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Politik

Eine halbe Stadt ist verschwunden

Tobias Käufer
2. April 2017

Die Einwohner sind entsetzt: Die Katastrophe in der kolumbianischen Stadt Mocoa forderte rund 300 Menschenleben. Das ganze Ausmaß der Verwüstungen wird erst langsam deutlich. Und die Medien feiern einen Helden.

Kolumbien Überschwemmungen
Bild: Getty Images/AFP/L. Robayo

Er wollte das kleine Mädchen nicht sterben lassen. Desiderio Ospina sah das Kind in den Fluten, sprang aus dem Auto und versuchte zu helfen. Er stieg hinab zu dem 12jährigen Kind, doch Augenblicke später riss die Schlammlawine beide in den Tod. Die Geschichte des kolumbianischen Polizisten, der in wenigen Wochen 24 Jahre alt geworden wäre, bewegt Kolumbien. Vater Enrique Ospina erzählte sie der Tageszeitung "El Tiempo" und berichtete wie er die Nachricht vom Tod seines Sohnes erfuhr. Zur Polizei gegangen sei Desiderio, weil er anderen Menschen helfen wollte. "Papa, es wird viel Arbeit geben", verabschiedete sich der pflichtbewusste Polizist am Vortag seines Todes von seinem Vater. Es regne viel, da habe Desiderio bereits geahnt, dass es schwierig werde. Es waren die letzten Worte, die Vater und Sohn miteinander wechselten.

Es ist eines von vielen Schicksalen der Unglücksnacht von Mocoa. Eine gewaltige Lawine aus Schlamm, Geröll und Wasser bahnte sich ihren todbringenden Weg durch die 40.000 Einwohner zählende Stadt unweit der ecuadorianischen Grenze. Am Sonntagmorgen meldet das Nachrichtenmagazin "semana", dass es bereits über 280 Tote sind, die die entsetzten Helfer geborgen haben. Doch es werden immer noch viele Menschen vermisst 

Ein Mann sucht in Mocoa im Schlammchaos nach seinen HabseligkeitenBild: Reuters/J. Saldarriaga

Riesige Felsbrocken wälzten alles nieder

Die Bilder, die sich bei Tagesanbruch zeigen, sind verheerend: Entwurzelte Bäume, eingestürzte Häuser, dazu riesige Felsbrocken, die mit dem Wasser alles niederwalzten was sich ihnen in den Weg stellte. Dazwischen klettern Helfer mit Liegen über die Trümmer. Sie transportieren Schwerverletzte und Leichen aus dem Katastrophengebiet. Auch für professionelle Helfer ist das nur schwer zu ertragen. "Wir werden einen Aktionsplan aufstellen", verspricht Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, als er sich vor Ort ein Bild von der Lage macht. Er wirkt schockiert. Der Staatschef kündigt an, alles zu tun, damit die Opfer würdig beerdigt werden können. Auch Bundeskanzlerin Merkel hat den Opfern der Katastrophe inzwischen ihr Mitgefühl ausgesprochen. Sie sei bestürzt vom unermesslichen Leid der Menschen vor Ort, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Sonntag in Berlin.

Der kolumbianische Präsident Santos löste noch am Unglücksort Katastrophenalarm aus, damit entsprechende Mittel aus dem Staatshaushalt freigegeben werden können. Am Sonntagmorgen flog Santos erneut in die Unruheregion. In der verhängnisvollen Nacht seien 30 Prozent der Regenmenge niedergegangen, die normalerweise in einem Monat zu erwarten sind, erklärt der Präsident. Diese Massen hätten die kleinen Flüsse nicht aufnehmen können, die Mocoa umgeben. In Folge dessen hätte sich die unheilvolle Schlammlawine gebildet. Wissenschaftler berichten, dass Abholzungen in der Umgebung starke Erosion in den Bergen verursacht habe. Wie in Peru vor wenigen Wochen wird auch Kolumbien derzeit von ungewöhnlich heftigen Regenfällen heimgesucht. Die Katastrophe hat obendrein die "Nabelschnur" der Stadt durchtrennt. Es gibt kein Strom, kein Wasser, kein Gas. Im Krankenhaus fehlt es an Betten, Medikamenten und Hilfsmittel um die vielen Verletzten zu versorgen. 

Der kolumbianische Präsident Santos besucht das KatastrophengebietBild: picture-alliance/AA/Colombian Presidency Press Office

Insgesamt 17 Stadtteile betroffen

Insgesamt sind 17 Stadtviertel von der Katastrophe betroffen. Viele Häuser existieren nicht mehr, die Menschen darin hatten keine Chance dem Drama zu entkommen. Ihnen wurde im wahrsten Sinne des Wortes von der urplötzlich anwachsenden Flut der Boden unter den Füßen weggespült. Andere Opfer wurden in den Trümmern zerquetscht oder ertranken. Die kolumbianische Armee und das Rote Kreuz leisten Übermenschliches. Mühsam wird eine Luftbrücke aufgebaut, um Verletzte auszufliegen und Hilfsgüter einzufliegen. Die Überlebenden werden in Notquartiere gebracht.     

Besonders betroffen ist das Stadtteil San Miguel. Nicht wieder zu erkennen sei die Stadt, schreiben die Kolumbianer in Kommentarbeiträgen unter der Berichterstattung in den großen Zeitungen. Mocoas Bürgermeister José Antonio Castro erklärt, dass viele Menschen zwar rechtzeitig gewarnt worden seien, aber es dann nicht mehr geschafft hätten, aus den betroffenen Stadtvierteln in höher gelegene Stadtteile zu gelangen. Kritik gibt es an der Wettervorhersage, die zu spät gewarnt habe.

Präsident verspricht Wiederaufbauplan

In all dem Chaos wagt Präsident Santos schon einen Blick nach vorn. Er will die betroffenen Stadtteile wieder aufbauen lassen. Kolumbien ist katastrophenerfahren: Erdbeben und Vulkanausbrüche haben in der jüngeren Geschichte immer wieder für Tragödien gesorgt. Mehr als der Verlust der Infrastruktur, wiegt aber der Schmerz über die Opfer. "Desiderio starb, weil er einem kleinen Mädchen versuchte zu helfen", versucht sich der Bruder des gestorbenen Polizisten selbst zu trösten. Das ist derzeit alles, was in Mocoa hilft.