Ein spätes Tor Roberto Firminos besiegelt den 3:2-Sieg des FC Liverpool gegen Paris St. Germain. DW-Reporter Matt Pearson hat im Stadion an der Anfield Road die beiden deutschen Trainer genau beobachtet.
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Als Jürgen Klopp 45 Minuten vor dem Anstoß seine Liverpooler zum Aufwärmen aufs Spielfeld begleitet, klopft er sich zweimal auf die Brust. Versteckt hinter der Champions-League-Beschmückung des Stadions, ist die Geste nicht für die Kameras gedacht. Vielmehr ist es ein Versuch, sich selbst Mut zu machen.
Es funktioniert. Klopps Team beginnt quirlig. Die Spieler gehen in jeden Zweikampf, machen den Ball schnell und dominieren ihre französischen Gegner. Schon früh ballt der Trainer die Faust, als James Milner nach einem harten Einsteigen gegen Neymar einen Einwurf herausholt. Eine Siegerfaust wegen eines Einwurfs!
Die Heimmannschaft bleibt das dominierende Team, und Klopp gerät immer mehr in Schwung: Wild wirbelt er mit seinen Armen herum, wie ein aus dem Takt geratener Industrieroboter.
Verschränkte Arme hier, Siegerfaust da
"Was die Jungs aus dem Matchplan gemacht haben, war außergewöhnlich, wenn nicht sogar herausragend", erklärt Klopp hinterher seine fast schon übertriebene Gestik in der frühen Phase des Spiels. "Alles sah viel selbstbewusster aus, viel abgestimmter als zuletzt."
Eine Coachingzone weiter steht Klopps Gegner, Thomas Tuchel. Landsmann und Ex-Nachfolger bei den Bundesligisten Borussia Dortmund und FSV Mainz 05. Mit verschränkten Armen, den Blick in die Ferne gerichtet.
Kaugummi kauend steht Tuchel an der Seitenlinie und reckt den Hals Richtung Tor seines PSG. Seine Nervosität hat ihren Grund: Zu der Zeit erzielt Daniel Sturridge per Kopfball das 1:0 für Liverpool (30. Minute), sechs Minuten später verwandelt James Milner einen Foulelfmeter zum 2:0 (36.). Währenddessen ballt Klopp wiederholt die Siegerfaust.
Nach dem Zwei-Tore-Rückstand erhebt sich Tuchel erstmals von der Trainerbank. Mürrisch, mit den Händen in den Taschen, steht er nun am Spielfeldrand - bis Thomas Meunier zum 1:2 (40.) aus Sicht von PSG verkürzen kann. Als der Halbzeitpfiff ertönt, überwältigt Tuchel wieder der Frust. Wütend diskutiert er mit seinem Trainerstab.
Die Qualität eines Trainers zeigt sich natürlich nicht daran, wie er sich an der Seitenlinie verhält. Nichtsdestotrotz spürt man bei Klopp, vielleicht mehr als bei jedem anderen Trainer der Welt, wie sein emotionales Verhalten an der Seitenlinie seine Mannschaft beeinflusst. Vor allem in der ersten Stunde des Spiels ist Klopp voll unbändiger Energie und behält trotzdem bei seinen Entscheidungen einen kühlen Kopf.
Wie ein Rockstar
Der Dauerlärm von den Rängen, für den das Stadion an der Anfield Road in Liverpool berühmt ist, sollte eigentlich dafür sorgen, dass die Spieler die Rufe Klopps nicht hören können, doch irgendwie dringen seine Botschaften laut und deutlich durch. Während Klopp sich am wohlsten fühlt, wenn er den hyperdynamischen Rockstar spielt, der nicht nur die Menge mitreißt, sondern auch die Leute direkt um ihn herum, scheint es Tuchel eher unangenehm zu sein, im Mittelpunkt zu stehen. Hin und wieder zeigt seine Mannschaft ihre Qualität bei blitzartigen Vorstößen, doch meist lässt sie den intensiven und kontrollierten Ballbesitz-Fußball vermissen, den der 45-jährige Trainer bis zum Ende einfordert, vor allem, als bei Liverpool die Kräfte nachlassen. Immerhin gelingt Kylian Mbappe nach einem schnellen Angriff der Ausgleich zum 2:2 (83.).
Jahrelange Arbeit zahlt sich aus
Selbst Klopp muss sich vor Schreck einmal kurz hinsetzen. Am Ende aber springt er doch wieder auf, um zu jubeln. Beim Auswechseln beweist er dann eine glückliche Hand. Ex-Bundesligaprofi Roberto Firmino, den Klopp in der 72. Minute für den Torschützen Sturridge gebracht hat, erzielt in der Nachspielzeit den Siegtreffer zum 3:2 (90.+2) für Liverpool.
Wieder einmal wird Anfield zu Klopps Bühne und er darf die Ovationen des Publikums entgegennehmen. Nach drei Jahren auf dem Trainerposten ist Liverpool endgültig sein Team geworden. Das Gleiche lässt sich über Tuchel nach wenigen Wochen in Paris noch nicht sagen.
