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Koalitionsverhandlungen: Ausbürgerung wegen Antisemitismus?

Sarah Judith Hofmann
28. März 2025

"Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten" könnte der deutsche Pass entzogen werden – falls sie eine zweite Staatsangehörigkeit haben. So planen es CDU/CSU und SPD. Kritiker sehen eine Ungleichbehandlung.

Eine Hand hält einen deutschen Pass, dahinter der Bundestag und eine deutsche Flagge
Bild: Wolfgang M. Weber/IMAGO

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD soll es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein – mitunter sogar bis zum Türenknallen. So stachen es Teilnehmer an die Presse durch. Besonders in der Arbeitsgruppe, die sich mit Themen der Migration und Integration beschäftigte, lagen die Vorstellungen der Verhandlungspartner offenbar denkbar weit auseinander. Nun aber gibt es ein Papier, das als Vorlage für den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung dienen soll und das der DW vorliegt. Unter dem Stichwort "Staatsangehörigkeitsrecht" heißt es: "Wir halten an der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts fest." Dann folgt:

"Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen."

Der SPD-Politiker Dirk Wiese, selbst Teil der Arbeitsgruppe "Innen, Recht, Migration und Integration", versuchte dies kurz darauf als einen Erfolg seiner Partei zu verkaufen. Die SPD habe durchgesetzt, so Wiese gegenüber der DW, dass die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft bestehen bleibe, während die CDU/CSU dies zurückdrehen wollte. "Wir haben weiterhin die Möglichkeit, dass man nach fünf Jahren eingebürgert wird. Wenn man sehr schnell hier im Land ankommt, die Sprache nach drei Jahren lernt."

Doch der weitergehende Vorschlag der Union, Doppelstaatlern unter bestimmten Umständen den deutschen Pass zu entziehen, war noch vor Kurzem auf Widerstand bei der SPD gestoßen. Hier konnte sie sich offenbar nicht durchsetzen. Dabei befürchten einige Sozialdemokraten eine Ungleichbehandlung: Wäre die Einbürgerung am Ende nur eine Art Probezeit? Und: Ist ein Deutscher mit zweitem Pass letztlich doch nicht so Deutsch?

Deutsche auf Bewährung?

Genau davor hatten SPD-Politiker wie Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte bereits gewarnt, als die Textpassage noch vor Beginn der Verhandlungen der Arbeitsgruppen im Sondierungspapier auftauchte. Die Botschaft an fünf Millionen Menschen, die in Deutschland mit zwei Pässen lebten, sei "ein richtig großes Problem", so Bovenschulte im Magazin Der Spiegel. "Die gewinnen doch den Eindruck, ihre Staatsbürgerschaft sei weniger wert und sie gehören nicht wirklich dazu."

Nach den Sondierungsgesprächen von Union und SPD begannen die Verhandlungen in ArbeitsgruppenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Dieses Gefühl hat Abdel, der eigentlich anders heißt. Er ist Deutscher, geboren in Berlin. Und er ist Palästinenser, seine Großmutter wurde in Ostjerusalem geboren. Neben der deutschen hat Abdel auch die jordanische Staatsbürgerschaft. "Die Situation ist sehr angespannt. Für Menschen wie mich könnte es noch unangenehm werden." Seinen richtigen Namen möchte er nicht in einem Artikel veröffentlicht sehen.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger spricht von einem "Zwei-Klassen-Staatsangehörigkeitsrecht". "Wer gehört dazu, wer gehört nicht dazu? Das ist genau das, was es nicht braucht in einer Migrationsgesellschaft. Es braucht ganz klare Regeln und Rechtssicherheit für alle sowie gleiche Rechte für alle Menschen in Deutschland."

Aus "Terrorist" wird "Terrorunterstützer" 

Im Grundgesetz ist eigentlich festgelegt, dass der Staat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entziehen darf. Aber es gibt Ausnahmen: Wer sich beispielsweise als Kämpfer einer Gruppe wie dem IS anschließt, die in Deutschland als Terrororganisation eingestuft ist, dem kann bereits nach geltendem Recht der deutsche Pass entzogen werden - allerdings nur, wenn die Person einen zweiten Pass besitzt.

Die Union forderte im Wahlkampf aber immer wieder eine Verschärfung dieser Regelung. So kündigte Kanzlerkandidat Friedrich Merz Anfang Januar an, "straffällig werdende Personen" mit doppeltem Pass auszubürgern. Und  Markus Söder schrieb kurz darauf auf X: "Wer ein Kalifat fordert, dem muss die doppelte Staatsbürgerschaft entzogen werden!" 

Der aktuelle Entwurf trägt deutlich die Handschrift der Union. Künftig soll für den Entzug des deutschen Passes also ausreichen, als "Terrorunterstützer" oder "Antisemit" identifiziert zu werden.  Aber wie werden diese Begriffe überhaupt definiert?

Antisemitismus ist nicht per se ein Straftatbestand in Deutschland. Es muss der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sein  und das trifft auf viele antisemitische Äußerungen zu, so auch die Leugnung des Holocaust.  

Zusätzlich zur strafrechtlichen Verfolgung könnte nun eine Ausbürgerung drohen, die allein für Doppelstaatsbürger gilt. Kritiker sehen darin eine Benachteiligung gegenüber Menschen, die sich beispielsweise antisemitisch äußern, und nur den deutschen Pass besitzen. 

"Es geht darum, bestimmte Gruppen auszugrenzen, Menschen aus arabischen oder muslimischen Ländern", meint Elad Lapidot. Er ist Professor für Jüdische Studien an der Universität Lille.

Wer ist "ein Antisemit"?

