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Todestag Fichte

Günther Birkenstock29. Januar 2014

Johann Gottlieb Fichte war ein deutscher Erzieher und Philosoph der deutschen Aufklärung. Vor 200 Jahren ist er gestorben. Sein Werk ist heute noch bedeutend, sagt der Philosoph und Schriftsteller Reinhard Knodt.

Reinhard Knodt Universität der Künste in Berlin
Bild: privat

DW: Herr Knodt, Johann Gottlieb Fichte gilt als wichtiger oder sogar wichtigster Vertreter des Deutschen Idealismus. Was steckt hinter diesem philosophischen Fachbegriff?

Reinhard Knodt: Idealismus ist eigentlich schon die Erfindung Platos gewesen. Und normalerweise sagt man, es ist eine Anschauung, die davon ausgeht, dass das Gute, das Schöne und das Wahre nicht in der Welt vorgefunden werden kann, sondern dass das Ideen sind, damit auch allerhöchste Maßstäbe und dass unser Handeln und unsere Ideen an diesen Maßstäben ausgerichtet werden müsse, um uns voranzubringen.

Und wenn wir jetzt mal die Vergangenheit mit Plato hinter uns lassen, was bedeutete Idealismus zur Zeit Fichtes?

Zum Beispiel eine ganz pragmatische Sache: Fichte war der Überzeugung, ähnlich wie Kant, dass man eine gerechte Welt ohne Gott schaffen kann, alleine durch Nachdenken über Gerechtigkeit.

Ich möchte ein bisschen auf die Person Fichtes schauen. Da gibt es einige verwunderliche Dinge. Fichte kommt aus einfachen Verhältnissen, eine Stelle als Hauslehrer hat er 1790 aufgegeben, weil er der Ansicht war, dass man zuerst die Eltern erziehen müsse, bevor man Kinder erzieht. Das wirkt überzeugt, ausgesprochen einsichtig, sehr souverän, ist aber doch verwunderlich, weil es Fichte damals finanziell sehr schlecht ging. Wie ist das zu erklären?

Wichtig ist, dass es Fichte um die Erziehung in größeren Einheiten ging. Er ist ja sehr bekannt dafür, dass er die Erziehung der Nation vorangetrieben hat in seiner Bildungstheorie, dass er auch die Erziehung des Menschen zum Gemeinwesen formuliert hat. Er hat also in größeren Zusammenhängen gedacht und hat sich für die Erziehungsarbeit, für die kleine Erziehungsarbeit, seine Freundschaft zu Pestalozzi vorbehalten. Pestalozzi war ja der große Kindererzieher seiner Zeit. Also wenn Fichte sagt, die Eltern sollen zuerst erzogen werden, geht es nicht um die speziellen Eltern seines damaligen Zöglings, sondern er sagt, man müsste eigentlich die ganze Gesellschaft erziehen, statt sich jetzt einzelnen Kindern zu widmen und die abzurichten auf irgendwelche Zwecke.

Was zeichnet für Sie Fichte besonders aus, was verbinden Sie mit ihm?

Zweierlei, das eine ist die Betonung des Ichs als eines Grundsteins einer ganzen Wissenschaftslehre. Fichte würde auch den Staat so definieren, dass es eine Gemeinschaft von lauter Ichs ist, die sich gegenseitig Rechte zubilligen müssen. Er ist damit ein liberalistischer Denker im Grundansatz. Und das andere ist seine Meinung, dass man diese Gemeinschaften der Ichs tatsächlich über Bildung erreichen kann. Und da ist für ihn die Sprache sehr wichtig . Dahinter steht der interessante Gesichtspunkt, dass er in einem von Frankreich ständig bedrohten Deutschland, bzw. Preussen agiert hat, dass er nach der Eroberung durch Napoleon die Intellektuellen hat Französisch sprechen hören, dass er in einer Zeit lebte, in der man überlegt hat, ob man nicht auch die Schulbücher auf Französisch druckt. Damit ist er der Theoretiker einer deutschen Identität über die Sprache und über die Bildung geworden.

Bild: imago/imagebroker

Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Zunächst war Fichte ein Anhänger der Französischen Revolution, später hielt er flammende patriotische Reden auf die deutsche Nation. Wie ist das zu erklären?

Also ich denke, man kann beides zu gleicher Zeit sein. Er war Anhänger der Französischen Revolution, weil sie ein Fortschritt zur Freiheit hin war. Es gibt für Fichte immer die Bewegung vom Untertan zum freien Menschen. In der Erziehung des Einzelnen, wie auch in der Erziehung eines ganzen Staatswesens. Auf der anderen Seite ist er aber auch ein Emanzipationsdenker. Das heißt also, zur Zeit der französischen Herrschaft in Deutschland sieht er für die Deutschen eine ganz eigenartige Situation. Er sagt, die Deutschen leben gar nicht in ihrer eigenen Zeit, in ihrer eigenen Geschichte, sondern sie sind Bestandteil einer anderen Geschichte, nämlich der Geschichte der Franzosen. Und wären sie frei und könnten ihre eigene Geschichte leben, dann würden sie sich auch bilden und würden ihre Ideen entwickeln können. Das ist ein Problem, das die Deutschen auch nach dem Zweiten Weltkrieg hatten. Da waren die Deutschen Teil des american way of life oder auch der angelsächsischen Lebensweise und sind es zum Teil auch heute noch. Und es gab sehr viele Theoretiker, die sagten, wir leben gar nicht unsere eigene Zeit, wir leben die Zeit der anderen, leben sozusagen amerikanische Geschichte am Rande mit. Und da kann er, obwohl er für die Französische Revolution ist, zugleich für die Emanzipation der Deutschen von Napoleon sein.

Ich komme zu einem dunklen Punkt Fichtes. Jetzt haben wir ganz viel Positives formuliert. Fichte war ein großer Aufklärer und zugleich hat er extrem antisemitische Schriften verfasst. Wie geht das zusammen? Woher kommt sein Judenhass.

Zwei Dinge. Das eine ist mit Sicherheit die Übernahme von zeitgenössischen Vorurteilen, dass die Juden sich separieren und nicht teilnehmen am Gemeindeleben und dass sie sozusagen ein Staat im Staate sind. Das war die These, die Fichte auf die Spitze getrieben hat. Und er sagt auch, das ist überall in Europa so. Die Juden werden überall dieser Staat im Staate sein und werden die Nationbildung unterminieren, solange man sie nicht vorher alle zusammen nach Israel heimschickt. Dazu hätte man Israel natürlich auch noch erobern müssen. Da passt man ein in der Zeit ruhendes Vorurteil, das Fichte aufsaugt, sehr gut zusammen mit seinem Nationaldenken. Und man darf eines nicht vergessen. Fichtes Gemeinschaftsdenken, sein Idealismus, sein Menschenbild usw. ist letztlich durch die Nation begrenzt. Für Fichte ist die Nation schon das Emanzipative, das ist die logische Konsequenz, dass man dann die störenden Elemente beseitigt, und wie das dann in der völkischen Interpretation gelaufen ist, das haben wir ja erlebt.

Reinhard Knodt lehrt Philosophie an der Universität der Künste in Berlin, ist Schriftsteller und Journalist. Außerdem gibt er öffentliche Seminare ("Philosophie für Kreative") für Unternehmer, Künstler und allgemein Interessierte, in denen westliche Philosophie mit östlichen Übungspraktiken wie Yoga und Meditation verbunden wird.

Das vollständige Interview können Sie im angehängten Podcast hören.