1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kolumbiens Waffenstillstand steht auf der Kippe

8. Januar 2018

Kurz vor Ende des Waffenstillstands drängen ELN-Guerilla und Regierung auf eine friedliche Lösung. Zugleich stecken beide Seiten ihre Interessen ab. Eine Verlängerung könnte sogar die Präsidentschaftswahl entscheiden.

Kolumbien ELN Rebellen
Bild: Reuters/F. Rios

"Die Gespräche dürfen nicht unterbrochen werden, weil der Waffenstillstand ausläuft. Im Gegenteil, die Punkte auf der vereinbarten Agenda müssen weiter ausgearbeitet werden", sagte Nicolás Rodríguez Bautista, alias Gabino, am 29. Dezember in einer Videobotschaft an die kolumbianische Bevölkerung. Gabino gilt als Nummer eins der kolumbianischen Guerilla ELN (Ejército de Liberación Nacional - dt.: Heer der Nationalen Befreiung).

Mit den "Gesprächen" meint er die Friedensverhandlungen zwischen seiner Guerilla und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos. Seit Februar 2017 verhandeln Unterhändler beider Seiten in Quito, der Hauptstadt des Nachbarlandes Ecuador, ein mögliches Friedensabkommen. Eine Einigung gilt derzeit als unabsehbar. Nun geht erst einmal darum, den Waffenstillstand zu verlängern, der Anfang Oktober geschlossen wurde und in der Nacht auf Dienstag ausläuft.

Auch wenn Gabinos Worte zunächst einmal nach einem Bekenntnis zum Frieden klingen, wurden sie nicht einhellig als solches aufgefasst. Denn allein, dass er die Verlängerung des Waffenstillstands in Frage stellte, wurde mitunter als Kampfansage aufgefasst.

Auftakt der Friedensgespräche im Februar 2017: ELN-Repräsentant Pablo Beltran (r.) und Kolumbiens Juan Camilo Restrepo (l.) mit Ecuadors Außenminister Guillaume LongBild: picture-alliance/AP Photo/D. Ochoa

Kolumbiens Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas jedenfalls stellte wenige Tage später klar: "Wenn es eine Verlängerung des Waffenstillstands mit den vorgeschlagenen Verbesserungen gibt, werden wir ihn respektieren. Falls nicht, sind die Sicherheitskräfte vorbereitet, ihnen (dem ELN; d. R.) mit voller Härte zu begegnen."

Unruhe durch FARC-Frieden

Die kolumbianische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der ELN für annähernd 20.000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist: Morde und Entführungen, Vertreibungen und Zwangsrekrutierungen. Seit der Entwaffnung der wesentlich größeren FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - dt.: Revolutionsarmee Kolumbiens) gilt der ELN als letzte noch aktive Guerilla-Gruppe Kolumbiens. Mit anderen kriminellen Gruppen wie Paramilitärs und ehemaligen FARC-Kämpfern, die sich dem Friedensabkommen nicht beugen, kämpft der ELN nun um die ehemaligen FARC-Gebiete und um die Kontrolle über den lukrativen Koka-Anbau. Im ersten Halbjahr 2017 stiegen in diesen Gebieten die Mordraten um durchschnittlich 15 Prozent, gleichzeitig wuchsen die Koka-Anbauflächen.

Die "Crisis Group", eine Nichtregierungsorganisation, die unter anderem Regierungen in Sicherheitsfragen berät, schreibt in einem Bericht über den Stand des Friedens in Kolumbien: "Trotz des temporären Waffenstillstands (…) hat der ELN seine gewaltsamen Angriffe in seinen angestammten Gebieten ausgeweitet und expandiert in weitere." So starben Ende November dreizehn Personen in einer Auseinandersetzung zwischen ELN und abtrünnigen FARC-Kämpfern.

Im argentinischen Nachrichtenportal Infobae erklärte Ivan Briscoe, Chef des Lateinamerikaprogramms der Crisis Group, dies sei unter anderem einer Strategie des ELN geschuldet, mit der die Guerilla-Führung bereits vor Beginn der Gespräche versuchte, sich eine stärkere Ausgangsposition am Verhandlungstisch zu verschaffen.

Wenig Hoffnung auf ELN-Frieden

Trotz der Brüche der Waffenruhe haben Menschenrechtler und Aktivisten vor allem aus den direkt betroffenen Gebieten beide Seiten dazu aufgerufen, die Waffenruhe zu verlängern. Kritiker führen jedoch Berichte an, denen zufolge der ELN die Atempause nutzt, um neue Kämpfer zu rekrutieren und auszubilden. Derzeit beziffert das Verteidigungsministerium ihre Zahl auf rund 1400, die Crisis Group geht von 1800 Kämpfern aus, andere Regierungsbehörden sprechen von insgesamt 2500 Mitgliedern.

Doch den Kolumbianern macht der brüchige Waffenstillstand nicht gerade Mut auf langfristigen Frieden. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup Anfang Dezember sahen 69 Prozent der Befragten die Friedensverhandlungen mit dem ELN auf einem schlechten Weg - 15 Prozent mehr als noch im Oktober.

2016 erhielt Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos den Friedensnobelpreis für den Friedensvertag mit den FARCBild: Reuters/NTB Scanpix

Allgemein gilt die Einigung mit dem ELN als schwieriger als die mit den FARC - vor allem weil er weitaus weniger straff organisiert ist. Manche Gruppierungen seien wesentlich gewaltbereiter als andere, schreibt die Crisis Group. So verhalte sich die Gruppe um Gabino und seinen Chef-Unterhändler Pablo Beltrán der Zivilbevölkerung gegenüber wesentlich friedlicher als andere, obwohl sie in einen militärischen Kampf mit der Armee verwickelt ist.

Umstrittener Friedensvertrag

Als großer Prüfstein für den Frieden in Kolumbien allgemein gilt die Präsidentschaftswahl im Mai 2018. Präsident Juan Manuel Santos, der mit seinem historischen Vertrag mit der FARC den Friedensnobelpreis erhielt, darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Zentrales Wahlkampfthema ist der Friedensvertrag - nicht nur weil sich FARC-Chef Rodrigo Londoño Echeverri, alias "Timochenko", zur Wahl stellen wird.

Kolumbien ist gespalten: Die einen halten Santos' Friedensvertrag für eine historische Chance, die anderen für einen historischen Fehler. Um an der Macht zu bleiben und den Prozess der Wiedereingliederung der Ex-Rebellen zu konsolidieren, müssen die regierenden Befürworter die politischen Kosten für einen Kurswechsel so hoch wie möglich treiben. Das bedeutet, den faktischen Frieden unter allen bewaffneten Gruppen im Land so weit wie möglich voranzutreiben. Mit Blick auf die ELN hieße dies: einen intakten Waffenstillstand bis zur Wahl zu vereinbaren.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen