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ReiseGlobal

Knochenjobs an Bord: Die Kehrseite des Kreuzfahrt-Booms

25. Januar 2023

14-Stunden-Schichten, karger Lohn: Die Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen sind hart. Kein Wunder, dass es immer schwieriger wird, Personal zu finden.

Auf hoher See: Erholung am Pool von Mein Schiff 1
Damit die Gäste ihren Urlaub genießen können, sorgt die Crew im Hintergrund für alle AnnehmlichkeitenBild: Jürgen Schwenkenbecher/picture alliance

Der Gegensatz könnte größer nicht sein: Während die Passagiere in ihren geräumigen Kabinen den Meerblick genießen, im Pool planschen oder sich am Büffet zum wiederholten Mal die Teller füllen, geht es hinter den Kulissen ganz anders zu. Ein Heer von fleißigen Crew-Mitgliedern sorgt dafür, dass es den Kreuzfahrt-Urlaubern an nichts fehlt. Viele von ihnen nehmen dafür schier endlose Schichten in Kauf, monatelang von ihren Familien getrennt zu sein und die Unterbringung in engen Zweierkabinen.

"Der Kontrast zwischen dem glamourösen Bild, das die Branche zeichnet, und der Realität der Arbeitnehmer an Bord ist wirklich frappierend", sagt Maya Schwiegershausen-Güth von der Fachgruppe Luftfahrt & Maritime Wirtschaft der Gewerkschaft Verdi. Eines der Hauptprobleme für die Arbeitnehmer an Bord sei die Einhaltung der Arbeitszeiten. Diese sind zwar seit 2006 durch das Seearbeitsübereinkommen international geregelt, Verstöße dagegen aber gebe es immer wieder.

Darf's noch ein Drink sein? Ein Heer von Crew-Mitgliedern sorgt sich auf der Mein Schiff 3 um das Wohl der KreuzfahrtgästeBild: Andrea Warnecke/dpa/picture alliance

Die Sieben-Tage-Woche ist die Regel

Davon ist auch Angela Teberga überzeugt, Professorin für Tourismus an der Universität im brasilianischen Palmas, die in ihrer Doktorarbeit die Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen untersucht und dabei besonderes Augenmerk auf die Arbeitszeiten und das Arbeitspensum gelegt hat. Diese seien die häufigsten Beschwerdegründe der Crew-Mitglieder. Obwohl auf See grundsätzlich der Acht-Stunden-Tag und die Sechs-Tage-Woche gelten, sehe die Realität oft anders aus. Bis zu 14 Stunden Arbeit am Tag, sieben Tage die Woche, seien eher die Regel als die Ausnahme. Das gelte umso mehr, je niedriger die Position des jeweiligen Arbeitnehmers in der schiffseigenen Hierarchie ist.

554.000 direkte Jobs gab es dem internationalen Verband der Kreuzfahrt-Industrie CLIA (Cruise Lines International Association) zufolge im Jahr 2019 in der Branche – vor Beginn der Corona-Pandemie also. An Gehältern wurden rund 21,4 Milliarden Euro gezahlt. Die Besatzungen der Kreuzfahrtschiffe sind dabei in der Regel sehr international: Bis zu 80 Herkunftsländer sind an Bord vieler Schiffe vertreten, heißt es. Besonders viele Angestellte stammen dabei aus Entwicklungsländern in Asien oder Südamerika. Allein die Philippiner machen fast 30 Prozent aller Angestellten der weltweiten Schifffahrt aus.

Kein einziges Schiff mehr unter deutscher Flagge

"Für viele von ihnen ist ein Job auf einem Kreuzfahrtschiff die Möglichkeit, ein kleines Vermögen aufzubauen", sagt Alexis Papathanassis, Professor für Tourismus und Kreuzfahrtmanagement an der Hochschule Bremerhaven, der sich ebenfalls wissenschaftlich mit dem Thema befasst. Die Gehälter seien zwar für europäische Verhältnisse niedrig, lägen aber deutlich höher als in den Heimatländern dieser Crew-Mitglieder. Daher nähmen sie die "sehr, sehr harten Arbeitsbedingungen" in Kauf.

Dass diese häufig nicht den Standards mitteleuropäischer Länder entsprechen, liegt an der Tatsache, dass Kreuzfahrtschiffe heute meist in Staaten registriert sind, in denen andere Regeln gelten, etwa auf den Bahamas oder in Panama – nicht ein einziges mehr fährt unter deutscher Flagge. Die Aida-Flotte beispielsweise ist in Italien registriert, die Schiffe von TUI-Cruises in Malta. Der deutsche Mindestlohn muss auf diese Weise nicht gezahlt werden. In erster Linie aber geht es den Unternehmen darum, günstigere Konditionen bei Steuern und Gebühren zu nutzen. Auf diese Weise sei es möglich, die Personalkosten zu reduzieren, in vielen Fällen gar bis auf die Hälfte, so Tourismus-Professorin Angela Teberga.

Die Aida-Flotte fährt unter italienischer Flagge. Hier die Aida Cosma bei einem Aufenthalt kürzlich in DubaiBild: Wiktor Dabkowski/picture alliance

Das Arbeitspensum steigt

In dieselbe Richtung zielten die Bemühungen der Kreuzfahrt-Konzerne, immer größere Schiffe in Betrieb zu nehmen. Teberga hat herausgefunden, dass sich das Verhältnis Passagiere/Crewmitglieder seit Jahren zu Ungunsten der Angestellten verändert. Mittlerweile kämen auf vielen Schiffen auf jedes Crew-Mitglied vier Passagiere. Zwischen 2001 und 2020 sei die durchschnittliche Passagierkapazität der Kreuzfahrtschiffe um 60 Prozent gestiegen, die Zahl der Crewmitglieder aber nur um 44 Prozent – das Arbeitspensum habe sich entsprechend erhöht.

Dass die international gültigen Arbeitszeitregelungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen systematisch nicht eingehalten würden, bestreitet Helge Grammerstorf, National Director von CLIA-Deutschland. "In der Beziehung hat sich viel verändert in den vergangenen Jahren", sagt er. "Die Politik der Reedereien ist, dass es keine Überschreitung der erlaubten Arbeitszeiten geben soll." Das werde mittlerweile sehr restriktiv gehandhabt. Durch moderne Arbeitszeiterfassungssysteme sei dies auch problemlos und völlig transparent nachvollziehbar. "Wie jeder Dienstleistungsbereich sind auch wir auf motivierte Mitarbeiter angewiesen", sagt Grammerstorf. "Entsprechend werden sie auch behandelt."

Auf der MSC Virtuosa (hier im Hamburger Hafen) kommen auf 6334 Passagiere 1704 Besatzungsmitglieder. Macht ein Verhältnis von fast 4:1Bild: Michael Bihlmayer/CHROMORANGE/picture alliance

Seit Corona herrscht Fachkräftemangel

Hier allerdings ist noch viel Luft nach oben, ist Kreuzfahrt-Experte Alexis Papathanassis überzeugt. Denn wie in vielen anderen Bereichen, insbesondere im Tourismus und im Gastgewerbe, herrsche seit der Corona-Pandemie in der Kreuzfahrtbranche akuter Fachkräftemangel. Die Unternehmen täten sich schwer, ausreichend qualifiziertes Bordpersonal zu finden. "Die Branche ist daher gezwungen, attraktivere Arbeitsbedingungen anzubieten und ihr Arbeitgeberimage aufzuwerten", sagt er. Meerblick, Pool und Büfett aber bleiben gewiss auch weiterhin den zahlenden Passagieren vorbehalten.

 

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