Kolumbien: Kohlemine als Goldgrube
30. Mai 2023Die Regierungen in Deutschland und in Kolumbien hatten eine Dekarbonisierungsstrategie angekündigt. Aber tatsächlich passiert genau das Gegenteil. Und der Profiteur dieser Entwicklung sitzt in der Schweiz.
Als Gustavo Petro und Francia Marquez vor knapp einem Jahr vor ihrem historischen Wahlsieg in Kolumbien standen, gaben sie im Wahlkampf ihren Landsleuten ein historisches Versprechen. Im Programm des Linksbündnisses "Pacto Historico" war zu lesen, dass sich das südamerikanische Land unter ihrer Führung aus der Förderung fossiler Brennstoffe aussteigen wolle.
Mit einem Twitterkommentar hatte die damalige Umweltaktivistin und heutige Vizepräsidentin Francia Marquez besonders den Blick auf die Kohlemine "El Cerrejon" gelenkt, der größten in Lateinamerika: "In La Guajira befindet sich die größte Kohlemine Kolumbiens, und in diesem Departement sterben Kinder an Hunger. Ist das Entwicklung?"
Kohleexporte nach Deutschland
Genau aus dieser Mine stammt auch jene Kohle, die Deutschland nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine bezieht, um den Ausfall russischer Gaslieferungen und das Embargo gegen russische Kohleimporte auszugleichen. Die politische Entscheidung in Deutschland, aus der Atomkraft auszusteigen und die Stromerzeugung zumindest zeitweise durch Kohleverstromung zu ersetzen, sorgt derzeit für zusätzlichen Bedarf an Kohle.
Schweiz profitiert von Krieg und Energiewende
Der große Profiteur dieser Entwicklung ist der Konzern Glencore. Das Schweizer Unternehmen hatte nur wenige Wochen vor dem russischen Überfall auf die Ukraine die Mine komplett übernommen. Seitdem kennen die Exportzahlen nur eine Richtung: nach oben.
Während eine Glencore-Sprecherin erklärt: "Wir äußern uns nicht zu einzelnen Märkten", sprechen diese Zahlen eine deutliche Sprache: Nach Angaben der deutschen Kohleimporteure kamen 2022 allein 7,3 Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien. Die Kohleimporte aus dem südamerikanischen Land dürften sich damit im ersten Kriegsjahr in der Ukraine mindestens verdoppelt haben - Tendenz steigend. Mitte Juli letzten Jahres erreichte der Kohlepreis auf dem Weltmarkt einen Rekordpreis von fast 400 US-Dollar. Inzwischen ist er wieder stark gefallen. Mitte Mai dieses Jahres lag er bei rund 117 Dollar pro Tonne und damit wieder auf dem Niveau von 2021.
Glencore profitiert damit von den politischen Entwicklungen. Einerseits drängten Aktionäre von Konkurrenz-Unternehmen darauf, im Zuge der politischen Diskussion über die Mitverantwortung für den Klimawandel Anteile an Kohleminen zu verkaufen, andererseits warnten zu diesem Zeitpunkt nur ukrainische Politiker vor einem weiteren Überfall Russlands auf ihr Territorium.
Eine Kohlemine als Goldader
Dem weltweit führende Bergbau- und Rohstoffhandelskonzern hat der Kauf der umstrittenen Mine Hunderte von Millionen Dollar eingebracht, rechnete das Portal El Economista vor einigen Monaten vor. Glencore kaufte im Juni 2021 von den Konkurrenten BHP Group und Anglo American den noch fehlenden Anteil von 66 Prozent an der Mine "El Cerrejon" für insgesamt 588 Millionen US-Dollar zu und wurde damit alleinigen Besitzer.
Die Aktionäre von BHP und Anglo American begrüßten mit Blick auf die Emissionsziele das Geschäft. Dem Ziel, auf nachhaltige Energie umzustellen, waren die beiden Unternehmen ein Stück nähergekommen. Den Coup perfekt machte laut Medienberichten aber eine bestimme Klausel: Die Cashflows der Mine würden ab 2021 in die Kassen von Glencore fließen. Und damit hatten die Schweizer den Hauptgewinn gezogen.
Und wo geht das Geld hin?
Minen-Kritiker, die entlang des Kohlebergbaus leben, monieren, dass von den enormen Gewinnen, die der Konzern durch die politische Entwicklung einfährt, viel zu wenig in der Region bleibe. "Das mit der Kohle erwirtschaftete Geld bleibt nicht einmal hier in La Guajira", sagt Leobardo Sierra, einer der Sprecher der indigenen Wayúu-Gemeinde El Rocío im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Ähnlich sieht es die Aktivistin Jakeline Romero Epiayú von einer Wayuú-Frauenrechtsorganisation. "Heute, nach Jahrzehnten Bergbautätigkeit in La Guajira durch das Unternehmen Cerrejón, dessen alleiniger Eigentümer heute Glencore ist, sind die Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft, auf das kulturelle und soziale Leben dieser Gebiete verheerend", sagt Romero der Deutschen Welle. Die Mine habe unter anderem zu verschärfter Wasserknappheit in einer Region geführt, in der Wasser ohnehin knapp sei.
Die Minenbetreiber widersprechen auf Anfrage der Deutschen Welle den Vorwürfen aus der Region deutlich. "Cerrejón steuere einen positiven Beitrag zur Entwicklung von La Guajira bei und erwirtschaftet derzeit etwa 46 Prozent des regionalen Brutto-Inlandsprodukts. Mit mehr als 61 Prozent der 12.000 Beschäftigten aus der Region leistet Cerrejón auch einen wichtigen Beitrag zur lokalen Beschäftigung."