1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Koloniale Vergangenheit holt Deutschland ein

Antonio Cascais
27. August 2020

Mehr als 100 Jahre nach dem Ende des deutschen Kolonialreichs wächst der Druck auf die Bundesregierung: Neben Namibia verlangen nun auch Tansania und Burundi Reparationen für die von Deutschen begangenen Verbrechen.

Namibia Deutschland Völkermord an der Herero
In Namibia stehen Forderungen gegen Deutschland seit Jahren im Raum, hier ein Foto von 2011Bild: AFP/Getty Images/B. Weidlich

Mehrere Gräueltaten aus den 1900er-Jahren holen das Deutschland der Gegenwart gerade ein: Namibia verhandelt bereits seit 2015 mit Deutschland über Reparationen wegen des Völkermords an den Volksgruppen der Herero und Nama. Tansania wirft deutschen Truppen Kriegsverbrechen bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands vor und will Entschädigungen verlangen.

Jetzt will auch Burundi Forderungen wegen verschiedener "Aggressionen" seitens der deutschen und belgischen Kolonialherren erheben. "Es scheint, als ob die Regierung in Berlin von den Forderungen überrascht worden sei, dabei war das schon lange abzusehen, dass man dieses wichtige Kapitel nicht unter dem Teppich schieben kann", sagt Jürgen Zimmerer, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg. Einerseits habe sich Deutschland hohe moralische Ansprüche auferlegt, was die Aufarbeitung der eigenen Geschichte angeht. Andererseits stehe man jetzt tatenlos vor den kolonialen Verbrechen in Afrika und wolle keine richtige Antwort geben.

Genozide, Kriegsverbrechen und Raubzüge

Deutschland war zwischen 1885 und 1919 die drittgrößte europäische Kolonialmacht in Afrika, hinter dem Vereinigten Königreich und Frankreich. Das deutsche Kaiserreich herrschte über Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia), Deutsch-Ostafrika (das das Staatsgebiet der heutigen Staaten Burundi, Ruanda sowie Tansania ohne die Insel Sansibar umfasste), sowie über Gebiete in den heutigen Staaten Togo, Ghana und Kamerun. Das Imperium überdauerte nur etwas mehr als drei Jahrzehnte: Im Zuge des verlorenen Ersten Weltkriegs musste das Deutsche Reich seine Kolonien an die Siegermächte abtreten.

Diese Illustration von 1904 trägt den Titel "Hauptmann Franke im Kampf gegen die Hereros"Bild: picture-alliance/Heritage-Images/The Print Collector

 "Obwohl es eine kurze Periode war, war das deutsche Kolonialsystem sehr einschneidend", sagt Historiker Zimmerer. "Die Kolonien mussten de facto überall erobert werden, weil es überall zu Widerstandsaktionen kam, die von deutscher Seite brutal niedergeschlagen wurden." Die blutigsten Aufstände waren 1905-1907 der Maji-Maji-Aufstand in Ostafrika, bei dessen Niederschlagung nach Schätzungen von Historikern bis zu 300.000 Menschen getötet wurden, und 1904-1908 der Aufstand der Herero und Nama in Südwestafrika, bei dem es zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts mit 80.000 Toten kam.

Namibia: "Reparationen" oder "Heilung der Wunden"?

Offiziell verhandelt Deutschland nun schon seit gut fünf Jahren mit Namibia über eine förmliche Entschuldigung für die Kolonialverbrechen sowie über Wiedergutmachungszahlungen. Uneinigkeit besteht vor allem darüber, welche Form - und welches Label - eine Wiedergutmachung für Niederschlagung der Herero- und Nama-Aufstände haben soll. Vertreter der Herero und Nama verlangen vom Bundestag neben einer Entschuldigung auch "Reparationszahlungen".

