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Klimawandel: Warum Indien seine Bäume zählt

Sonam Mishra in Delhi
28. April 2025

Bäume sind wichtige Verbündete im Kampf gegen Wüstenbildung, Umweltverschmutzung und Klimawandel. Die bevölkerungsreichste Nation der Welt Indien führt deshalb einen großangelegten Baumzensus durch.

Indien | Abholzung Hasdeo Aranya in Chhattisgarh
Wichtig für den Umweltschutz im bevölkerungsreichten Land der Welt: Wälder in IndienBild: Adarsh Sharma/DW

Das indische Institut für Forstforschung organisiert derzeit eine Zählung aller Bäume in der Hauptstadtregion Delhi. Die Aktion beginnt zu einem Zeitpunkt, in dem eine hitzige Diskussion über illegale Baumfällungen im Gange ist. Die Entscheidung, diesen Zensus zu starten, erhielt nun kürzlich die Freigabe vom Obersten Gerichtshof, wobei die Richter das Institut anwiesen, darauf hinzuarbeiten, die Grünflächen der Hauptstadtregion zu erweitern.

Das Projekt soll in einem Zeitrahmen von rund vier Jahren durchgeführt werden. Das Budget wird bei schätzungsweise rund 44,3 Millionen indischen Rupien (umgerechnet 455.800 Euro) liegen.

Die Teilnehmenden an dem Baumzensus sollen dabei nicht nur die Bäume zählen und registrieren. Die Experten und Freiwilligen werden die Bäume auch nach Arten sortieren und Höhe, Umfang, aktuellen Zustand und ihren genauen Standort dokumentieren. Am wichtigsten für die Klimawissenschaftler ist es, die sogenannte Kohlenstoffmasse des Baumes zu erfassen - die Menge des Kohlenstoffs, der durch Photosynthese aus der Atmosphäre aufgenommen wird.

Abholzung führt zu WüstenbildungBild: Adarsh Sharma/DW

"Ein Baum pro Person"

Indien strebt an, bis 2070 die Klimaneutralität zu erreichen. Und Bäume spielen dabei eine wesentliche Rolle bei der Kontrolle der Kohlenstoffemissionen im bevölkerungsreichsten Land der Welt. Aber es gibt noch andere Gründe, die Abholzung zu bekämpfen: Eine Studie der indischen Raumfahrtagentur ISRO aus dem Jahr 2019 berichtete, dass etwa 30 Prozent des indischen Territoriums von Wüstenbildung bedroht sind. Eine größere Anzahl von Bäumen, insbesondere in den Städten, können zudem die Auswirkungen von Umweltverschmutzung eindämmen und damit auch die Zahl von hitzebedingten Todesfällen verringern.

Um eine Netto-Nullemissionen zu erreichen, sei "mindestens ein Baum pro Person" erforderlich, kalkuliert dabei die Botanikerin Dr. Smitha Hegde. Diese Rechnung präsentierte sie in einem Interview mit der Youtuberin "Q Head", in dem sie auch über ihre Baumzählung im Jahr 2023 in der Hafenstadt Mangalore sprach. Sie und ihr Team von 40 Freiwilligen fanden nur etwa 19.000 Bäume auf den öffentlichen Plätzen von Mangalore, das aber rund 600.000 Einwohner hat.

In der Zählung steckte eine Menge Arbeit und machte damit gleichzeitig deutlich, was in dem gegenwärtigen Hauptstadtprojekt noch zu leisten sein wird.  Es hatte ein ganzes Jahr gedauert, bis der Baumzensus in einer Stadt abgeschlossen war, die um ein Vielfaches kleiner ist als Neu-Delhi.

KI-Technologie und Drohnen 

Die meisten Messungen und Zählungen werden in Indien immer noch manuell durchgeführt, wobei die Daten in Excel-Tabellen sortiert werden. Gleichzeitig haben die Volkszählungsteilnehmer damit begonnen, moderne Technologien der Fernerkundung wie das optische Messverfahren LiDAR (Light Detection and Ranging), Drohnen und das geografisches Informationssystem GIS zu integrieren, um sowohl die Genauigkeit der Daten als auch die Geschwindigkeit der Erfassung zu verbessern.

Im Online-Interview weist Hegde darauf hin, dass moderne Technik die Vermessung von Bäumen deutlich einfacher und schneller machen könne. Ein vollautomatisiertes System für diesen Prozess sei jedoch noch nicht entwickelt worden.

Die Verbesserung der technologischen Infrastruktur werde eine "wirklich große Investition" erfordern, erwartet der führende Wissenschaftler der Künstlichen Intelligenz Arpit Yadav. Im Gespräch mit der DW sagt er, dass die KI-Technologie "Methoden des maschinellen Sehens und der Objekterkennung" nutze. "Wenn Drohnen über Wälder oder andere Gebiete fliegen, nutzen sie die Objekterkennung, um Bäume zu identifizieren und zu zählen. Diese Daten werden dann an einen Server gesendet, was den Zählprozess schneller und genauer macht".

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26:06

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"Je besser die technologische Infrastruktur ist, desto geringer wird es einen Bedarf an Vor-Ort-Aktionen geben", fügt Yadav hinzu. Er gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass weiterhin die Menschen handeln müssten, "wenn wir nicht genügend Drohnen und fortschrittliche Technologie haben, um die Fehler zu minimieren".

Satelliten können Weideflächen nicht erkennen

Neben traditionellen und KI-basierten Methoden nutzen viele Länder auch Satellitentechnologien zur Zählung von Bäumen. Dabei machen Satelliten Fotos und senden Radiowellen oder Mikrowellensignale aus, die von der Erdoberfläche abprallen und verschiedene Arten von Daten liefern.

Aber auch die Technologie des Weltraumzeitalters hat ihre Grenzen. "Satelliten können nichts darüber aussagen, ob in einem Gebiet zum Beispiel geweidet wird oder nicht. Dafür sind Feldbesuche notwendig", sagt Purabi Saikia, Professor an der Banaras Hindu University und Waldökologe, der sich mit der Kartierung und Bewertung von Wäldern in mehreren indischen Bundesstaaten beschäftigt hat, im DW-Interview.

Indien: Bäume als Familienmitglieder

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Lokale Gemeinschaften als Verbündete

Baumzählungen erleichtern die Verfolgung invasiver Tierarten und schützen die Wälder auch vor illegaler Abholzung. In diesem Kampf können Naturschützer auf Verbündete aus den lokalen Gemeinschaften zurückgreifen, insbesondere auf diejenigen, für die Bäume von besonderem Wert sind. Einige Menschen in Indien betrachten bestimmte Bäume immer noch als heilig, während andere einfach ihren medizinischen Wert anerkennen.

"Diejenigen, die stärker auf Wälder angewiesen sind, neigen dazu, sie verantwortungsvoller zu nutzen, während diejenigen, die weniger abhängig sind, oft mehr Schaden anrichten", sagt Saikia der DW.

Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand