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Gesellschaft

"Migranten werden problematisiert"

Diana Hodali
18. März 2018

Migranten, Einwanderer, Flüchtlinge: Folgt man dem Koalitionsvertrag, belasten sie die Gesellschaft, kritisiert Ferda Ataman von den Neuen Deutschen Organisationen - selbst wenn sie seit Generationen Deutsche sind.

Deutschland Fussgängerzone
Bild: imago/R. Wölk

Deutsche Welle: Die Neuen Deutschen Organisationen (ndo) sind ein bundesweites Netzwerk von über 100 Initiativen, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus engagieren. Ihre Mitglieder sind überwiegend in Einwandererfamilien groß geworden. Vor diesem Hintergrund schreiben Sie jetzt, dass im Koalitionsvertrag Einwanderer und ihre Nachkommen nur als Problemgruppe vorkommen. Wie meinen Sie das?

Ferda Ataman, Sprecherin der Neuen Deutschen Organisationen (ndo)Bild: privat

Ferda Ataman: In dem gesamten Kapitel zu Migration und Integration geht es eigentlich nur um Fluchtmigration und Fachkräftezuwanderung. Als hätte es vor 2015 keine nennenswerte Migration nach Deutschland gegeben. Die Menschen, die bereits lange hier leben, werden mit keinem Wort positiv erwähnt. Dann ist zudem noch die Rede davon, dass die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft berücksichtigt werden müsse, was so viel bedeutet wie: Noch mehr geht eigentlich nicht, es sind schon so viele da und das ist eigentlich genug. Wenn überhaupt, kommen Menschen wie wir indirekt vor. Im Kapitel Integration und Migration werden wir mit einem Satz angesprochen: Menschen mit Migrationshintergrund sollen an der Gesellschaft teilhaben können und auch im öffentlichen Dienst repräsentiert sein. Das ist alles.

Wie hätten Menschen, die selber eine Einwanderungsgeschichte haben oder in zweiter bzw. dritter Generation in Deutschland leben, erwähnt werden sollen im Koalitionsvertrag?

In der vorherigen Koalitionsvereinbarung stand noch, dass Deutschland ein weltoffenes Land ist. Da wurde Zuwanderung noch als "Chance" beschrieben. In diesem Koalitionsvertrag gibt es kein klares Bekenntnis dazu, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Migration müsse gesteuert und begrenzt werden, das ist jetzt zu lesen. Dass wir in Deutschland schon eine Einwanderungsgesellschaft haben, dass die Aufnahmegesellschaft vielfältig ist und dass das gut so ist, das wird an keiner Stelle kenntlich gemacht. Mir fehlt auch, dass unsere Ängste und Sorgen vor einem Rechtsruck im Koalitionsvertrag und in der Politik ernst genommen werden.

"Es wird unterstellt, wir wollten uns nicht integrieren"

Die ndo schreiben in einer Pressemitteilung: "Den Kampf um die Zukunft unseres Landes hat diese Regierung schon am ersten Tag aufgegeben. Das ist ein peinliches Zugeständnis an die AfD und eine Weichenstellung aufs Abstellgleis."

Ja, der Ton hat sich verändert. Das fängt schon damit an, dass es bislang hieß, man wolle Integration "fördern und fordern". Im neuen Koalitionsvertrag steht es umgekehrt: Man will Integration "fordern und fördern". Das ist kein Zufall. Das ist eine Anpassung an die aktuellen Debatten der vermeintlich besorgten Bürger.

Was impliziert diese Umformulierung für Sie?

Das Wort "fordern" zuerst zu nennen, impliziert, dass Menschen sich nicht integrieren wollen oder keine Integration leisten. Die Gruppe, für die wir sprechen, sind Menschen, die schon lange hier leben, die nicht eingewandert sind, aber Migrationsbezüge haben: Ständig wird unterstellt, sie wollten sich nicht integrieren. Das ist aus unserer Sicht ein Rückschritt in den Diskurs der achtziger Jahre und es entspricht nicht den Tatsachen.

Befürchten Sie, dass dadurch Themen wie Rassismus durch eine andere Brille betrachtet werden oder nicht ausreichend Aufmerksamkeit erhalten?

Man hat sich damit an einen Diskurs angepasst, der Migranten problematisiert. Dieser Diskurs besagt: Deutschland ist angeblich an die Grenzen der Integrationsfähigkeit angekommen und die Migranten, die schon lange hier sind, verursachen genug Probleme. Und so möchte kein Mensch - sei er in dritter Generation aus einer Einwandererfamilie - gesehen werden.

Wir machen gerade massive Rückschritte, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt angeht. Menschen in zweiter und dritter Generation von Einwanderfamilien sind längst hier "angekommen". Sie leben ein Leben wie alle anderen Bürger Deutschlands auch. Wenn man aber ständig über die Medien, über Politiker hört, dass das alles nicht funktioniert, dann ist das ein Schlag ins Gesicht für uns. Das führt natürlich zu Frust und im schlimmsten Fall zu einer Abkehr. Ich habe keine Lust, abends auf einer Party zu erklären, warum wir Migranten nicht alle kriminell sind und warum Flüchtlinge nicht per se ein Problem sind und Deutschland an den Abgrund bringen. Ich finde, wir haben andere Sorgen.

"Wir wollen ein klares Bekenntnis zur Vielfalt"

Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?

Als jemand aus einer Einwandererfamilie hat man gerade wirklich ein beklemmendes Gefühl. Ich muss mir anhören, wir wären Kameltreiber und müssten entsorgt werden. Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Im Alltag hört man wieder öfter rassistische Äußerungen, die man vor fünf Jahren vielleicht noch nicht erlebt hätte. Ich soll Leuten erklären, was wir als Organisation dagegen tun wollen, dass Muslime Frauen herabwürdigen, intolerant gegenüber Schwulen und Lesben seien und antisemitisch.

Was fordern denn die Neuen Deutschen Organisationen von der neuen Bundesregierung?

Wir möchten ein klares Bekenntnis zur Vielfalt in der Gesellschaft hören. Gerade jetzt, wo Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in den Bundestag gezogen sind, Parteien über Heimat reden und über die Grenzen einer Gesellschaft. Menschen in zweiter oder auch dritter Generation von Einwandererfamilien möchten hören, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind. Außerdem müssten die Themen Rassismus und Kampf gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung deutlicher im Koalitionsvertrag vorkommen. Das tun sie aber nicht. Dass auch am Kabinettstisch nur noch Menschen ohne Migrationsvordergrund sitzen, halten wir, im Jahr 2018, im Jahr des Rechtsrucks, für extrem schwierig.

Ferda Ataman ist Sprecherin der Neuen Deutschen Organisationen (ndo), eines bundesweiten Netzwerks aus Initiativen von Menschen aus Einwandererfamilien und People of Color.

Das Gespräch führte Diana Hodali.

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