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Kochen zwischen den Extremen

Daniella Cheslow / NSh18. Oktober 2015

Inmitten der aktuellen Auseinandersetzungen gibt es viele Orte, wo Juden und Palästinenser seit Jahren friedlich zusammenarbeiten. Zum Beispiel im Restaurant "Azura". Daniella Cheslow berichtet aus West-Jerusalem.

Israel Jerusalem Moshe Shrefler Mosab Almator Palästinenser Israelis (Foto: DW/Sean Sinico)
Bild: DW/S. Sinico

Moshe Shrefler (Artikelbild, zusammen mit Koch Mosab Almator) betreibt das "Azura" gemeinsam mit seinen drei Brüdern und seinem Vater Ezra. Der war 1939 aus Diyarbakir, einer vor allem von Kurden bewohnten Stadt in der Türkei nach Israel ausgewandert. Seit mehr als einem halben Jahrhundert strömen die Menschen nun schon in das gemütliche Restaurant auf dem Mahane-Jehuda-Markt in West-Jerusalem, um herzhafte Fleischeintöpfe zu essen, die stundenlang über dem Kerosinherd geköchelt haben.

Die Hälfte der 30 Angestellten sind Palästinenser: Köche, Putzhilfen und Tellerwäscher, die alle im Osten der Stadt leben. Die andere Hälfte bilden die israelischen Kellner. "Meine palästinensischen Mitarbeiter kommen hierher, um Geld zu verdienen", sagt Shrefler. "Sie arbeiten schon seit Jahren für mich und ich vertraue ihnen. Natürlich könnte einer von ihnen theoretisch durchdrehen. Aber was soll ich tun? Ich habe ein Geschäft zu betreiben."

Seit Beginn dieses Monats haben Palästinenser sieben Israelis bei Schießereien, Messerstechereien und Anschlägen mit Autos getötet. Mindestens 31 Palästinenser - inklusive der Attentäter - starben bei Auseinandersetzungen mit den israelischen Sicherheitskräften. Die Gewaltwelle hat Jerusalem erschüttert. Hunderte zusätzliche Polizisten wurden eingesetzt. Die israelische Armee hat in vielen Vierteln im Osten der Stadt Kontrollpunkte errichtet.

Israelis und Palästinenser - bei der Arbeit vereint

Am Mittwoch war das "Azura" menschenleer. Shrefler nahm daraufhin sechs Gerichte von seiner Karte und machte 80 Prozent weniger Umsatz als sonst. "Ich will um vier dicht machen und nach Hause gehen", sagt der 39-Jährige. "Ich mag diese Atmosphäre hier nicht."

Seit den neuesten Auseinandersetzungen bleibt das sonst so gut besuchte Restaurant "Azura" oft leerBild: DW/S. Sinico

Mosab Almator, der altgediente Koch des "Azura", ist Palästinenser. Er erzählt, er versuche die Nachrichten, so gut es gehe, zu ignorieren. Almator lebt im Flüchtlingslager Shuafat und arbeitet seit 15 Jahren für Moshe Shrefler. Morgens um 6 Uhr beginnt er seine Arbeit und bereitet gemeinsam mit seinem Chef Gerichte wie Bohnen mit Reis, Rinderlunge und kurdische Teigtaschen zu. "Ja, es ist wahr, da draußen herrscht ein Krieg", sagt er. "Aber bei der Arbeit sind wir Brüder."

Tellerwäscher Rami Frukh erzählt, dass das "Azura" mehr als die meisten palästinensischen Restaurants bezahle. Die aufgeheizte Stimmung in der Stadt hat er zu spüren bekommen, als er diese Woche drei Mal auf dem Weg zur Arbeit von der Polizei angehalten wurde. Frukh lebt in Wadi al Joz, einem Viertel nahe der Jerusalemer Altstadt. "Sie haben mich eine halbe Stunde lang festgehalten und nach Messern durchsucht", sagt er.

Ungleichheit zwischen Ost und West

Zwei Drittel der 850.000 Bewohner von Jerusalem sind jüdische Israelis. Der Rest sind christliche und muslimische Palästinenser, die in Ost-Jerusalem leben. 1967, im Sechs-Tage-Krieg, wurde dieser Teil der Stadt von Israel erobert. Die meisten Menschen hier haben keine israelische Staatsangehörigkeit und beteiligen sich nicht an den Wahlen in Jerusalem. Sie zahlen aber kommunale Steuern, besitzen mit der sogenannten Jerusalem-ID ein Aufenthaltsrecht und haben Zugang zu Gesundheitssystem, Versicherungsleistungen und Schulsystem. Seit Jahrzehnten schon beschweren sich die Palästinenser über eine ungleiche Behandlung, beispielsweise in Sachen Bildung und Infrastruktur. Die Armutsquote liegt in Ost-Jerusalem bei mehr als 70 Prozent.

