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Retten Bauern unsere Insekten?

10. Februar 2020

Ob Heuschreckenplage in Ostafrika oder Insektenschwund in Deutschland: Diese Katastrophen sind auf den Klimawandel, den großen Bedarf an Nahrungsmitteln und Fehler in der Landwirtschaft zurückzuführen.

Brandenburg | Hitzewelle und Trockenheit: abgeerntetes Getreidefeld bei Welzow
Bild: picture-alliance/A. Franke

"Unsere Böden stehen unter Leistungsdruck", warnte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) jüngst, als sie die Ackerbaustrategie 2035 der Bundesregierung vorstellte. "Im Jahr 1900 hat ein Landwirt zehn Menschen ernährt. Heute ernährt er 155 Menschen." Der Anbau unterschiedlicher Kulturen, die sogenannte Fruchtfolge und die Verwendung widerstandsfähigen Saatgutes solle daher künftig Vorzug haben vor Monokulturen und intensivem Landbau.

Und der Insektenatlas, der aktuell von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) veröffentlicht wurde sowie die 2018 publizierte Rote Liste des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) veranschaulichen, dass gerade auf großen Feldern, auf denen intensiver und monotoner Ackerbau betrieben wird, Insekten und Pflanzen keinen Lebensraum mehr finden.

Hohe Nährstoffbelastungen auf ursprünglich nährstoffarmen Standorten machen vielen Wildpflanzen zu schaffen. Das ist dramatisch, weil Insekten nahezu alle Wild- und Kulturpflanzen bestäuben. Sie liefern so dem Menschen indirekt Nahrung und werden von Vögeln verzehrt. Für das Ökosystem sind Bienen, Schmetterlinge und Käfer unentbehrlich. Und indirekt für die Wirtschaft: Die Heinrich-Böll-Stiftung zitierte bei der Vorstellung des Insektenatlas Experten, die die Bestäuberleistung der Insekten im weltweiten Anbau von Obst, Gemüse und Getreide auf 200 bis 600 Milliarden US-Dollar beziffern.

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Vom Aussterben bedroht: Dem Flammen-Adonisröschen machen Herbizide und Düngemittel zu schaffenBild: Density/sa

Warum den Bienen schwindlig wird

Auf Pestizide, wie sie in der industriellen Agrarwirtschaft zur Produktionssteigerung eingesetzt werden, reagieren Insekten mit Orientierungslosigkeit. Eine Studie des Berliner Neurobiologen und Bienenforschers Randolf Menzel mit den inzwischen verbotenen Mitteln Imidacloprid, Clothianidin und Thiacloprid zeigte 2014, dass bereits geringe Mengen dieser Insektizide das Nervensystem von Bienen beeinflussen.

Neues Geschäftsfeld für die Chemie-Industrie?

Die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln wird in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch gesehen, nicht zuletzt aufgrund der umstrittenen Wirkung von Glyphosat. Der Bayer-Konzern, der zuletzt immer wieder wegen des chemischen Mittels "Round Up", Produkt der Bayer-Tochter Monsanto, international in die Schlagzeilen geriet, weist gegenüber der DW daraufhin, dass ökologische Schäden wie das Insektensterben, die zunehmende Resistenzentwicklungen von Schadorganismen gegen die Wirkstoffe der Pflanzenschutzmittel und die Verschärfung der Zulassungsanforderungen den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden immer stärker einschränken.

Sehr effektiv, sehr umstritten: Glyphosat im chemischen Pflanzenschutzmittel Round UpBild: Getty Images/AFP/J. Edelson

"Daher gewinnen alternative Lösungen sowohl für die ökologische als auch für die konventionelle Landwirtschaft zur Ertrags- und Qualitätssicherung an Bedeutung", sagt Bayer-Sprecher Utz Klages. Bayer lege großen Wert darauf, dass die Produkte sicher für Nützlinge und andere Nichtziel-Organismen seien und nur insoweit in die Natur eingreifen, wie es absolut nötig sei, um eine produktive Landwirtschaft zu ermöglichen. Bayer habe sich verpflichtet, den ökologischen Fußabdruck entlang der Wertschöpfungskette weiter zu verringern, um den Verlust von Biodiversität zu stoppen.

Landwirtschaft 4.0 - Digitaler Pflanzenschutz 

Neben den chemischen vermarktet Bayer biologische Pflanzenschutzmittel für die konventionelle Landwirtschaft und fördert die Entwicklung von umweltfreundlicheren Bewirtschaftungs-Methoden durch Digital Farming.

Anhand von Messungen und Datenerhebungen sollen künftig Schädlinge, Krankheiten und Unkräuter quadratzentimetergenau identifiziert werden. Und falls die Pflanzen Hilfe brauchen, wird der günstigste Zeitpunkt zum Düngen und zum möglichst schonenden und nachhaltigen Einsatz von Pestiziden ermittelt. 

Susanne Smolka, Biologin beim kritischen Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN), räumt im DW-Gespräch ein, "dass der Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide in der Regel nicht durch eine Maßnahme allein erreicht wird, sondern durch das Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen, wie Vorbeugung, dem Anbau robuster Sorten und Vermeidung des Anbaus auf ungeeigneten Flächen.

Baumwoll-Monokulturen brauchen, wie anderswo auch, viel Wasser und PflanzenschutzBild: Getty Images/AFP

Ein Trick aus der Nachbarschaft hilft: Fangpflanzen 

Baumwolle ist ein Paradebeispiel: Keine andere Pflanze ist so anfällig, da das warme Klima und der bewässerte, feuchte Boden in den Anbauregionen die Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen begünstigt. Laut Umweltinstitut München werden 16 Prozent aller chemischen Insektizide weltweit auf Baumwolläckern verspritzt, um Weiße Fliegen, Kapselraupen und Blattläuse abzutöten. Dabei sei eine ökologische Schädlingsbekämpfung durchaus effektiv, sagt Smolka von PAN: "Sogenannte Fangpflanzen lenken Insekten ab und locken sie von der Baumwolle weg."

Forscher suchen Alternativen zu den chemischen Keulen

In Laboren und auf Feldern wird nach Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln gesucht. "Chemische Pflanzenschutzmittel sind hocheffektiv, relativ kostengünstig und bei Bedarf kurzfristig einsetzbar", beschreibt Alexander Bonde von der Deutsche Bundesumweltstiftung (DBU) das Dilemma: "Die Alternativen erfordern oft eine ganzheitliche Herangehensweise, von Bodenbearbeitung und Sortenwahl über biologischen Pflanzenschutz bis zur Berücksichtigung von Randstrukturen auf den Feldern und Anlage von Blühstreifen."  Die DBU stellt 315.000 Euro zur Erforschung von Alternativen zu Pestiziden zur Verfügung und fördert derzeit ein Laser-Projekt: Die Strahlen des Lasers sollen zielgenau und selektiv Problemunkräuter erkennen und durch die Lichtbehandlung unschädlich machen, während unproblematische Ackerwildkräuter unbeschadet gelassen werden.

Natürliche Feinde wie Wespen, Krankheitserreger wie Nudiviren oder Pilze, Mikroorganismen, Fangmaßnahmen mit Pheromonen (Duftstoffen), der Anbau von "Ablenkungsfrüchten" in den Plantagen und eine rasche Ernte: All das kann zur Schadensminimierung beitragen. 

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Lösungen für umweltverträgliche Landwirtschaft

Ralf Bloch vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) weist im DW-Gespräch darauf hin, dass man immer regional-, betriebsspezifische und präventive Lösungen finden müsse. Das ZALF betreut Projekte des Ökolandbaus in der ganzen Welt. "Ziel ist es nicht, unkrautfreie Bestände zu haben", erläutert Bloch. "Sie sind Teil des ökologischen Systems und wichtig für Bestäuber. Sie müssen jedoch reguliert werden, teilweise werden sie durch Harken verschüttet, um einen guten Ertrag der Kulturpflanzen zu haben."

Im Iran entwickelt gerade ein ZALF-Mitarbeiter unter schwierigen trockenen Bodenbedingungen ein Drei-Kulturen-Anbausystem mit Gerste, Futtergetreide und Gräser für Schafe und Ziegen nebeneinander. "Durch eine permanente Bodenbedeckung verhindern wir Erosion, erhalten die Bodenfruchtbarkeit und fördern die Taubildung. Wenn der Boden unbedeckt ist, trocknet er schneller aus, wertvolle Bestandteile werden weggeweht", erklärt Ralf Bloch die Maßnahmen, die eng mit Bauern und Landwirten abgestimmt werden. Auch dort wachse der Druck, auf weniger Fläche mehr produzieren zu müssen.

Mikrobiologe Dietrich Stephan und seine Kollegen arbeiten an biologischem Pflanzenschutz aus dem Labor Bild: Privat

Dietrich Stephan vom Julius-Kühn-Institut untersucht Pilze, die gegen schädliche Insekten wirkungsvoll eingesetzt werden und hat auch mit dem Bakterium Bacillus thuringiensis (BT) gute Erfahrungen gesammelt. Dieses produziert ein Protein, das vom Schadinsekt aufgenommen wird und dessen Darmwand zerstört. BT wird nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch bei der Stechmückenbekämpfung erfolgreich eingesetzt. Biologischer Pflanzenschutz wirkt aber noch nicht so effektiv in der Unkrautregulierung, gibt Stephan zu.  

Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat Stephan ein biologisches Verfahren mit Mikroorganismen zur Wüstenheuschreckenbekämpfung mitentwickelt.

Und noch ein weiteres Insekt könnte große Schäden anrichten: der Herbst-Heerwurm.

In Costa Rica hatte man den Schädling lange Zeit gut im Griff, auch, weil man einem gentechnisch veränderten BT-Mais ein Gen des Bakteriums Bacillus thuringiensis eingeschleust hatte. Von Lateinamerika konnte der Heerwurm nach Afrika einwandern und sich rasant bis Indien, China und Sri Lanka ausbreiten.

Nun suchen Jehle, Stephan und ihre Biologen-Kollegen nach Gegenspielern, Krankheitserregern und Nützlingen, um auch diesen Schädling unter Kontrolle zu bringen.

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