"Jürgen Klopp arbeitet seit Jahren mit seiner Mannschaft. Liverpool ist extrem stark im Pressing und macht es für den Gegner schwer, in Ballbesitz zu bleiben", bilanziert Tuchel in der Konferenz nach dem Spiel. "Vieles, was Liverpool macht, kommt selbstverständlich daher, wie automatisch."
Und Klopp? Auf dem Weg zur Kabine klopft er sich mit einem breiten Lächeln im Gesicht sechsmal auf die Brust. Dieses Mal ist es nicht nur eine Geste für ihn selbst.
Jürgen Klopp: Mit Herz und Charisma
Ein Champions-League-Triumph, eine englische Meisterschaft, weitere Titel. Jürgen Klopp und der FC Liverpool, das ist eine Erfolgsgeschichte. Zum Saisonende hört der Erfolgstrainer bei den "Reds" auf.
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Volksheiliger
Schnell hat Jürgen Klopp die Herzen der Fans erobert: "Wir müssen uns von Zweiflern in Gläubige verwandeln", fordert er 2015 gleich an seinem ersten Tag in Liverpool. Der "Believer"-Schal ist heute einer der beliebtesten Fan-Artikel an der Anfield Road. Ebenso das "In Klopp we trust"-Shirt. Klopp ist Kult beim kultigsten Klub Englands. Angefangen hat er aber fernab der großen Fußball-Tempel.
Bild: Getty Images/AFP/P. Ellis
Gruppenbild mit Seeler
Jürgen Klopp wird 1967 in Stuttgart geboren und wächst im Schwarzwald auf. Als A-Jugendspieler des TuS Ergenzingen (oben, 2.v.l.) darf er bei einem Turnier 1985 in Hamburg sogar neben HSV-Legende Uwe Seeler stehen. Da ahnt noch niemand, dass sich heute Leute darum reißen, sich für ein Selfie neben Klopp platzieren zu können.
Bild: picture-alliance/dpa
Eher Fußball-Handwerker
Ein Ballzauberer ist Jürgen Klopp in seiner aktiven Karriere eher nicht. Der Stürmer, der beim Zweitligisten FSV Mainz 05 bald zum Verteidiger umschult, steht eher für einen rustikalen Stil. Die Fans mögen seine ehrliche Art, Fußball zu spielen. Als einziger Spieler der Mainzer hat er einen eigenen Fan-Klub, die "Kloppos".
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Abschied aus Mainz nach 18 Jahren
Nahtlos wechselt Klopp 2001 vom Spielfeld auf die Trainerbank. Nachdem Mainz zweimal knapp daran gescheitert ist, gelingt dem Team unter Klopp 2004 im dritten Anlauf der historische erste Aufstieg des FSV in die Bundesliga. Nach dem Abstieg 2007 und dem knapp verpassten Wiederaufstieg im Jahr darauf verabschiedet sich Klopp aus Mainz: nach 18 Jahren als Spieler und Trainer.
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Preisgekrönter TV-Experte
Klopp ist ein Energiebündel - und hat fast immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Verbunden mit seiner Fußball-Kompetenz macht ihn das zum idealen TV-Experten. Mit dem Ex-Schiedsrichter Urs Meier (l.) und Moderator Johannes B. Kerner (r.) bildet Klopp von 2005 bis 2008 beim ZDF ein eingespieltes Team. Später heuert er bei RTL als Experte an. Zweimal erhält er den Deutschen Fernsehpreis.
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Trendsetter
Jürgen Klopp kommt mit seiner offenen und sympathischen Art bei den Fernsehzuschauern und Fußballfans gut an - und wird auch zum Trendsetter. Selbst seine modischen Brillen werden von der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen. 2008 ernennt das "Kuratorium Gutes Sehen" Klopp zum "Brillenträger des Jahres".
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Stars machen
Mitte 2008 wird Klopp Cheftrainer von Borussia Dortmund. Der BVB ist nach der Fast-Pleite drei Jahre zuvor immer noch dabei, die Finanzen zu sanieren, sportlich läuft es nicht rund. Klopp verspricht, dem Verein "wieder in die Spur" zu helfen. Seine Devise lautet: Keine Stars kaufen, sondern sie machen. So stellt er die beiden erst 19 Jahre alten Mats Hummels und Neven Subotic ins Abwehrzentrum.
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Drei Titel in zwei Jahren
Klopps Rezept geht auf, der Weg des BVB führt nach oben. 2011 holen die Dortmunder die Meisterschale - und feiern hinterher so kräftig, dass der Trainer am Tag danach bei der Party mit den Fans auf dem Borsigplatz seine Augen hinter einer Sonnenbrille verbergen muss. 2012 schafft der BVB sogar das Double.
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Gelegentliche Ausraster
Bei allem Charme und Witz - immer wieder gehen Klopp an der Seitenlinie auch mal die Gäule durch - wie hier 2010 bei einem Disput mit dem Vierten Offiziellen, Schiedsrichter Stefan Trautmann. "Ich habe mich über mich selbst erschrocken, das war nicht in Ordnung", sagt Klopp, nachdem er dieses Foto gesehen hat.
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Glücklich verheiratet
Seit 2005 ist Klopp in zweiter Ehe mit seiner Frau Ursula verheiratet. Beide haben je einen Sohn aus früherer Ehe. "Ich wäre nicht im Ansatz derjenige, der ich bin, wenn es meine Frau nicht gäbe", verrät Klopp einmal der Zeitschrift "Gala": "Ich wäre nicht ein solch zufriedener Mensch." Seine "Ulla", so Klopp, möge auch seinen Bart, ein weiteres seiner Markenzeichen.
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Das Ende der Geheimratsecken
"Wir haben mit unseren Söhnen und einem Freund, der Arzt ist, zusammengesessen und darüber gesprochen, was man an sich ändern würde, wenn man könnte", sagt Klopp hinterher. Dem BVB-Trainer missfallen seine Geheimratsecken, also lässt er sie sich sich per Haartransplantation verkleinern. Und er redet 2013 offen darüber: "Ich finde, das Ergebnis ist ganz cool geworden, oder?"
2013 hat Klopp die Chance, seinen ersten internationalen Titel zu holen und dann gleich in der Champions League - im Finale im Wembleystadion in London gegen den deutschen Rivalen FC Bayern. Der BVB verliert unglücklich mit 1:2, der Siegtreffer der Münchener durch Arjen Robben fällt in der vorletzten Minute. Klopp ist als Tröster gefordert.
Bild: picture alliance/augenklick
Tschüss, BVB!
Mitte 2014 wird der BVB zum zweiten Mal in Serie Vizemeister, danach beginnt die Krise. Nach 18 Spieltagen steht Dortmund auf dem letzten Tabellenplatz. Klopp wirkt erschöpft. Immerhin führt er das Team noch als Siebter in die Europa League und ins DFB-Pokalfinale 2015, das der BVB gegen Wolfsburg mit 1:3 verliert. Zu diesem Zeitpunkt hat Klopp bereits seinen Abschied aus Dortmund verkündet.
Bild: Reuters/Ina Fassbender
"The Normal One"
Klopps "Sabbatjahr" dauert nur fünf Monate. Im Oktober 2015 wird er als neuer Teammanager des FC Liverpool vorgestellt. Angesprochen auf den Ausspruch "I'm the Special One" des portugiesischen Star-Trainers Jose Mourinho, antwortet Klopp: "Ich war ein durchschnittlicher Spieler, und in Mainz habe ich als durchschnittlicher Trainer angefangen. Man könnte sagen: I'm the Normal One."
Bild: Getty Images/A. Livesey
Liebling der Fans
Wie in Mainz und in Dortmund fliegen ihm auch in Liverpool die Herzen der Fans zu. Klopp lässt die "Reds" attraktiven Offensivfußball spielen - und formt, wie einst beim BVB, neue Stars. So reift Mohamed "Mo" Salah unter Klopp zu einem Weltklassespieler. Mit 32 Treffern bricht der Ägypter den Torrekord der Premier League und wird zum "Spieler der Saison 2017/18" gekürt.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Am Pokal vorbei
Wieder "nur" die Medaille für den zweiten Platz. Das Champions-League-Finale 2018 gegen Real Madrid ist Klopps drittes Endspiel mit dem FC Liverpool, das er verliert - wie zuvor die beiden Finals im Jahr 2016, im Ligapokal und in der Europa League. "Wir hatten kein Spielglück", sagt er hinterher. "Es geht mir nicht wahnsinnig gut."
Bild: Getty Images/S. Botterill
Champions-League-Sieger und Welttrainer
Und dann schnappt sich Klopp doch den Champions-League-Pokal. Liverpool gewinnt 2019 das "englische Finale" gegen Tottenham Hotspur mit 2:0. Mit dem Triumph in Madrid besteigt der Klub den europäischen Fußball-Thron, und sein deutscher Trainer besiegt endlich seinen "Endspiel-Fluch". Die FIFA kürt Klopp später zum "Welttrainer des Jahres".
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
Premier-League-Triumphator
Für die Fans der "Reds" ist es das Sahnehäubchen, der "Heilige Gral", wie eine Liverpooler Zeitung schreibt: Nach 30 Jahren Durststrecke wird der FC Liverpool unter Klopp 2020 wieder englischer Meister - sieben Spieltage vor Saisonschluss der Premier League.
2022 erreicht Liverpool unter Klopp erneut das Finale der Champions League, findet beim Endspiel in Paris aber seinen Meister in Real Madrid. Kleiner Trost sind zwei nationale Titel: Die "Reds" schaffen das "Pokal-Double" auch FA-Cup und Liga-Cup. Danach geht die Leistungskurve nach unten. Anfang 2024 verkündet Klopp seinen Abschied aus Liverpool. Zu diesem Zeitpunkt ist der Klub Tabellenführer.