Lapidot findet die Pläne der voraussichtlich nächsten Bundesregierung besorgniserregend. Das liegt auch daran, dass der Bundestag erst kürzlich in einer Resolution bekräftigt hat, die sogenannte IHRA-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance als Maßstab für Antisemitismus zu verwenden. In ihr werden elf Beispiele für Antisemitismus angeführt, die meisten davon beziehen sich auf Israel. Demnach ist es antisemitisch, dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung abzuerkennen, beispielsweise indem man Israel als ein "rassistisches Unterfangen" beschreibt. Eines der Beispiele, die sich sehr weitreichend interpretieren lassen.

So argumentieren IHRA-Befürworter, dem Staat Israel Apartheid vorzuwerfen, sei antisemitisch - auch weil Israel damit als "rassistisches Unterfangen" dargestellt werde. Der Slogan "From the River to the Sea" - vom Jordanfluss ans Mittelmeer (heute Israel und das von Israel besetzte Westjordanland) - erkenne Israel das Existenzrecht oder um es mit der IHRA zu sagen "dem jüdischen Volk sein Recht auf Selbstbestimmung" ab. Das Innenministerium hat ihn als "Kennzeichen der Hamas" auf die Liste verbotener Symbole gesetzt. Gerichte entschieden hingegen mehrfach, eindeutig sei der Slogan keineswegs. Er könne auch - vor allem mit dem Zusatz "From the River to the Sea - we demand equality" - eine Forderung nach gleichen Rechten für alle Menschen in dem Gebiet sein.

"From the River to the Sea - Palestine will be free" - Schilder wie dieses (in London) werden Demonstranten in Deutschland von der Polizei weggenommenBild: Vuk Valcic/ZUMA Press Wire/dpa/picture alliance

Auch Kritiker der IHRA-Definition, Forscher wie Lapidot, wurden teilweise als "Antisemiten" bezeichnet. "Man muss diese Kritik nicht teilen, aber sie zu formulieren und zu äußern ist essenziell für eine Demokratie", sagt Lapidot, Mitbegründer der Association of Palestinian and Jewish Academics.

Entzug deutscher Staatsangehörigkeit im NS-Regime 

Aber Lapidot macht sich auch persönlich Sorgen. Er besitzt sowohl einen deutschen als auch einen israelischen Pass. Ein Teil seiner Familie kommt ursprünglich aus Hamburg. 1934 konnte die Familie ins damals britische Mandatsgebiet Palästina fliehen. Wie vielen deutschen Juden, die vor den Nazis ins Exil geflohen waren, wurde ihnen per NS-Gesetzgebung die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen sobald sie im Ausland lebten.

"Schon einmal hat man in Deutschland Bürger zweiter Klasse geschaffen", erinnert Lapidot. "Dann hat man ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen."

In der Bundesrepublik wurde als Zeichen der Wiedergutmachung dieses Unrechts die Wiedereinbürgerung für "Verfolgte des Nazi-Regimes, denen die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen" entzogen worden ist, im Grundgesetz verankert. Dies betrifft auch ihre Nachfahren. So erhielt Elad Lapidot, aufgewachsen in Israel, die deutsche Staatsbürgerschaft.

Einfluss von Rechtspopulismus? 

Die große Popularität der in Teilen rechtsextremen AfD macht ihm große Sorgen. "In einer Zeit, in der Maßnahmen und Politikvisionen wiederbelebt werden, die in den 30er Jahren von Faschisten und Nazis vertreten wurden, Antisemitismus als importiert von Arabern, von Palästinensern, von Muslimen" darzustellen, so Lapidot, sei "zynisch und äußerst beunruhigend." Antisemitismus wurde in Deutschland zur "genozidalen Ideologie", so Lapidot, und er sei nie aus der deutschen Gesellschaft verschwunden. Bis heute nicht.

Vor den Bundestagswahlen demonstrierten Tausende in Berlin und ganz Deutschland gegen einen Rechtsruck - teils auch mit der Warnung vor einer Zusammenarbeit zwischen CDU-Kanzlerkandidat Merz und der AfDBild: Omer Messinger/Getty Images

Die Linken-Politikerin Bünger ist überzeugt: "Das Sondierungspapier trägt ganz klar die Handschrift der AfD. Der Druck von rechts hat diese verschärften Inhalte erst möglich gemacht."

Abdel, der sich regelmäßig an propalästinensischen Demonstrationen beteiligt, überlegt, seinen jordanischen Pass freiwillig abzugeben. Seinen deutschen Pass will der junge Mann, ein Berliner, auf keinen Fall verlieren. "Ich weiß, dass ich kein Antisemit bin", sagt er. "Mir die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wäre nichts als ein Mittel, freie Meinungsäußerung zu unterdrücken."

Verfassungsrechtliche Prüfung steht noch aus

Wer letztlich entscheiden soll, ob es sich um einen "Antisemiten" handelt, dem potenziell die doppelte Staatsbürgerschaft entzogen werden könnte, ist bislang unklar. Im Entwurfspapier heißt es, "Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen".

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Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, wollte sich auf Anfragen der DW "zum aktuellen Zeitpunkt" nicht zum Koalitionspapier äußern, da es sich noch um einen Entwurf handele.

Bevor Gerichte überprüfen könnten, ob der Vorwurf eines "Terrorunterstützers, Antisemiten oder Extremisten" auf bestimmte Personen zutrifft, muss jedoch der Absatz des Koalitionspapiers verfassungsrechtlich überprüft werden.

Die SPD scheint darauf zu hoffen, dass der Text einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten wird. Dirk Wiese, Teil des SPD-Verhandlungsteams, gibt sich gelassen: "Ich habe da persönlich eine klare rechtliche Auffassung, was bei so einem Prüfauftrag rauskommen wird." Die potenziell Betroffenen dieser Regelung sind da nicht so sicher.

Mitarbeit: Laura Kabelka

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