1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kunst

Koelbl-Ausstellung zeigt Flüchtlingsalltag

1. Mai 2017

Herlinde Koelbl zählt zu den renommiertesten Fotografinnen in Deutschland. Für ihr Foto-Projekt "Refugees" war sie in den Flüchtlingslagern Europas unterwegs. Ihre Momentaufnahmen erzählen vom Schicksal Hunderttausender.

Deutschland Ausstellung von Herlinde Koelbl im Literaturhaus in München
Bild: Herlinde Koelbl

Schon der Untertitel der Ausstellung im Münchner Literaturhaus lässt die Besucher kurz stutzen: "Refugees. Eine Herausforderung für Europa" steht auf dem auffälligen Plakat am Eingang zum Literaturhaus in München. Auf dem Bild ist ein Mann zu sehen, der sich kurz zur Fotografin umdreht, so als hätte ihn das Klicken des Auslösers der Kamera überrascht. Umhüllt von einer dünnen goldfarbenen Rettungsdecke, wie sie bei Unfällen im Straßenverkehr verwendet werden. Er ist offenbar gerade dabei, eines der Dixi-Klos zu betreten, die reihenweise die Ankunftsplätze der Auffanglager säumen. 

Aufgenommen hat Herlinde Koelbl das Foto 2016. Im DW-Interview erzählt sie, wie es zustande gekommen ist: "Der Bus in das ersehnte, das neue Leben in Europa, stand schon bereit. Die Flüchtlinge waren schon registriert und alles war zur Abfahrt bereit. Ich war in Begleitung des UNHCR dort, ein paar Pressefotografen waren auch noch da. Und als der ganze Rummel vorbei war, sind die alle abgezogen." Koelbl ist an dem Tag dort geblieben, in diesem Flüchtlingslager an der Küste Siziliens, wo sich Woche für Woche Dramatisches abspielte. "Der Moment, wenn sich etwas auflöst, und nicht nur das Offensichtliche passiert, interessiert mich. Da bleibe ich ganz bewusst gerne."

Kunstvoll und farbintensiv

Die auch politisch engagierte Fotografin war mehrere Monate in den Flüchtlingslagern an den Grenzen Europas unterwegs. Auch in den deutschen "Erstaufnahme-Einrichtungen", wie sie im Amtsdeutsch heißen, hat Koelbl über einen Zeitraum von mehreren Wochen fotografiert. "Donauwörth, München, Fallingbostel, Hamburg, Berlin", zählt sie die Lager auf, die sie für dieses Ausstellungsprojekt besucht hat.

Überbleibsel einer Überfahrt nach EuropaBild: Herlinde Koelbl, Foto: DW/H. Mund

Nicht immer seien die Räumlichkeiten für so große Menschenmengen geeignet gewesen, erinnert sie sich. In Hamburg waren auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2016 Kasernen, Flugzeughangars und sogar leere Tennishallen zu Erstaufnahmelagern umgebaut worden. Eine junge Frau habe ihr erzählt, dass sie acht Monate in einer Tennishalle gewohnt habe. Privatsphäre habe es so gut wie nicht gegeben: "Manche versuchen durch einen Schlafsack oder durch eine Decke ihre Pritsche etwas abzudecken, so dass man nicht alles so ganz einsehen kann. So schlafen und so wohnen sie."

Auffällig sei überall gewesen, dass sich vor allem die Frauen und Mütter sofort nach der Ankunft im Lager um etwas Gemütlichkeit gekümmert hätten. Auch um den Kindern wenigstens ein bisschen Geborgenheit zu geben. "Hier in Deutschland haben sie zumindest eine kleine Zelle für sich, haben eine Tür oder einen Vorhang, den sie schließen können. Und sie wohnen nicht Pritsche an Pritsche, wie in den Flüchtlingslagern in anderen Ländern. Hier haben sie zumindest etwas, wohin sie sich zurückziehen können. Auch wenn es nur fünf mal fünf Meter sind", sagt Koelbl.

