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Politik

"In Libyen geschehen menschenunwürdige Dinge"

Nicolas Martin
6. Februar 2017

Die EU will in der Flüchtlingsfrage stärker mit den Staaten Nordafrikas kooperieren. Auch die Rückführung nach Libyen steht im Raum. Der UN-Sonderbeauftragte für Libyen Martin Kobler erklärt, warum er diese Idee ablehnt.

Flüchtlinge in Lybien
Bild: DW/Karlos Zurutuza

Deutsche Welle: Die EU diskutiert, wie sie in der Flüchtlingsfrage vorgehen kann. Dabei spielen auch Überlegungen eine Rolle, Flüchtlinge nach Libyen zurückzubringen. Wie schätzen Sie das ein?

Martin Kobler: Ich habe natürlich volles Verständnis für die Europäer, dass sie den Zustrom von Flüchtlingen aus und über Libyen begrenzen wollen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist die Rückführung nach Libyen keine praktikable Lösung. Hier geschehen menschenunwürdige Dinge. Hier sind Menschenschmuggler am Werk, es gibt Verbrechen gegen die Menschlichkeit. All das muss natürlich unterbunden werden. Aber es gibt internationale Standards, die Flüchtlingskonvention muss respektiert werden. Man kann die Menschen deshalb nicht in die furchtbaren Verhältnisse zurückführen, wie sie in den Lagern in Libyen herrschen - und ich glaube, das sehen auch alle ein.

Können Sie die Verhältnisse in den Lagern beschreiben?

Man darf sich das nicht so vorstellen, wie die Flüchtlingslager in Jordanien. Also mit Zelten des UNHCR. In den Lagern in Libyen sind die Menschen oft zusammengepfercht und müssen teilweise im Stehen, nacheinander oder übereinander schlafen. Ungefähr zehn Prozent der männlichen Bewohner sind unterernährt. Hinzu kommen Hautkrankheiten und staatliche Willkür. Es kommt zu Vergewaltigungen, Schlägen und ab und zu werden Flüchtlinge sogar erschossen. Diese völlige Willkür und Rechtlosigkeit, das sind keine Zustände, unter denen man Flüchtlinge nach Libyen zurückbringen kann. Das ist völlig inakzeptabel.

Martin Kobler, UN-Sondergesandter für LibyenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Noch einmal: Ich verstehe, dass die Europäer und auch die Deutschen den Zuzug von Flüchtlingen beschränken wollen. Aber es geht nicht, dass man sie in Lager zurückschickt, wo sie verhungern, gequält und vergewaltigt werden. Dass weder die EU noch Deutschland Botschaften in Libyen haben demonstriert ja bereits, dass die Sicherheitslage entsprechend prekär ist.

Was müsste geschehen, um die Bedingungen zu schaffen, um Flüchtlingen nach Libyen zurückzuführen?

Die Lösung liegt darin, dass man starke staatliche Strukturen aufbaut. Und wenn Libyen dann wieder ein Land ist, in dem in akzeptabler Weise Rechtsstaatlichkeit herrscht und Menschenrechte in den Lagern garantiert werden, dann kann man auch mit der Regierung verhandeln, wie es möglich ist, diese Menschen zurückzubringen.

Wie könnte man zeitnah verhindern, dass sich Menschen aus Libyen auf den Weg nach Europa machen?

Die Küstenwache muss ausgebaut werden. Dann muss die humanitäre Lage in den Lagern verbessert werden. Das dritte ist, dass man die Zahl derer steigert, die freiwillig wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Wir haben im vergangenen Jahr 3000 Menschen in ihre Heimatländer zurückgeführt. Das vierte Element ist, dass sich die Lage in den Herkunftsländern verbessert, denn die Menschen machen sich ja nicht ohne Grund auf den langen Weg. Das geschieht ja meistens weil sie politisch verfolgt sind oder wirtschaftliche Probleme haben. Wenn die Europäer sich mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge zusammensetzen und die Lage dort verbessern, werden auch weniger Menschen den Weg antreten.

Libyen gilt als Krisenregion. Wie lange wird es dauern, bis sich die Lage in Libyen wieder entspannt?

Da mache ich keine Voraussagen. Die Lage hier hat sich etwas stabilisiert. Wir haben einen politischen Prozess angestoßen, aber es gibt keine effektiven staatlichen Strukturen. Und es lässt sich nicht vorhersagen, wie lange es noch dauert, bis der Staat wieder zusammengefunden hat. Libyen hatte selten in seiner Geschichte starke staatliche Institutionen. Das Land blickt zurück auf zwei Generationen Gaddafi-Diktatur und es ist schwierig, so etwas über Nacht hinzubekommen - das wissen die Libyer, das weiß die internationale Gemeinschaft. Aber wir arbeiten hart daran, dass dieses eigentlich reiche Land mit den größten Ölreserven Afrikas keine Unterstützung mehr von der internationalen Gemeinschaft benötigt, und die Menschen auch den Wohlstand genießen können, den sie verdienen.

Martin Kobler war Botschafter Deutschlands in Ägypten und dem Irak. Seit November 2015 ist er Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Libyen (UNSMIL). Zu den Zuständen in den Lagern hat die UNSMIL vor Kurzem eine Studie veröffentlicht.

Das Gespräch führte Nicolas Martin.

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