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Koalitionskrach um Wehrpflicht: Pistorius unter Beschuss

15. Oktober 2025

Der Streit zwischen CDU/CSU und SPD über den neuen Wehrdienst in Deutschland eskaliert. Der Ton zwischen den Regierungspartnern wird rauer. Dennoch soll der Gesetzentwurf diese Woche in den Bundestag.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bei Haushaltsdebatte im Bundestag
Steht in der Kritik des Koalitionspartners: Verteidigungsminister Boris PistoriusBild: dts-Agentur/picture alliance

Wegen massiver Unstimmigkeiten ließen CDU, CSU und SPD, die Deutschland gemeinsam regieren, am späten Dienstagnachmittag eine geplante Pressekonferenz zum Gesetzentwurf für eine neue Wehrpflicht kurzfristig platzen. Eine zuvor von Unterhändlern der Koalitionspartner ausgehandelte Grundsatzeinigung hatte bei den sozialdemokratischen Abgeordneten keine Mehrheit gefunden.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, der ebenfalls SPD-Mitglied ist, soll angeblich intern selbst gegen den Kompromiss Stimmung gemacht haben. Besonders umstritten ist ein von der konservativen Union aus CDU und CSU vorgeschlagenes Losverfahren zur Auswahl der Wehrdienstleistenden.

Streit ums Losverfahren

Worum geht es? Pistorius fordert, dass ab 2027 alle jungen Männer auf ihre Wehrdiensttauglichkeit gemustert werden. Der von den Unterhändlern der Koalition vorgelegte Kompromissvorschlag sieht dagegen vor, nur einen Teil der jungen Männer aus den infrage kommenden Jahrgängen einzuladen - ausgewählt per Losverfahren.

Ein Punkt des von der Regierung eigentlich schon abgesegneten Pistorius-Plans fiel dabei unter den Tisch: Die Musterung aller jungen Männer ab übernächsten Jahr, um einen Überblick über die Gesamtzahl der Tauglichen zu bekommen. Ein Losverfahren, das Eignung und Motivation außen vor lässt, lehnt der Verteidigungsminister ab. Eine flächendeckende Musterung ab 2027 sei zudem nötig für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Ernstfall.

Pistorius' Plan sieht vor, dass die Tauglichen trotz Musterung weiterhin selbst entscheiden können, ob sie einen Wehrdienst antreten. Die Ausgelosten, sofern gesund und damit körperlich geeignet, hätten aber keine Wahl mehr, sondern müssten zum Wehrdienst antreten, wenn sie nicht verweigern.

Pistorius räumte ein, dass er in der Fraktionssitzung der SPD am Dienstagnachmittag an bestimmten Punkten der Änderungen "erhebliche Bedenken" geäußert habe. "Ja, ich habe von einem faulen Kompromiss gesprochen", sagte der SPD-Minister. Er finde das aber "alles weit weniger dramatisch, als es gerade gemacht wird".

Der Zeitplan für den Gesetzentwurf stehe weiter: "Das Ziel bleibt, dass das Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt", sagte Pistorius am Mittwochmorgen nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags.

Erste Beratungen im Bundestag noch diese Woche

Nach Angaben eines SPD-Fraktionssprechers soll die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Parlament trotz der ungelösten Fragen wie geplant an diesem Donnerstag stattfinden. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bekräftigte im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF): "Wir wollen unbedingt in dieser Woche in die erste Lesung."

CDU-Generalsekretär Carsten LinnemannBild: Michael Bihlmayer/CHROMORANGE/picture alliance

Der SPD-Fraktionssprecher verwies auf einen Fraktionsbeschluss vom Dienstagnachmittag, wonach der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden soll. "Das Parlament ist der richtige Ort, um offene Fragen bei so einem wichtigen Gesetz zu klären", sagte er.

Beratungsbedarf "in Detailfragen" gehöre zu einem verantwortungsvollen Gesetzgebungsverfahren dazu. "Entscheidend ist, dass wir einen modernen und gerechten Wehrdienst schaffen, der zur Realität unserer Sicherheitslage passt und auf Freiwilligkeit setzt."

Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen, der das überarbeitete Modell für die CDU/CSU mitverhandelt hatte, griff Verteidigungsminister Pistorius scharf an. "Ich kann nicht verstehen, wie man einen Gesetzgebungsprozess als Verteidigungsminister derart torpedieren und sich so destruktiv verhalten kann", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

CDU-Politiker Norbert RöttgenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Und die Süddeutsche Zeitung zitiert Röttgen mit den Worten: "Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Bundesminister in seinem eigenen Verantwortungsbereich ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren frontal torpediert und die eigene Fraktion ins Chaos stürzt."

