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Politik

Kolumbien und das Erbe der FARC

Manuel Rueda kk
19. September 2017

Die Rebellenorganisation FARC hat sich vom bewaffneten Kampf losgesagt - und damit auch ein Machtvakuum hinterlassen. Jetzt tobt der Kampf um ihre ehemaligen Gebiete an der Küste - die Leidtragenden sind die Bewohner.

Kolumbien FARC
Bild: Aitor Saez

Als Luper Riasco das Basketballstadion umgeht, empfindet er Heimweh. Der Bau in Buenaventura ist zeitweilig zu seinem neuen Zuhause geworden. Zusammen mit 22 Familien lebt er unter den heißen Betonstützen, die die Zuschauerränge tragen. Trennwände gibt es nicht. Die Menschen schlafen auf Matrazen, die überall verstreut herumliegen.

"Wir kommen alle aus dem gleichen Dorf. Aber jeder von uns ist es gewohnt, ein eigenes Haus mit mehreren Räumen zu besitzen", sagt Riasco, der mit Frau und vier Kindern im Stadion lebt. "Hier hat man keine Privatsphäre, keine Intimität."

Riasco kommt aus Cabecera, einem kleinen Dorf im kolumbianischen Dschungel an der Pazifikküste. Die gesamte Gemeinde floh im April in die Hafenstadt Buenaventura, nachdem eine Gruppe bewaffneter Männer in ein nahe gelegenes Dorf einmarschiert war und fünf junge Landwirte getötet hatte.

Das Massaker ereignete sich fünf Monate, nachdem Kolumbien ein Friedensabkommen mit den FARC-Rebellen unterzeichnet hatte. Dieses beendete einen gut 50 Jahre dauernden Krieg zwischen der Regierung und den marxistischen Rebellen. Die Vereinbarung sollte das Leben insbesondere für die Landbewohner sicherer machen, die seit Jahrzehnten die Hauptleidtragenden der bewaffneten Auseinandersetzung sind.

"Präsident Santos hat für die Befriedung des Konflikts den Nobelpreis erhalten", sagt Riasco im Gespräch mit der DW und schüttelt ungläubig den Kopf. "Aber es scheint, als hätten die Leute, die ihm den Preis verliehen haben, uns darüber vergessen."

Auf beengtem Raum: Das Flüchtlingslager in BuenaventuraBild: DW/M. Rueda

Flucht vor mafiöser Gewalt

Hunderte von Dorfbewohnern aus dem Gebiet der kolumbianischen Pazifikküste sind in diesem Jahr geflüchtet. Denn kaum hatten sich die marxistischen Rebellen aus dem Territorium zurückgezogen, kämpften andere bewaffnete Gruppen um die Gebiete.

Regelmäßig, berichtet Riasco, kamen FARC-Rebellen in das nur über den Fluss zugängliche Dorf. Sie sprachen mit einheimischen Bauern und Fischern und drohten, jeden zu töten, der die Aktivitäten der Gruppe in Gefahr bringe.

Doch als sich die FARC aus dem Gebiet zurückzog, liefen einige Dorfbewohner zur "Nationalen Befreiungsarmee" (ELN) über, eine kleinere Rebellenarmee, die vor wenigen Tagen ebenfalls einem Waffenstillstand mit der Regierung zustimmte. Einige Bewohner sahen auch Mitglieder der AGC in der Gegend. Die AGC-Männer sind eine kriminellen Bande, die einen beträchtlichen Teil des kolumbianischen Kokainhandels in der Hand hält.

"Wir hatten Angst, ihnen zu begegnen, wenn wir in den Wald gingen, um Holz zu fällen", berichtet Riasco. "Wir hatten Geschichten gehörtüber Kollegen, die ihnen begegnet waren und erschossen wurden. Dann hat man sie im Wald zurückgelassen. Einige lebten zu diesem Zeitpunkt noch schwer verletzt."

Abschied von den Waffen:Eine ELN-Kämpferin einige Monate vor Abschluss des Waffenstillstandabkommens Bild: Getty Images/AFP/L. Robayo

Kampf um Geld und Macht

Insgesamt beruhige sich in Kolumbien zwar die Lage, sagt Ariel Avila, Konfliktanalytiker bei der Stiftung Frieden und Versöhnung in Bogotá. Doch in ländlichen Gebieten, die früher unter FARC-Kontrolle waren, habe sich die Tötungsrate seit dem Friedensabschluss nicht verringert. Im Gegenteil - in diesen Gebieten registriere man nun eine höhere Zahl von Morden. In den letzten sechs Monaten vor dem Friedensabkommen wurden 708 Menschen ermordet. In den ersten sechs Monaten danach 780.

An Kolumbiens Pazifikküste sei es besonders unruhig, sagt Avila. Denn die sei dünn besiedelt und dort herrsche wenig staatliche Präsenz. Zudem liefen Drogenhandelsrouten durch die Region, es gebe illegale Minen und illegalen Tierhandel. Jede Menge Gewinnmöglichkeiten also, um die kriminelle Banden kämpften. Dies gilt umso mehr, als die FARC, die viele illegale Aktivitäten in der Region kontrollierte, nach ihrem Weggang ein Machtvakuum hinterließ", sagt Avila der DW. "Um dieses wird nun gekämpft."

Dem Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge flohen allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres 6600 Menschen von der kolumbianischen Pazifikküste. Einige Flüchtlinge berichteten, die bewaffneten Gruppen hätten Ausgangssperren über ihre Dörfer verhängt. Auf diese Weise wollten sie die Gebiete besser kontrollieren. "Seit Wochen konnten wir unsere Ernte nicht einfahren und noch nicht einmal fischen gehen", sagt Nilson Chamarra, ein Führer der Indianer aus der Provinz Choco. Um das Reservat Chagpien, in dem sein Stamm lebt, streiten sich die Milizen der AGC und des ELN.

Auszeit vom Stress: Jugendliche Flüchtlinge kicken Bild: DW/M. Rueda

Forderung nach besserer Infrastruktur

Als es zu Kämpfen zwischen dem ELN und kolumbianischen Regierungstruppen kam, entschied sich Chamarras Stamm zur Flucht. Die aus 200 Personen bestehende Gruppe schläft jetzt in einem Jugendzentrum auf Matratzen, die von der Stadtregierung gespendet wurden. Sie kochen mit Holz, das aus Möbelstücken gewonnen wurde. "Dieser Ort ist alles andere als ideal", sagt Chamarra. "Aber um nach Hause zurückzukehren, brauchen wir mehr Sicherheit."

Die Region muss stärker an das übrige Kolumbien angebunden werden, sagt Eduardo Alvarez, Direktor des kolumbianischen Think Tanks "Ideen für den Frieden". Dazu brauche es eine bessere Infrastruktur, Job-Programme, Bildung und soziale Dienste. Das würde die Bewohner davor bewahren, sich auf illegale Geschäfte einzulassen, um zu überleben. Und diejenigen, die es dann dennoch täten, könne man dann besser überwachen. "Es ist keine Hexerei. Dieser Bereich Kolumbiens ist seit langem vom Rest des Landes abgeschnitten." Das sehen auch die Bewohner so, die genau deshalb Infrastrukturprogramme fordern.

Luper Riasco möchte gerne wieder zurück in seinen Heimatort. "Manchmal möchte ich hier alles einfach fallen lassen und nach Hause zurückkehren, weil ich die Landschaft meiner Heimat vermisse", sagt Riasco. "Aber wir werden bleiben, bis man unserem Plan zugestimmt hat. Ansonsten wäre unsere Zeit hier vergeblich gewesen."

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