Die Ungleichheit zwischen Ost- und West-Jerusalem zwingt die Menschen dazu, zusammenzuarbeiten. Nach Information der Tageszeitung "Haaretz" ist die Hälfte der Palästinenser, die aus Ost-Jerusalem stammen und einen Job haben, im Westen der Stadt oder in anderen Städten in Israel beschäftigt. Sie bilden die überwältigende Mehrheit der Hotelangestellten, Bauarbeiter und Bus- und Zugfahrer der Stadt. "Eine Abriegelung Ost-Jerusalems würde eine sofortige und ernsthafte ökonomische Krise für die gesamte Stadt bedeuten", so Nir Hasson, der Jerusalem-Korrespondent der israelischen Tageszeitung "Haaretz".

Doch es kommt immer wieder zu Zwischenfällen. Vor wenigen Tagen rammte Alaa Abu Jamal, Palästinenser und Angestellter des israelischen Telefonanbieters "Bezeq" mit seinem Auto einen Bus und tötete dabei einen Israeli. Und manche Geschäftsleute setzen noch mehr auf Sicherheit: Der israelische Supermarkt-Mogul Rami Levi, der sowohl palästinensische, als auch jüdische Angestellte hat, sagte der Finanzzeitung "Globes", er habe alle Messer aus den Regalen seiner Läden entfernt. Moshe Shrefler sagt, er selbst habe solche Vorkehrungen in seiner Küche nicht getroffen.

Furcht und Verständnis

Natalie Geva, Kellnerin im "Azura" erzählt, sie habe sich in den letzten Wochen auf dem Weg zur Arbeit immer wieder nach hinten umgesehen. Aus Angst. Mit ihren Kollegen fühle sie sich aber wohl. Trotzdem fragte sie diese Woche jeden palästinensischen Koch, ob er auch Steine werfen würde.

Kellnerin Geva fühlt sich auf der Straße nicht mehr sicherBild: DW/S. Sinico

"Meist sagen sie nein, aber ich weiß, wer es doch getan hat", sagt sie. "Es hört sich so an, als wäre ich eine Rassistin und hätte Angst vor Arabern, aber ich bin keine Rassistin. Es ist einfach nur so, dass man auf der Straße geht und sich einfach nicht mehr sicher fühlt."

Durch ihre Arbeit im "Azura" und ihre Unterhaltungen mit Koch Almator habe sie mehr über das Leben der Palästinenser erfahren. "Ich weiß, wie sein Leben aussieht und dass er seinen Kindern Bildung ermöglichen will", sagt sie. "Er arbeitet wirklich sehr hart dafür. Ich bin mir bewusst, dass das Leben für die Palästinenser sehr schwierig ist."

Einfach essen und genießen?

Das Essen im "Azura" ist so gut, dass die israelische Auswanderin Barbara Arama immer hier Halt macht, wenn sie gerade aus Florida zu Besuch in Jerusalem ist. "Ich denke nicht darüber nach, ob einer der palästinensischen Köche in mein Essen gespuckt haben könnte oder nicht", sagt die 72-Jährige. "Ich esse einfach und genieße. Wenn ich so denken würde, könnte ich in den meisten Restaurants nicht essen, denn dort arbeiten fast ausschließlich Palästinenser."

Während Arama sich mit ihrem Ehemann unterhält, schiebt sich Tellerwäscher Omar Abu Sbitan an ihr vorbei und macht Mittagspause. Dabei liest er auf seinem Telefon die neuesten Nachrichten. Er sagt, er könne die Palästinenser, die Israelis attackieren, verstehen. "Ich unterstütze sie. Ohne sie werden wir unsere Heimat nie befreien", sagt Abu Sbitan, der auf dem Ölberg nahe der Altstadt lebt. "Inshallah werde ich einmal einer von ihnen sein." Doch diese Aussage klingt unglaubwürdig, denn gleich anschließend erzählt er, dass er sich zum Koch ausbilden lasse. "Ich bin hier zufrieden", sagt Abu Sbitan. "Mein Chef ist ein guter Mann."

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