Erfolg durch Hartnäckigkeit

Herlinde Koelbl hat sich auch international einen Namen gemacht - als Foto-Künstlerin. Nicht als Fotoreporterin. Das sei für sie eine völlig andere Profession. "Ich habe den Flüchtlingen erzählt, dass ich für eine Ausstellung fotografiere. Das war noch mal was anderes. Ich habe diese Ausstellung ja für den Europarat konzipiert und für den 'International Day of Refugees' gestaltet. Das heißt: Sie wussten, dass meine Arbeit in einem anderen Kontext steht." Auf aufdringliche Reporter hätten die Flüchtlinge geradezu "allergisch" reagiert.  

Die Münchner Fotografin geht behutsam an ihre Arbeit heran, häufig hat sie einen Dolmetscher an ihrer Seite. Sie versucht, in den Augen ihrer Protagonisten zu lesen, ob ihnen das Fotografieren unangenehm ist. "Die Leute sehen mich ja mit der Kamera. Und wenn die mit dem Kopf schütteln, dann geht man wieder weiter. Aber es war oft so, dass manche doch Englisch sprachen oder es kam jemand vorbei mit Englischkenntnissen, so dass ich mich auch ein bisschen unterhalten konnte."

Stille Andacht im FlüchtlingslagerBild: Herlinde Koelbl, Foto: DW/H. Mund

Beim Rundgang durch die sorgsam gehängte Ausstellung im Münchner Literaturhaus bleibt der Blick an anrührenden Details hängen: kleine Herzensdinge, die die Geflüchteten mit knapper Not aus dem Leben in ihrem Heimatland gerettet haben. Fotos, die in der Massenabfertigung der Notunterkünfte ein Stück Privatleben möglich machen. "Ich habe das in Athen am Hafen fotografiert. Da sind diese wilden Camps, wo die Menschen wirklich in ganz kleinen Zelten auf dem Asphalt wohnen. Die sind ganz verstreut, überall gibt es solche Nester", erzählt Koelbl. "Und diese Frau saß in ihrem Zelt und hat in ihrem Buch gelesen. Das sind Momente, in denen Menschen - trotz der widrigen Umstände - ihr kleines Leben einrichten. Und ich habe mir in dem Moment gedacht: Wie hat sie das nur geschafft?"

Augenmerk für die Schwächsten der Gesellschaft

Die Fotografin, die ihre Ausstellungen immer selbst kuratiert und gestaltet, hat ganz bewusst einen Foto-Zyklus von denen gruppiert, die am härtesten von Flucht, Gewalt, und dem Ausgeliefertsein, der Heimatlosigkeit betroffen sind. "Man sieht, wie die Kinder mit Messern, mit spitzen Sägen spielen. Wenn man genau hinguckt, sieht man in dem Ausdruck der Gesichter pure Aggression, eine Verrohung fast."

Sie möchte in der Ausstellung, die sie im Auftrag des Europarates fotografiert hat, zeigen, dass die Kinder am meisten unter dieser Fluchtsituation leiden. "Man sieht, was die Kinder erlebt haben - auch jetzt nach der Flucht. Man sieht eine gewisse Verrohung in den Gesichtern. Aber trotzdem gibt es Frauen, die schwanger sind. Es gibt Babys, die gerade geboren worden sind. Das Leben geht weiter, im Krieg und auch in den Flüchtlingsunterkünften."

Ausstellung "Stille Post": Dialog mit Flüchtlingen in DeutschlandBild: DW/G. Schließ

Fotografien von Herlinde Koelbl sind kunstvoll arrangiert, voll zarter Poesie. Sie hat ein Auge für Proportionen und Farbsetzung. Erst spät entdeckte Koelbl, die 1939 in Lindau am Bodensee geboren ist, die Fotografie für sich. "Für die Zeitung wären manche Fotos hier in der Ausstellung vielleicht zu ruhig, zu unspektakulär", räumt sie am Ende des Gesprächs ein. "Ich möchte in meinen Fotos Geschichten erzählen. Über das Leben nach der Flucht, nach der Ankunft, also wenn die Schlaglichter schon erloschen sind. Dann beginnt für diese Menschen auch erst das Leben hier. Wenn sie alles überstanden haben."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen