Kochen mit Che-Guevara-Schürze
24. März 2009Der Name Hebe de Bonafini ist in Argentinien mit einem düsteren Kapitel der jüngsten Geschichte des Landes verbunden: mit der Militärdiktatur von 1976 bis 1983, während der nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen rund 30.000 Menschen ermordet wurden. Die heute 80-jährige ist die Präsidentin der Madres, der Mütter der Plaza de Mayo, die seit mehr als 30 Jahren Aufklärung über das Schicksal ihrer Kinder fordern.
Mit dem Mut der Verzweiflung
Kulinarische Kreationen mit politischer Würze
Heute schwingt Hebe de Bonafini wieder den Kochlöffel – und das ausgerechnet auf dem Gelände der ESMA, eines ehemaligen Folterzentrums des Militärregimes. "Cocinando política" heißt ihre Kochveranstaltung, frei übersetzt: "Politik im Kopftopf". Und während sie Braten würzt und Empanadas füllt, kommentiert sie die Politik – und den Kapitalismus. "Das kapitalistische System mit seinen Medien, mit dem Fernsehen und dem ganzen Müll, der aus den USA kommt – Fastfood, McDonalds und so weiter – hat unsere Art zu essen verändert. Selbst für die armen Leute. Die Supermärkte verkaufen, was sie wollen. Warum essen wir heute nicht mehr unsere köstlichen, heimischen Saaten: Quinua, Gerste und Weizen ? Ich bringe den Leuten bei, mit diesen Körnern zu kochen. Und kein Gericht darf mehr als drei Pesos pro Person kosten." Drei argentinische Pesos, das sind 66 Euro-Cents. Auch in Argentinien leiden die Menschen unter steigenden Lebensmittelpreisen – da sind preiswerte Kochrezepte willkommen. Hebe de Bonafinis erster Kochkurs im vergangenen Herbst war gut besucht – rund fünfzig Personen kamen jeden Dienstagabend ins Kulturzentrum Unsere Kinder, das die Mütter auf dem ESMA-Gelände eingerichtet haben.
Revolutionsheld auf Kochschürze
Vor wenigen Tagen hat der zweite Kurs begonnen. In dem Raum mit offener Küche hängen Bilder von Che Guevara an der Wand. Das Antlitz des kubanischen Revolutionshelden argentinischer Herkunft prangt auch auf Hebe de Bonafinis Kochschürze. Unter den Teilnehmern sind überwiegend ältere Semester, darunter auffällig viele Männer. Nestor war bereits im ersten Durchgang dabei: "Es war interessant, weil wir wie zu Hause gekocht haben. Kein Restaurant-Essen, sondern Gerichte, wie sie früher in den Familien zubereitet wurden. Essen wie bei Muttern, und Hebe ist die Mutter, nicht wahr? Und dabei haben wir über Politik geredet." Gemeinsame Mahlzeiten mit Zeit für politische Diskussionen also - statt Pizza-Service und schnellen Fertiggerichten.
Umstrittene Symbolfigur
Hebe de Bonafini, bekennende Anhängerin von Venezuelas linkspopulistischem Präsidenten Hugo Chavez, hält mit ihren politischen Meinungen generell nicht hinter dem Berg. In der Vergangenheit sorgte sie in Argentinien mehrfach für Empörung – etwa, als sie Zufriedenheit über die Attentate des 11. September 2001 in New York äußerte oder ihre Sympathie mit der baskischen Untergrundorganisation ETA und der kolumbianischen FARC-Guerilla ausdrückte. Wegen solcher Ansichten ist Hebe de Bonafini in ihrem Land mittlerweile eine durchaus umstrittene Figur. Selbst viele Menschen, die die Verbrechen der Diktatur verurteilen, stehen der Präsidentin der Mütter der Plaza de Mayo skeptisch gegenüber. 1986 spaltete sich eine Mütter-Gruppe von de Bonafinis Organisation ab und warf ihr einen undemokratischen Führungsstil vor. Grund für die Trennung war auch ein Streit über die Annahme staatlicher Entschädigungszahlungen für die verschwundenen Kinder – de Bonafini lehnte diese ab. Zur heutigen Regierung, unter der die juristische Aufarbeitung der Diktatur wieder in Gang gekommen ist, pflegt sie ein äußerst enges Verhältnis. Etwa stärkte sie Präsidentin Kirchner im Konflikt mit den Bauern den Rücken und schenkte ihr demonstrativ ihr weißes Kopftuch, das Erkennungszeichen der Mütter.
Das sozialistische Hühnchen steht hoch im Kurs
Kochen tut Hebe de Bonafini also ohne Kopftuch – und führt etwa vor, wie aus einem Hühnchen ein sozialistisches Hühnchen wird: "Als meine Kinder klein waren, habe ich ein Huhn so weit wie möglich gestreckt. Ich habe daraus alles mögliche gemacht: Schnitzel, Eintopf, Suppe. Mein Sohn sagte: Mama, jeden Tag essen wir Hühnchen, aber eigentlich ist es so, als würden wir nie welches essen, denn es schmeckt alles kaum danach. Als er heiratete und selber wenig Geld hatte, kam er eines Tages, brachte ein Huhn mit und bat mich: Mama, machst Du mir daraus ein sozialistisches Huhn? Und ich machte daraus Hähnchenschnitzel, Hühnchensalat, Brühe und Reis mit Huhn."
Autorin: Victoria Eglau / Redaktion: Esther Broders