Grüne: "Total amateurhaft"

Pistorius wies den Vorwurf zurück: "Ich torpediere nicht, und ich bin auch nicht destruktiv", sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel. "Ich habe nur gewisse Schwierigkeiten damit, dass zwei elementare Stellen meines Gesetzentwurfs geändert werden, bevor dieser überhaupt offiziell in den Bundestag eingebracht worden ist."

Die oppositionellen Grünen reagierten entsetzt auf den offenen Konflikt. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann bezeichnete die Vorgänge in der Koalition als "total amateurhaft". "Ich blicke ziemlich fassungslos auf dieses Chaos dieser Koalition", sagte Haßelmann im ZDF.

Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünenfraktion, Sara Nanni, sagte der Funke Mediengruppe: "In der Koalition tun sich Abgründe auf. Im Vergleich dazu waren die Auseinandersetzungen in der Ampel-Koalition die reinsten Harmonieveranstaltungen." Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr müssten dringend Klarheit erhalten, wie es mit dem Wehrdienst weitergehe.

Widerstand der SPD-Fraktion gegen Losverfahren

Das Kabinett von Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte sich bereits im August auf einen von Verteidigungsminister Pistorius vorgelegten Gesetzentwurf geeinigt, der zunächst auf Freiwilligkeit bei der Rekrutierung setzt. Demnach sollen zwar ab 2027 alle jungen Männer gemustert werden, könnten aber weiterhin entscheiden, ob sie einen Wehrdienst leisten möchten.

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Die Unionsparteien drängten jedoch auf eine automatische Einführung der Wehrpflicht, sollte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht genügend Freiwillige gefunden werden. Eine Forderung, die von der SPD strikt abgelehnt wird. Das Losverfahren sollte ein Kompromiss sein, der nun aber bei den Sozialdemokraten ebenfalls auf wenig Gegenliebe stieß.

Mehr junge Menschen leisten Wehrdienst

Grundsätzlich zeigt sich, dass das Interesse junger Menschen an einem Wehrdienst steigt. Das machte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, bereits vor gut vier Wochen deutlich: "Im Vergleich zum Vorjahr haben sich 15 Prozent mehr junge Menschen für den freiwilligen Wehrdienst entschieden", sagte Breuer am 20. September.

Verteidigungsminister Pistorius teilte im vergangenen Monat mit, die Regierung habe sich für dieses Jahr das Ziel von 15.000 Rekrutinnen und Rekruten gesetzt und bis August bereits fast 13.000 erreicht. Bis 2029 solle die Zahl auf 30.000 pro Jahr steigen, insgesamt sollen 110.000 Personen ausgebildet werden.

Auch Streit bei neuem Rentenpaket

Mit dem Streit um den Wehrdienst wächst die Liste der Konflikte in der Koalition weiter - und erneut auf Kosten der jungen Generation. Zuletzt sorgt das neue Rentenpaket für Unruhe, mit dem die Bundesregierung das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent über das Jahr 2025 hinaus sichern will. Damit soll das Verhältnis von Renten zu Durchschnittslöhnen langfristig stabil bleiben. Insgesamt will die Regierung so die Altersversorgung absichern. Kritiker befürchten jedoch, dass die hohen Kosten die jüngere Generation übermäßig belasten.

Trotz dieser Bedenken hält die SPD an dem Vorhaben fest, während es innerhalb der Schwesterparteien CDU und CSU deutlichen Widerstand gibt. Besonders eine Gruppe junger Abgeordneter in der Unionsfraktion bezeichnete das Paket als "in seiner jetzigen Ausgestaltung nicht zustimmungsfähig" und warnte vor milliardenschweren Folgekosten nach 2031.

Bundeskanzler Friedrich Merz muss beim neuen Rentenpaket Kritiker seiner Partei einfangenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Bundeskanzler Merz kündigte an, das Rentenniveau nur bis 2031 festschreiben zu wollen und danach über eine umfassende Reform zu beraten. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hingegen pocht auf die Einhaltung der bisherigen Vereinbarungen.

Die Regierung aus CDU, CSU und SPD war nach den Bundestagswahlen im Februar 2025 gebildet worden. Die vorherige Ampelkoalition aus SPD, Grünen und liberaler FDP war an internen Konflikten zerbrochen. Zum Amtsantritt hatte die neue Regierung versprochen, den Stil der Vorgänger nicht fortzusetzen - und weniger öffentlich zu streiten.

pgr/AR (dpa, rtr, epd, afp)

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