Regierungsvertreterinnen Deutschlands und Namibias bei einer Übergabe von Gebeinen 2018Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Ruprecht Polenz, seit 2015 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Dialog mit Namibia, stellt im DW-Interview klar: "Deutschland möchte sich seiner politischen und moralischen Verantwortung für die Verbrechen stellen, die zwischen 1904 und 1908 begangen worden sind." Es sei aber aus Sicht der Bundesregierung keine Rechtsfrage. "Das haben auch Gerichte mehrfach festgestellt, die von Teilen der Herero und Nama angerufen worden sind. Es ist eine politisch-moralische Frage und daraus folgt, dass wir in den Texten und Erklärungen Begriffe wählen, die das zum Ausdruck bringen und keine Begriffe, die in einem engeren Sinne Rechtsbegriffe sind." Deutschland wolle sich lieber heute als morgen für diese Verbrechen entschuldigen, sagt Rupert Polenz im DW-Interview.

Burundi: Aggressionen und ökonomische Unterdrückung

Infolge der laufenden Gespräche zwischen Deutschland und Namibia hat auch Burundi einen Vorstoß gemacht, Entschädigung von Berlin für in der Kolonialzeit begangene Verbrechen zu verlangen. Eine vom burundischen Senat ernannte Expertengruppe bereitet die Veröffentlichung eines Berichts vor. Berichten zufolge sollen finanzielle Wiedergutmachungen in Höhe von circa 36 Milliarden Euro von den früheren Kolonialmächten Deutschland und Belgien verlangt werden.

Der burundische Historiker Aloys Batungwanayo, Professor an der Universität Lausanne und Mitglied der burundischen Expertenkommission, hält es für gerechtfertigt, dass Deutschland Burundi eine Entschädigung für "deutsche Aggressionen" in Burundi zahlt: "Wir werfen Deutschland brutale Aggressionen gegen die burundische Bevölkerung vor." Deutschland habe Burundi militärisch unterworfen. Jetzt, 100 Jahre später, gehe es vor allem darum, "dass Deutschland akzeptiert, dass es notwendig ist, die Konsequenzen seiner Kolonialpolitik lückenlos zu erforschen und eine Lösung zu finden, wie beide Seiten in Zukunft damit umgehen sollen."

Tansania: Gedenken an die Opfer des Maji-Maji-Aufstands

Auch Tansania erhöht den Druck auf die Bundesregierung, Verantwortung für deutsche Kriegsverbrechen während der Kolonialzeit in Ostafrika zu übernehmen. Der tansanische Botschafter in Berlin, Abdallah Possi, forderte die Bundesregierung Anfang 2020 zu "Verhandlungen über Wiedergutmachungen" für Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit in Ostafrika auf - darunter Massaker an verschiedenen einheimischen Bevölkerungsgruppen, die sich mit unterlegenen Waffen im Maji-Maji-Aufstand gegen die Besatzer wehrten.

Dieses Brachiosaurus-Skelett wurde im heutigen Tansania gefunden - trotzdem steht es in BerlinBild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

Achilles Bufure, Direktor des tansanischen Nationalmuseums in Daressalam sagt im DW-Gespräch, es sei überaus wichtig, dass die Regierung seines Landes bald beginne, über Reparationszahlungen für die deutschen Kriegsverbrechen zu verhandeln. Als Museumsdirektor gehe es ihm aber auch um ein anderes wichtiges Thema: Die Rückgabe unzähliger gestohlener Kunstobjekte und Kulturgüter. "Es wäre ein sehr gutes, erstes Zeichen, wenn zum Beispiel das große Dinosaurier-Skelett, das im Deutschen Naturkundemuseum in Berlin ausgestellt ist, bald an den ursprünglichen Fundort Tansania zurückkäme."

Die tansanische Regierung plant, zahllose Objekte und menschliche Überreste zurückzufordern, die in deutschen Museen liegen. Aus der Kolonie waren zahllose Schädel und Knochen nach Deutschland gebracht worden. Viele der Knochen und Kulturobjekte gehörten Menschen, die sich im Maji-Maji-Krieg gegen Deutschland aufgelehnt hatten.

Mitarbeit: Eric Topona

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen