Kohl in den USA: Ein verlässlicher Freund
17. Juni 2017"Da gab es einen großen Kanzler aus Bonn", dichtete der frühere US-Präsident George H.W. Bush im Jahre 1990 während einer zweitägigen Konferenz in Paris, auf der er sich vermutlich langweilte. Wie Bushs Limerick weiterging, weiß wohl nur sein früherer Stabschef John Sununu, der diese Anfangszeilen des Hobby-Poeten im Präsidentenamt jüngst in einem Buch veröffentlichte. Doch es ist kein Geheimnis, dass Bush Helmut Kohl sehr geschätzt hat.
Fähigkeit zur Freundschaft
In einem Interview mit der Deutschen Welle sprach der frühere Präsident von einer "engen und vertrauensvollen Beziehung", die ihn mit Kohl verbunden habe. Deswegen sei es ihm am Ende auch nicht schwer gefallen, zu Beginn des deutschen Einigungsprozesses die "weitreichendste Entscheidung" zu treffen, die es in diesem Zusammenhang überhaupt geben konnte: Die Deutsche Einheit im Grundsatz zu unterstützen - gegen alle Bedenken der Briten und Franzosen.
"Sie standen zusammen, sie mochten einander und sie wussten, dass sie einander brauchten", sagt Stephen Szabo vom Washingtoner Thinktank German Marshall Fund über die beiden Staatsmänner. Kohls Fähigkeit zur Freundschaft hat es ihm ermöglicht, während seiner 16-jährigen Kanzlerschaft mit drei so unterschiedlichen US-Präsidenten wie Ronald Reagan, George H.W. Bush und Bill Clinton gleichermaßen vertraut zu verkehren - und das über Parteigrenzen hinweg. "Die Amerikaner haben Kohl nicht nur als engen Freund von Reagan in Erinnerung, sondern interessanterweise auch von Clinton", sagt Jackson Janes vom American Institute for Contemporary German Studies. "Die Verbindung zu Bush war wohl die stärkste, denn das war es, was Geschichte gemacht hat", so Janes, der damit auf die Deutsche Einheit weist.
Sieg über die Sowjetunion
Helmut Kohl werde von den Amerikanern in erster Linie "als Kanzler der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gesehen", sagt Michael Werz vom Center for American Progress. Der damalige Präsident Bush habe das "aus wohlverstandenem Staatsinteresse" unterstützt. Allerdings würden viele Konservative in den USA den Einheitsprozess auch als "Signum des Sieges über die Sowjetunion" interpretieren.
Auf dem Weg zur Wiedervereinigung habe Kohl "geführt und dafür gesorgt, dass Deutschland sich nicht von den Europäern entfremdete", sagt Jackson Janes. "Das war ein Drahtseilakt, der größtenteils funktionierte."
Kohls Verlässlichkeit
Doch neben Kohls Staatskunst schätzen die Amerikaner vor allem seine Verlässlichkeit. Dass Margaret Thatcher den damaligen US-Präsidenten Reagan nicht für ihre Politik der scharfen Ablehnung der Deutschen Einheit gewinnen konnte, hat auch mit dem großen Vertrauenskapital zu tun, das Kohl bei Reagan erworben hatte. Bei der Durchsetzung des Nato-Doppelbeschlusses sei er mit Reagan "durch eine harte Zeit gegangen", so Szabo. "Kohl wurde 1982 Kanzler und das ganze Land war in Aufruhr. Viele hier stellten sich die Frage, wie Kohl die Situation meistern wird", fasst Szabo die Haltung innerhalb der Reagan-Regierung zusammen.
"Er sagte dann einfach, wir machen das" - und habe nicht gewankt. Das habe Reagan ungemein beeindruckt und ein "Band des Vertrauens" zwischen den beiden Politikern geschaffen. Dass dies alles andere als selbstverständlich war, zeigen Szabos und Janes' Seitenhiebe gegen den damaligen Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher, dem man in Washington wegen seiner vermuteten Russland-Freundlichkeit nicht über den Weg traute.
Einheit steht im Vordergrund
Während Kohl in den USA vor allem als Kanzler der Einheit in Erinnerung bleiben dürfte, treten seine Leistungen bei der Europäischen Einigung und der Einführung des Euro in den Hintergrund. Auch die unrühmliche Parteispendenaffäre sei wohl nur Experten ein Begriff, gibt Jackson Janes zu bedenken. Gleiches dürfte wohl auch für sein umstrittenes Diktum der "geistig-moralischen Wende" gelten, das Michael Werz kritisch sieht, weil es eine "Revision der durch den Vietnam-Protest und die Protestkultur der USA inspirierten Studentenbewegung zum Ziel hatte". Die sogenannte 68er Bewegung sei auch eine Fortsetzung der Entnazifizierung der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Deshalb sei aus amerikanischer Sicht "Kohls aggressive Haltung dagegen" schwer nachvollziehbar gewesen.
Insgesamt würden sich heute aber nur vergleichsweise wenige Amerikaner an Helmut Kohl erinnern, vermutet Stephen Szabio: "Es ist lange her und die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis." Bundeskanzlerin Angela Merkel erfreue sich hingegen selbst bei amerikanischen Taxifahrern großer Popularität.
"Den Menschen zugetan"
Dabei ist Kohl für jene, die sich in den USA an ihn erinnern, ein nahbarer und sympathischer Zeitgenosse gewesen. "In mancher Hinsicht war er wie Clinton", so Szabo. "Er war den Menschen zugetan und wusste, wie man mit ihnen umgeht. Ganz anders als später bei Merkel und Obama, die kühler sind."
In Erinnerung geblieben sind manchen noch die massiven Essgelage, die Kohl und Clinton beim Washingtoner Edel-Italiener Filomenia abhielten. "Es ist fast schon legendär, dass er und Clinton diese großen Essen bei Filomenia hatten und diesen enormen Appetit mitbrachten", erinnert sich Stephen Szabo. Schwer vorstellbar, dass über spätere Kanzler und US-Präsidenten einmal ähnliche Geschichten die Runde machen.