1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie kommt Deutschlands Wirtschaft wieder in Schwung?

10. April 2025

Deutschlands Unternehmen geht es schlecht. CDU, CSU und SPD wollen das ändern. Führende Wirtschaftswissenschaftler sind skeptisch, ob sie die richtigen Rezepte haben.

Deutschland Berlin 2025 | Experten präsentieren die Gemeinschaftsdiagnose. Die sechs Wirtschaftsforscher stehen nebeneinander vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz in Berlin. Torsten Schmidt hält das Gutachten sichtbar in der Hand.
Sechs Wirtschaftsforscher aus Deutschland und Österreich präsentierten in Berlin ihr Frühjahrsgutachten: Timo Wollmershäuser, Stefan Kooths, Geraldine Dany-Knedlik, Torsten Schmidt, Oliver Holtemöller und Klaus Weyerstrafl (von links)Bild: dts/IMAGO

"It's the economy, stupid" ("Es ist die Wirtschaft, Dummkopf") - dieser Satz spielte vor Jahrzehnten in einem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eine entscheidende Rolle. Bis heute hat er seine weltweite Bedeutung nicht verloren. Läuft die Wirtschaft in einem Land gut, dann gibt es Arbeit und Einkommen: Die Steuern fließen, mit denen der Staat seine Aufgaben finanzieren kann.

In Deutschland ist die Wirtschaft in den vergangenen drei Jahren nicht gut gelaufen. Wirtschaftswachstum gab es so gut wie keins. In der energieintensiven Industrie sind ganze Produktionsteile weggefallen. Im internationalen Wettbewerb sind deutsche Unternehmen immer weniger konkurrenzfähig, die Exporte sind weiter eingebrochen.

Frühjahrsgutachten gibt keine Entwarnung

Eine schnelle Erholung der deutschen Wirtschaft ist nicht in Sicht. Das geht aus der sogenannten Gemeinschaftsdiagnose hervor, die führende Wirtschaftsforschungsinstitute jeweils im Frühjahr und im Herbst eines Jahres erstellen. Sechs Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland und Österreich haben sie in Berlin vorgestellt. Für das laufende Jahr sehen sie einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der Wirtschaftskraft, um nur 0,1 Prozent voraus. 2026 sollen es 1,3 Prozent Plus sein.

Der ohnehin schlechte Zustand der deutschen Wirtschaft wird durch die von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle und die daraus resultierende wirtschaftspolitische Unsicherheit noch verstärkt. Allein die US-Zölle auf Aluminium-, Stahl- und Fahrzeugimporte dürften das BIP-Wachstum um jährlich 0,1 Prozentpunkte dämpfen. Die zusätzlichen Zölle gegen die EU hat Trump zwar für 90 Tage auf Eis gelegt. Wenn sie in Kraft treten, dann könnten sich die negativen Auswirkungen jedoch verdoppeln, rechnen die Forscher vor.

Trumps Zölle belasten Export von Autos aus Deutschland

04:19

This browser does not support the video element.

Mit Staatsschulden gegensteuern?

Das ist alles andere als eine gute Ausgangslage für eine neue Regierung. Die konservativen Parteien CDU und CSU und die sozialdemokratische SPD haben sich gerade auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Eins der zentralen Vorhaben: Die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Dabei soll helfen, dass es mehr Spielraum für die Staatsverschuldung gibt. Für Verteidigung gibt es praktisch kein Limit mehr. Für Klimaschutz und Infrastruktur stehen in den nächsten zwölf Jahren kreditfinanziert zusätzlich 500 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Wirtschaftsforscher mahnen, die Mittel mit Bedacht einzusetzen. In der Rüstungsindustrie und im Tiefbau beispielsweise seien die Auftragsbücher bereits voll. Wenn nun noch mehr Aufträge dazu kämen, würde das vor allem die Preise steigen lassen und die Inflation anheizen.

Hohe Schulden ziehen hohe Zinskosten nach sich

Bislang erlaubt die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse eine Staatsverschuldung nur bis zu 0,35 Prozent der Wirtschaftskraft. Der neue Spielraum erhöhe diese Quote auf 3,7 Prozent. "Das ist ein deutlicher Anstieg", konstatiert Torsten Schmidt vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Sein Kollege Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft warnt vor den drohenden Gefahren.

Für Kredite müssen Zinsen gezahlt werden. 2037 könnte der Schuldenberg Deutschlands so angewachsen sein, dass alle Kredite, die der Staat aufnehmen darf, praktisch nur noch für Zinsausgaben verwendet werden müssten. "Eine höhere Verschuldung hebt die Knappheitsprobleme nicht auf, sondern verschiebt die Verteilungskonflikte nur. Damit werden die zukünftigen Handlungsspielräume der dann agierenden Politiker entsprechend eingeschränkt", sagt Kooths. 

