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Politik

Kolumbianische Kehrtwende

Enrique Anarte
10. Februar 2021

Kolumbiens überraschende Entscheidung, den Status von fast einer Million Geflüchteter aus Venezuela zu legalisieren, setzt international ein starkes Zeichen.

Kolumbien Venezolanische Flüchtlingskinder in Cucuta
Bild: Getty Images/J. Raedle

Es ist eine Kehrtwende um 180 Grad. Noch vor wenigen Wochen hatte der kolumbianische Staatschef Iván Duque damit gedroht, die venezolanischen Flüchtlinge im Land von einer Corona-Impfung auszuschließen. Doch jetzt dringen ganz andere Töne aus dem Präsidentenpalast in Bogotá. Am Montag kündigte Duque überraschend an, den Aufenthaltsstatus von knapp einer Million Flüchtlingen aus dem Nachbarland legalisieren zu wollen. Damit würde er diesen Menschen auch den Zugang zum kolumbianischen Gesundheitssystem und zu einer COVID-19-Impfung ermöglichen.

"Es ist eine vorbildliche humanitäre Geste für die Region, sogar für die ganze Welt", sagte Filippo Grandi, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, nach der Bekanntgabe. Von den rund 1,73 Millionen Venezolanern, die sich in Kolumbien aufhalten, verfügen nach Angaben der Regierung etwa 966.000 über keinen offiziellen Aufenthaltsstatus.

Machtwechsel in Venezuela nicht in Sicht

"Das ist eine historische Maßnahme", sagte Ligia Bolívar, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Menschenrechtszentrum der Katholischen Universität Andrés Bello in Venezuela, der DW. Das Dekret, das noch nicht rechtskräftig ist, würde einen Legalisierungsprozess in Gang setzen, der viel breiter angelegt sei als vergleichbare Maßnahmen in Argentinien oder Peru.

Kolumbiens Präsident Iván Duque bei der Bekanntgabe der Gewährung des Schutzes für venezolanische MigrantenBild: Luisa Gonzalez/REUTERS

Der konservative Iván Duque trat sein Amt 2018 mit einer dezidiert feindseligen Haltung gegenüber dem linksgerichteten Regime von Nicolás Maduro im Nachbarland Venezuela an. Wiederholt betonte er, dass bei einem bald zu erwartenden Sturz der Regierung in Venezuela die Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Die aktuelle Kehrtwende bricht radikal mit dem bisherigen Kurs des kolumbianischen Präsidenten und bietet gleichzeitig Hoffnung für diejenigen, die vor der andauernden venezolanischen Krise fliehen.

"Es ist zum Teil eine Frage des politischen Pragmatismus, denn Duque ist davon ausgegangen, dass die Situation von fast einer Million Venezolanern, die sich illegal im Land befinden, nicht kurzfristig gelöst werden kann", glaubt Bolívar, die auch davon überzeugt ist, dass die Gesamtzahl der Venezolaner in Kolumbien trotz offiziell niedrigerer Angaben längst über zwei Millionen liegt.

Ronal Rodríguez, Politikwissenschaftler an der kolumbianischen Universidad del Rosario, erklärt gegenüber DW, dass "es für den kolumbianischen Staat viel gefährlicher ist, so viele Menschen in der Illegalität zu belassen und der Schattenwirtschaft auszuliefern".

Iván Duques politisches Erbe

Aber Rodríguez glaubt auch, dass der aktuelle politische Befreiungsschlag sich aus dem Charakter des Präsidenten erklärt. Duque sei bisher nicht gerade durch Führungsstärke aufgefallen, habe mit dieser Entscheidung aber weltweit für Aufsehen gesorgt, so der Politikwissenschaftler.

Viele venezolanische Flüchtlinge in Kolumbien hoffen nun auf eine bessere ZukunftBild: DW/E. van Nes

Aktuelle Umfragen belegen eine weitgehend negative Meinung der kolumbianischen Bevölkerung gegenüber den venezolanischen Migranten im Land. Eine Ablehnung, die im Zuge der Pandemie sprunghaft angestiegen ist. Politikwissenschaftler Rodríguez vermutet, dass der kolumbianische Präsident, dessen Amtszeit 2022 endet, sich immer weniger um diese Stimmungen oder die Machtspiele innerhalb seiner Partei kümmert und eher sein politisches Erbe im Blick hat. 

Lucas Gómez, Leiter der Abteilung Grenzangelegenheiten der kolumbianischen Regierung, beeilte sich zu erklären, dass nun die Türen für eine Impfung aller Menschen venezolanischer Herkunft in Kolumbien geöffnet seien und dass die benötigten finanziellen Mittel hierfür aus der internationalen Zusammenarbeit kämen. Der Hinweis zur Finanzierung richtete sich offensichtlich an die eigene Bevölkerung, die in den Migranten eine Belastung für die eigene nationale Impfkampagne sehen.

Für Politikwissenschaftler Rodríguez bedeutet die Ankündigung der kolumbianischen Regierung eine Chance für das Land, über seine Grenzen hinaus zum Vorbild im Umgang mit Flüchtlingen zu werden. "Kolumbien kann dabei auch global eine Führungsrolle einnehmen", ist Rodríguez überzeugt: "Viele Akteure der internationalen Zusammenarbeit werden den kolumbianischen Staat jetzt unterstützen, um sicherzustellen, dass dieses Projekt ein Erfolg wird".