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Kolumbianische Pfleger: Abschiebung trotz Fachkräftemangel?

22. Dezember 2024

Zehn Pflegehelfer sollen ausreisen, dabei werden sie in einem Heim für Demenzkranke gebraucht. Ein Fall, der zeigt, wie Deutschland mit der Migration ringt.

Fünf Personen stehen in einem Pflegeheim
Andrea und Tino Wohlmacher mit drei ihrer kolumbianischen Pflegehelfer, die von der Abschiebung bedroht sindBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Eigentlich müssten bei Andrea und Tino Wohlmacher jetzt die Sektkorken knallen. Aber die Betreiber eines Heimes für 48 Demenzkranke in Wilstedt in der Nähe von Bremen haben kurz vor Weihnachten alle Hände voll zu tun und schlichtweg keine Zeit zum Feiern. Dabei haben sie im deutschen Bürokratiedschungel um Asylanträge, Fachkräftezuwanderung und Abschiebungen gerade einen ersten kleinen Etappensieg errungen.

Die zehn bei ihnen angestellten Pflegehelfer aus Kolumbien dürfen vorerst bleiben, sind durch zwei- oder dreijährige Ausbildungsverträge erst einmal geduldet und zunächst vor einer Rückführung in ihre Heimat geschützt. Andrea Wohlmacher sagt der DW: "Uns allen ist ein Stein vom Herzen gefallen."

Andrea und Tino Wohlmacher vor dem Haus Wilstedt: Dort kümmern sich 40 Angestellte um 48 DemenzkrankeBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Die Geschichte der zehn Kolumbianerinnen und Kolumbianer ist ein Lehrstück, wie schwer sich Deutschland tut, dringend benötigte Arbeitskräfte herzulocken, zu halten und gleichzeitig Asyl und Arbeitsmigration klar zu trennen. Denn die ungelernten Südamerikaner stellten einen Asylantrag, der abgelehnt wurde.

Sie konnten deswegen nicht über einen sogenannten Spurwechsel in die Fachkräftezuwanderung wechseln. Drohendes Szenario: Alle Kolumbianer müssen Deutschland verlassen - und damit das Heim möglicherweise wegen Personalmangel schließen.

Andrea Wohlmacher: "Wir sind das Paradebeispiel für die notwendige Migration. Und das gilt nicht nur für Fachkräfte. Wir haben in Deutschland und besonders im Pflegebereich seit Jahrzehnten einen Mitarbeitermangel." Schon heute fehlten in der Pflege laut dem Deutschen Pflegerat rund 115.000 professionelle Pflegekräfte in Vollzeitstellen. Der Markt ist leergefegt, viele Krankenhäuser, Pflegedienste und Altersheime können nur noch mit Personal aus dem Ausland überleben.

Fall erreicht sogar Gesundheitsminister Lauterbach

Als ihren zehn Mitarbeitern die Abschiebung droht, ziehen die beiden Heimleiter alle Register und gehen den Weg an die Öffentlichkeit. Sie schreiben einen offenen Brief an acht Politiker, Dutzende Fernsehteams geben sich in Wilstedt die Klinke in die Hand. Eine Petition an die Bundesregierung unterzeichnen 83.782 Menschen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nimmt diese sogar persönlich entgegen.

Der Fall erhitzt deutschlandweit die Gemüter: Wie kann es sein, dass gut integrierte Menschen, die Steuern zahlen und Tag und Nacht für die schwer pflegebedürftigen Menschen da sind, das Land verlassen sollen? Doch da ist auch die andere Seite der Medaille: Was für ein Signal sendet Deutschland ins Ausland, wenn abgelehnte Asylbewerber ohne entsprechende Ausbildung irgendwie doch im Land bleiben können? Die finale Entscheidung liegt jetzt bei der Härtefallkommission des Landes Niedersachsen.

Bei der Übergabe der Petition verspricht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach alles möglich zu machen, was rechtlich erlaubt sei und sagt weiter: "Wenn wir die vielen ausländischen Pflegekräfte nicht hätten, könnten wir die Pflege schon jetzt in Deutschland nicht mehr in dem Umfang anbieten." Es müsse ein Signal gesetzt werden: "Ausländische Pflegekräfte sind bei uns mehr als willkommen, weil wir auf sie angewiesen sind und auch sehr gute Erfahrungen mit ihnen machen."

Andrea Wohlmacher ist sich sicher: "Ohne die Öffentlichkeit und die Gespräche mit Politikern auf jeder Ebene hätten wir vermutlich weiterhin Angst vor der kurzfristigen Ausweisung haben müssen". Die sogenannte Ausbildungsduldung soll dem Heim und dem Team jetzt ein wenig Luft verschaffen: Die zehn Kolumbianerinnen und Kolumbianer werden zu Pflegeassistenten, Pflegefachkräften und zum Koch geschult, so ist eine Abschiebung vorerst vom Tisch.

Deutscher Sonderbeauftragter für Migrationsabkommen in Bogotá

Der Mann, der dafür sorgen soll, dass die Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland in geordneten Bahnen verläuft, also eben nicht über einen möglicherweise aussichtslosen Asylantrag, führte deswegen in diesen Tagen Gespräche in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Joachim Stamp ist seit knapp zwei Jahren Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Eine Herkulesaufgabe, mit einem klaren Ziel:

"Wir wollen irreguläre Migration reduzieren und bessere Steuerung von Arbeitsmigration ermöglichen", sagt Stamp der DW. "Ich habe zudem auch öffentlich in den kolumbianischen Medien deutlich gemacht, dass der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt nicht über das Asylrecht führt, sondern nur über geordnete Fachkräfteeinwanderung".

Ziel: Migrationspartnerschaft mit Kolumbien

Denn die Anerkennungsquote für Menschen aus Kolumbien lag zuletzt bei 0,4 Prozent. Das heißt, bei nur jedem 250. Kolumbianer wird der Asylantrag bewilligt. Gleichzeitig versuchen trotzdem immer mehr Kolumbianerinnen und Kolumbianer, auf diesem Weg nach Deutschland zu kommen. Lag die Zahl der Asylanträge 2018 noch bei 138, beantragten im vergangenen Jahr 3337 Menschen aus Kolumbien in Deutschland Schutz.

Aktuell sind 14.000 in Deutschland lebende Kolumbianerinnen und Kolumbianer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hinzu kommen 3.500 Studierende und Postgraduierte sowie etwa 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. 

Mit einer umfassenden Migrationspartnerschaft mit Ländern wie Kolumbien, und auch Georgien, Usbekistan, Marokko und Kenia will Deutschland die reguläre Arbeitsmigration fördern und die Anzahl aussichtsloser Asylanträge verringern. Damit sich solche Fälle wie im Wilstedter Heim in Zukunft nicht wiederholen.

Joachim Stamp sagt: "Es ist tragisch, wenn sympathische und leistungsbereite Menschen von Schleppern ausgenutzt werden und ins Asyl fehlgeleitet werden. Offenbar werden viele von Schleuserstrukturen gezielt falsch informiert." Klar sei: "Kolumbianerinnen und Kolumbianer, die nach Deutschland kommen wollen, sollen den Weg in den Arbeitsmarkt finden und nicht in eine Flüchtlingsunterkunft."

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