Größtes Problem: Die Demografie

Daher sei es wichtig, die strukturellen Probleme Deutschlands anzugehen: Überalterung, immer weniger Arbeitskräfte, hohe Sozialausgaben, überbordende Bürokratie. Das lässt die Wirtschaftskraft potenziell sinken, weil weniger Menschen weniger produzieren und die Kosten immer weiter steigen.

Die Menschen werden immer älter: 2022 lebten fast 17.000 Menschen in Deutschland, die mehr als 100 Jahre alt sindBild: FrankHoermann/SvenSimon/picture alliance

Kooths vergleicht die deutsche Wirtschaft "mit einem überladenen Fahrzeug mit schleifenden Bremsen". Das könne man kurzfristig beschleunigen, indem man "mit Staatsausgaben jetzt mehr Gas gibt. Langfristig macht das der Motor aber nicht mit." Für dauerhaft mehr Dynamik brauche der Standort Deutschland "stärkende Reparaturen", fordert Kooths.

Reform der Sozialsysteme wird vertagt

Wenn eine Gesellschaft älter wird, müssen mehr Renten gezahlt werden, die Gesundheits- und Pflegekosten steigen. Finanzieren müssen das die Erwerbstätigen und die Unternehmen. Beide Seiten teilen sich in Deutschland die Abgaben, die in die Sozialkassen fließen. Das könne so nicht weitergehen, heißt es im Frühjahrsgutachten. Das System der sozialen Sicherung müsse an den demografischen Wandel angepasst werden.

Doch damit tut sich vor allem die SPD schwer. Sie will das Rentenniveau stabil halten und hält generell wenig von Kürzungen bei den staatlichen Sozialausgaben. Weil es in diesem Punkt keine Einigung zwischen Union und SPD gab, sollen nun erst einmal Arbeitsgruppen tagen.

Forscher Kooths kritisiert das als "Spielen auf Zeit". Es sei klar, was angepackt werden müsse und das müsse schnell geschehen. "Es muss jetzt so etwas wie ein Ruck durch das Land gehen. Je länger man sich dafür Zeit lässt, je länger man das durch Quersubventionen stopft, desto weniger attraktiv ist dieser Standort."

Weniger Papier in Ordner abheften

Deutschland erstickt in Bürokratie. Langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren ziehen Bauvorhaben in die Länge, Unternehmen haben enorme Dokumentations- und Nachweispflichten. Aus diesem Grund gehen die Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass das Geld aus dem neuen Schuldenpaket so schnell gar nicht ausgegeben werden kann. "Das führt dazu, dass in diesem Jahr von den Mitteln so gut wie nichts abfließt und erst im kommenden Jahr Mittel in Höhe von etwa 24 Milliarden Euro", sagt Forscher Schmidt.

Deutschland will Infrastruktur modernisieren

03:00

This browser does not support the video element.

Das Ifo-Institut schätzt, dass die Bürokratie die Wirtschaft pro Jahr rund 150 Milliarden Euro kostet. Im Koalitionsvertrag nehmen sich CDU, CSU und SPD vor, diese Kosten um ein Viertel zu senken, indem das Dickicht von Vorschriften und Gesetzen ausgedünnt wird.

Die Wirtschaftsforscher begrüßen das. "Da kann man sich schnell ausrechnen, wieviel Papier weniger in Ordner abgeheftet wird und das Geld dafür sozusagen in die Produktion von Waren und Dienstleistungen fließt", stellt Timo Wollmershäuser vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München fest.

Gegensteuern mit KI

Helfen könnten auch mehr Digitalisierung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz. Im Koalitionsvertrag tauchen diese Begriffe mehrfach auf. "Unter der Annahme, dass wir diese Dinge tatsächlich zügig umsetzen, dann hat das schon das Zeug, in den nächsten Jahren auch unser Potential-Wachstum, unsere technische Fortschrittsrate zu erhöhen", sagt Wollmershäuser.

Dafür müsse aber auch mehr Geld in Forschung und Entwicklung, vor allem aber in Bildung fließen, ergänzt Torsten Schmidt. "Man muss neues Wissen generieren und das auch in die Produktion umsetzen können. Mehr Patente müssen angemeldet werden." In diesem Bereich sei der Koalitionsvertrag nicht sehr ambitioniert, wenn man von der beabsichtigten Förderung für Start-up Unternehmen absehe.

Zusammengefasst sehen die Wirtschaftsforscher im Koalitionsvertrag zwar "eine Reihe guter Ideen". Angesichts der Probleme der deutschen Wirtschaft sei das aber nicht genug. "Das bloße Abarbeiten des Koalitionsvertrags allein wird kaum ausreichen", warnt Stefan Kooths.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen