganz unterschiedlich ausgeliefert."

Ärmere Frauen haben "keinen Zugang zu Klimaanlagen oder Kühlschränken. Selbst Ventilatoren helfen nicht, wenn im Haus die Stromversorgung unregelmäßig ist", sagt Dr. Thariani.

323 Millionen Menschen in Indien haben bei Hitze keine Möglichkeit sich abzukühlen, heißt es in einem kürzlich erschienen Bericht. Baswal hat Glück, sie hat zu Hause eine Klimaanlage. Doch während der Hitzewelle kommt es immer wieder zu Stromausfällen, manchmal gibt es drei Stunden lang keine Elektrizität. Wenn dann die Temperaturen steigen, wird ihr schwindelig und sie muss sich erbrechen, erzählt sie. Nach der Ultraschalluntersuchung war ihr daher geraten worden, möglichst viel zu trinken.

Steigende Temperaturen gefährden auch Kleinkinder

Aber auch für die neugeborenen Kinder ist die enorme Hitze gefährlich. So sind während der Hitzewelle 2010 in einem nichtklimatisierten Krankenhaus in Ahmedabad mit jedem Grad Celsius, den das Thermometer damals über die 42 Grad kletterte, die Verlegungen der Kinder auf die Intensivstationen um durchschnittlich 43 Prozent gestiegen. Das konnte in einer Studie damals belegt werden.

Wegen der Hitze leiden die Mütter an Flüssigkeitsmangel. Viele Frauen können ihre Kinder daher nicht stillen, sagt Dr. Ana.

Unterernährung bei Kindern ist schon jetzt ein Problem in Indien. Schätzungen gehen davon aus, dass zwei Drittel aller Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren auf mangelnde Ernährung zurückzuführen sind. Forscher befürchten außerdem weitere gesundheitliche Folgen. Denn die Hitzewellen dürften die Lebensmittel- und Wasserknappheit weiter verschärfen, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wird dadurch begünstigt.

Vulnerable Gruppen, zu denen Kinder und schwangere Frauen zählen, sind am stärksten gefährdet. So hat sich wegen des Klimawandels das Denguefieber in den vergangenen Jahren in immer neue Regionen ausgebreitet. Vor allem Kinder sterben daran.

Patienten und Familienangehörige warten in der Hitze vor der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie des Safdarjung-Krankenhauses in DelhiBild: Catherine Davison

Forschung und politischer Wandel

Die gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze auf Mütter und ihre Neugeborenen müssten aber noch weiter erforscht werden, meint Dr. Lakhoo. "Dieser Zusammenhang ist nicht annähernd so gut untersucht wie die indirekten Auswirkungen", sagt sie. Ein besonderes Problem sind dabei die ärmeren Länder, die ihrer Meinung nach "in der Forschung unterrepräsentiert sind".

Dr. Thariani kann dem nur beipflichten. Es ist "das erste Mal, dass mich jemand nach meiner Meinung zu diesem Thema fragt", sagte sie im Interview mit der DW.

ARMMAN sensibilisiert Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen für die Symptome eines Hitzschlags bei Schwangeren. In Schulungen lernen die Teilnehmer, wie wichtig es ist, ausreichend zu trinken. Dr. Thariani fordert aber auch von der Regierung, dass die mehr tun müsse, um über die Gefahren der Hitzeexposition während der Schwangerschaft aufzuklären.

Die Quantifizierung der direkten Folgen kann dazu beitragen, bessere politische Maßnahmen zu ergreifen und die Gesundheitssysteme zu stärken, sagt Dr. Lakhoo. "Der Klimawandel wird die größte gesundheitliche Bedrohung in diesem Jahrhundert sein", sagt sie. "Daher ist es wirklich wichtig, dass wir in diesem Bereich weiter forschen, die Erkenntnisse in die Praxis überführen und damit am Ende das Leben der Menschen verbessern."

Die vom WRHI gesammelten Daten werden für die Erprobung eines Monitorings in Südafrika verwendet. Bei hohen Temperaturen soll es als Frühwarnsystem für die Krankenhäuser und Arztpraxen dienen. "Wenn wir zum Beispiel wissen, dass es vier oder fünf zusätzliche Frühgeburten geben wird, wenn die Temperatur einen bestimmten Wert erreicht, können wir diese Information nutzen, um die Gesundheitssysteme auf diese zusätzliche Belastung vorzubereiten", erläutert Dr. Lakhoo.

"Bei der Arbeit in diesem Bereich geht es nicht nur um die Forschung", fügt sie hinzu. "Es geht auch darum, Anwalt zu sein für die gesundheitlich Schwächsten: Die Schwangeren und die neugeborenen Kinder."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen