1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Knochenmark aus dem Labor

Brigitte Osterath26. Januar 2014

Forscher haben ein künstliches Material erschaffen, in dem sich Blutstammzellen wohlfühlen und vermehren. Eines Tages könnte es bei der Behandlung der Leukämie helfen, hoffen die Wissenschaftler.

REM-Aufnahme (Foto: C. Lee-Thedieck/KIT)
Elektronenmikroskopische Aufnahme von künstlichem Knochenmark (blau) mit Stammzellen (gelb)Bild: C. Lee-Thedieck/KIT

Blutstammzellen sind extrem anspruchsvoll: Sie vermehren sich nur im Knochenmark, dem blutbildenden Organ im Inneren fast aller Knochen. Dort entwickeln sie sich zu den verschiedenen Arten von Blutzellen weiter, zu roten Blutkörperchen, die Sauerstoff transportieren, und weißen, die für die Immunabwehr sorgen.

Jahrelang versuchen Forscher nun schon, natürliches Knochenmark nachzubauen. Das Ziel ist verlockend: Dann könnten sie Blutstammzellen im Labor vermehren und ernten. Bisher geht das nicht: Die Stammzellen verlieren ihre Stammzelleigenschaften, sobald man sie aus dem Körper in eine Laborschale verfrachtet.

Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem Max-Planck-Institut für intelligente Systeme und der Universität Tübingen haben jetzt Fortschritte gemacht: Sie haben ein poröses Material entwickelt, in dem sich Blutstammzellen für mindestens vier Tage vermehren konnten.

Ein Badeschwamm mit Zellen drin

Natürliches Knochenmark hat eine sehr komplexe Struktur und ist daher nur schwer zu imitieren. Seine dreidimensionale poröse Architektur ähnelt einem Badeschwamm. Dazwischen sitzen Eiweiße, an welche sich Zellen anheften können.

Die Schwammporen haben eine ganz bestimmte Größe und beherbergen viele Zellarten, die miteinander interagieren und chemische Botenstoffe ausschütten. Das alles zusammen regt die Stammzellen dazu an, sich zu teilen und zu vermehren.

Natürliches Knochenmark ist nicht einfach nachzuahmenBild: picture-alliance/ ZB

"Wir nehmen an, dass Stammzellen nicht nur die chemische Zusammensetzung ihrer Umwelt wahrnehmen", sagt Cornelia Lee-Thedieck, Forscherin am KIT, der Deutschen Welle. "Sie können wahrscheinlich sogar fühlen, ob ihre Umgebung weich oder hart ist, rauh oder glatt."

Lee-Thedieck und ihre Kollegen haben in ihren Experimenten alles zusammengebracht, was Forscher bisher über das Knochenmark und die bevorzugte Umgebung der Stammzellen herausgefunden haben. Mit einem Kunststoff haben sie die schwammartige Struktur des Knochenmarks nachgebaut. Darin bauten sie Eiweißbausteine ein und setzen in das Gerüst Zellen.

"Wir wollten, dass unser künstliches Knochenmark aus kostengünstigen Materialien besteht, die jeder Biologe in seinem Labor stehen hat", sagt Lee-Thedieck. Denn es gebe oft eine Lücke zwischen dem, was Materialwissenschaftler entwickeln und dem, was Biologen benutzen können. "Was bringt es, wenn ein Materialwissenschaftler ein tolles Material entwirft, aber der Biologe keinen Zugang dazu hat?"

Leukämie besser behandeln

Die Forscher hoffen, dass künstliches Knochenmark in Zukunft dabei helfen wird, Leukämie zu behandeln, also Blutkrebs. Ein Leukämiepatient braucht neue, gesunde Blutstammzellen. Derzeit stammen diese Zellen aus dem Blut oder dem Knochenmark eines geeigneten Spenders. In Zukunft könnte man Blutstammzellen vielleicht im Labor ernten, um sie dann in den Patienten zu transplantieren.

"Die Herstellung von künstlichem Knochenmark für die Kultur und Vermehrung von Blutstammzellen ist eine potenziell sehr interessante Anwendung", sagt Martin Bornhäuser vom Universitätsklinikum Dresden. "Es würde es ermöglichen, auch aus einer geringen Menge von Blutstammzellen eine ausreichende Zahl von Stammzellen für die Transplantation eines erwachsenen Patienten zu generieren."

Der poröse Kunststoff wird in einer Nährstofflösung platziert, dann kommen die Stammzellen dazuBild: C. Lee-Thedieck/KIT

Diese geringe Menge an Blutstammzellen könnte aus Nabelschnurblut stammen. Dieses Blut wird aus dem Mutterkuchen und der Nabelschnur nach der Geburt gewonnen. Wenn die Eltern zustimmen, können Ärzte das Nabelschnurblut des Kindes entnehmen, einfrieren und in einer Nabelschnurblutbank lagern lassen.

Stammzellen ernten

Nabelschnurblut enthält nur wenige Stammzellen, wie die gemeinnützige Organisation Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) auf ihrer Webseite erläutert. Die DKMS fördert Knochenmarkspenden und unterhält eine Nabelschnurblutbank. "Der Kreis der möglichen Empfänger ist auf Kinder und Erwachsene mit geringem Körpergewicht beschränkt."

Mit künstlichem Knochenmark wäre das nicht mehr der Fall. "Fernziel ist es, eine Struktur zu erschaffen, in die man Blutstammzellen hineinsetzt", sagt Lee-Thedieck. "Sie vermehren sich dort, wir ernten die Stammzellen und geben sie dem Patienten."

Aber sie fügt hinzu, dass sich das Vorhaben noch in der Phase "der angewandten Grundlagenforschung" befindet. Das heißt: "Wir haben bisher nur einen Prototypen entwickelt." Es werde noch mindestens 15 Jahre dauern, bevor Patienten davon profitieren könnten.

Noch haben Wissenschaftler es nicht geschafft, ein Material zu kreieren, das natürliches Knochenmark vollständig nachahmt, sagt Martin Bornhäuser. Weitere Forschungsprojekte seien notwendig, um im Labor der Realität so nahe wie möglich zu kommen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen