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Kohl rechnet ab

Kay-Alexander Scholz6. Oktober 2014

Alt-Kanzler Helmut Kohl sorgt im politischen Berlin mal wieder für Gesprächsstoff. An die Öffentlichkeit sind rüde Bemerkungen über seine ehemaligen Weggefährten gekommen. Auch die Kanzlerin ist betroffen.

Angela Merkel und Helmut Kohl beim CDU-Parteitag 1991(Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Frau Merkel konnte noch nicht einmal richtig mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste". Die mächtigste Frau Europas bekommt derzeit in den deutschen Medien ein Zeugnis ausgestellt, das sie in ein, um es noch vorsichtig auszudrücken, wenig charmantes Licht rückt. Zitatgeber ist Ex-Kanzler Helmut Kohl. Der "Kanzler der Einheit", noch immer eine Kultfigur in seiner Partei, der CDU, hat dies seinem früheren Biografen Heribert Schwan auf Tonbändern anvertraut. Dies berichtet "Der Spiegel" in seiner neuesten Ausgabe.

Das Nachrichtenmagazin hat die Transkripte der Bänder für eine Titelgeschichte gesichtet. Die Tonbandaufnahmen wurden zwischen März 2001 und Oktober 2002 gemacht und wurden vom Landgericht Köln als "historisches Vermächtnis Kohls" eingestuft. Am Dienstag soll ein Band mit Auszügen aus diesen Gesprächen in Berlin vorgestellt werden. Der "Spiegel" zitiert vorab daraus.

Der ehemalige Kohl-Vertraute Heribert SchwanBild: picture-alliance/dpa/Rolf Vennenbernd

Blüm: "Es ist schade"

Doch nicht nur über Merkel äußerte sich Kohl abfällig. Christian Wulff, der vor seiner Wahl zum Staatsoberhaupt 2010 Regierungschef und CDU-Landesvorsitzender in Niedersachsen war, sei "eine Null" und "ein ganz großer Verräter". Auch seinen langjährigen Arbeitsminister Norbert Blüm bezeichnete der frühere Regierungschef als Verräter und fragte sich, wie er sich so in seinem Charakter habe täuschen lassen könne. Das Wort müsse in irgendeiner Form rein, zitiert der "Spiegel".

"An dieser Diskussion beteilige ich mich nicht", sagte Blüm nun in einem TV-Interview. Auf dieses Niveau wolle er nicht herabsteigen. "Es ist schade", so Blüm weiter. Kohl setze seinen guten Ruf aufs Spiel. Mehr wollte er dazu nicht sagen.

Regierungssprecher Steffen Seibert wollte in Berlin keinen Kommentar dazu abgeben.

Ex-Bundestagspräsident Thierse ist bestürzt

Brisant sind auch die Äußerungen Kohls über die friedliche Revolution 1989 in der DDR. "Die Vorstellung, die Revolutionäre im Osten hätten in erster Linie den Zusammenbruch des Regimes erkämpft, sei dem 'Volkshochschulhirn von Thierse' entsprungen", schreibt "Der Spiegel". Vielmehr habe die wirtschaftliche Schwäche den Ostblock zum Einsturz gebracht.

Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident, kommentierte im Interview mit der Deutschen Welle die Berichte mit dem Satz: "Kohl beansprucht die alleinige Vaterschaft für das Ende der DDR und die Einheit Deutschlands." Die Äußerungen seien für ihn "befremdlich und bestürzend". Kohl beraube damit die ehemaligen DDR-Bürger ihrer historischen Leistung einer friedlichen Revolution und des Ende des Kommunismus, der wohl einzigen Quelle historischen Selbstbewusstseins, so Thierse.

Alter Streit

Die Äußerungen Kohls müssen wohl auch vor dem Hintergrund der CDU-Parteispenden-Affäre gewertet werden. 1999, als Kohl schon nicht mehr Kanzler war, kam heraus, dass es jahrelang "Schwarze Kassen" gegeben hatte. Kohl selber gab das zu, hat aber bis heute keine Namen der Spender genannt. Anfang 2000 brach seine Partei mit ihrem Ehrenvorsitzenden Kohl, maßgeblichen Anteil daran hatte Angela Merkel. Das Verhältnis zwischen beiden hat sich nie erholt, vergeblich hat Merkel versucht, die Hand zur Versöhnung auszustrecken.

Die mediale Aufregung kommt Kohl wohl nicht ganz ungelegen. Er will am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse eine Neuausgabe seiner Erinnerungen "Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung" vorstellen. Anfang November soll die Präsentation seines Buches "Aus Sorge um Europa - ein Appell" stattfinden. Zudem ist Kohl für den Friedensnobelpreis, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, vorgeschlagen.

Der Ehrenvorsitzende der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Bernhard Vogel, versuchte in einem Interview des Deutschlandfunks, die Aussagen zu relativieren. Er sei sicher, dass Kohl Merkel heute ganz anders beurteile. Kohl habe damals schließlich unter öffentlichem Beschuss gestanden und seine Frau sei schwer krank gewesen. Außerdem seien die Veröffentlichungen wohl so auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, so Vogel.

Kohl hat sich schon vor Jahren mit seinem früheren Biografen Schwan überworfen. Gerichtlich hat er die Rückgabe der Tonbänder erstritten. Sie sind seit März wieder in seinem Besitz. Laut Medienberichten versuchen Kohls Anwälte derzeit, die Veröffentlichung des neuen Schwan-Buchs zu verhindern. Der Münchner Heyne-Verlag hat jedoch bereits mit der Auslieferung begonnen.