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Politik

Kein Frieden für Kolumbiens Indigene

Rahel Klein
30. November 2017

Vor einem Jahr schlossen Kolumbiens Regierung und die FARC Frieden. Die indigene Bevölkerung des Landes hat besonders unter dem bewaffneten Konflikt gelitten. Und Manches ist seit dem Abkommen sogar schlimmer geworden.

Kolumbien Embera Katio Familie
Armut und Vertreibung haben das Leben der Emberá Katío in den vergangenen Jahren geprägtBild: R. Klein/Johanniter

Ein kleines Dorf in Frontino, rund vier Autostunden von Kolumbiens Metropole Medellín entfernt. Eingerahmt von Zuckerrohrfeldern und grün bewachsenen Hängen reihen sich rund ein Dutzend einfacher Holzhütten aneinander. 200 Menschen leben hier, drei bis vier Familien pro Haus, plus Hühner, Hunde und Katzen. Betten gibt es nicht, genauso wenig wie sauberes Trinkwasser oder Toiletten. Das Dorf ist die Heimat einer kleinen Gemeinde der Emberá Katío, einer indigenen Bevölkerungsgruppe in Kolumbien.

Rückkehr ins Nichts

Vor Jahren, damals lebten noch zehn Mal so viele Menschen hier, kamen paramilitärische Einheiten ins Dorf und töteten mehrere Bewohner. "Sie haben uns bedroht und gesagt, dass sie noch mehr Menschen umbringen werden. Deshalb mussten wir fliehen", sagt Felipe Bailerin. Der Indigene erinnert sich: "Wir haben alles in unseren Häusern zurücklassen: die Schweine, Rinder, Pferde. Es musste alles ganz schnell gehen."

Felipe Bailerin: "Wir brauchen Land"Bild: R. Klein/Johanniter

Jahrelang lebten die Dorfbewohner als Binnenvertriebene. Erst vor wenigen Jahren kehrten sie in ihr altes Dorf zurück. Von ihrem früheren Besitz, vor allem ihrem Land, war nicht mehr viel übrig. Auf den Feldern wird mittlerweile Zuckerrohr im großen Stil angebaut. Der Betreiber, ein Großunternehmner, lässt die Emberá Katío auf seiner Zuckerrohrplantage für sich arbeiten - unregelmäßig und schlecht bezahlt. "Wir haben alles verloren, was wir hatten", sagt Felipe Bailerin.

Heute verfügen die Dorfbewohner nicht mehr über ausreichend Anbauflächen, um genügend Mais oder Bohnen anzubauen, damit alle Familien satt werden. Viele Kinder sind unterernährt, leiden unter Durchfall und anderen Krankheiten.

Rechte auf dem Papier, aber nicht in der Praxis 

Das Schicksal von Felipe Bailerin und den vertriebenen Emberá Katio ist kein Einzelfall. Rund 3,4 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung sind "Indígenas", Ureinwohner. Während des 50-jährigen bewaffneten Konflikt zwischen Staat, Guerillagruppen, kriminellen Banden und Paramilitärs haben sie ganz besonders gelitten und wurden immer wieder von ihrem Land vertrieben.

Das kleine Dorf der Emberá Katío in der Nähe von Frontino, KolumbienBild: R. Klein/Johanniter

Der Grund: Die Indígenas leben oft in abgelegenen Regionen Kolumbiens, die bei allen Konfliktparteien wegen ihrer Bodenschätze begehrt sind: Entweder lagern Kohle und Erdgas unter der Erde, oder es herrschen beste Bedingungen für den Anbau von Koka, Zuckerrohr oder Ölpalmen.

Auch wenn die Regierung den mit der Natur eng verbundenen Völkern in der Verfassung eigene Rechte und Territorien garantiert - beachtet wird dies in der Praxis oft nicht. "Ihre Rechte werden mit Füßen getreten", sagt Monika Lauer Perez, Kolumbien-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. "Sie finden kein Gehör und nur mit Schwierigkeiten Zugang zur Justiz."

So wie die Bewohner im Dorf von Felipe Bailerin. Sie würden gerne klagen, das Recht auf ihre Ländereien einfordern. Doch das ist teuer und oft haben die Indigenen keine Besitzurkunden für die Gebiete vorzuweisen.

"Ordnungsmacht" FARC

Das Abkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla vor einem Jahr wurde von einem Großteil der indigenen Bevölkerung befürwortet. Sie hofften auf einen ersten Schritt hin zu Frieden und einer gerechteren Landverteilung, die Bestandteil des Abkommens ist. Doch mit dem Abkommen sind auch neue Probleme entstanden.

"Die staatliche Stelle, die für die Rückgabe von Land verantwortlich ist, spricht das Land häufig den Großgrundbesitzern zu und nicht den Indigenen", sagt Lauer Perez. "Wenn man so will, geht diese Missachtung der Rechte jetzt weiter -  nur ohne Waffengewalt."

Kolumbiens Präsident Manuel Santos (links) und der Chef der FARC-Guerilla, Timoleon Jiminez, bei der Unterzeichnung des historischen FriedesnvertragesBild: Getty Images/AFP/L. Robayo

Hinzu kommt: Mit dem Rückzug der FARC fällt für die Indigenen auch eine gewisse "Schutzmacht" weg. Zwar war die Guerilla auch in den meisten indigenen Gemeinden nicht erwünscht - sie war aber auch nicht der größte Feind. "Mit der FARC hatte man sich irgendwie arrangiert. Man wusste, was sie wollte, beispielsweise Koka anbauen. Aber sie hat in der indigenen Lesart das Land respektiert und dafür gesorgt, dass die Agro- oder Bergbauindustrie nicht dort hinein konnte", sagt Lauer Perez. "Die Indigenen sind sehr besorgt, wie das aufgefangen werden kann." 

Auch Ulrich Morenz, der die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) als Kolumbien-Experte berät, sagt, dass die FARC trotz allem eine gewisse "Ordnungsmacht" für die Indigenen gewesen sei. Wenn jetzt Probleme aufträten, wisse keiner mehr so recht, mit wem eigentlich verhandelt werden könne. "Es hat sich relativ schnell Ernüchterung breit gemacht. Weil man gesehen hat, dass die FARC zum Teil durch andere Gruppen ersetzt worden ist. Das hat die Lage teilweise noch komplexer gemacht."

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Aktivisten werden gezielt getötet

Neue und alte Guerillagruppen, kriminelle Banden und Paramilitärs versuchen derzeit das Machtvakuum zu füllen, das die FARC seit ihrer Entwaffnung zurückgelassen hat, und dringen in deren alte Regionen vor. "Das Gewaltaufkommen insgesamt ist zwar zurückgegangen, aber es scheint so, dass gezielter gemordet wird", sagt Morenz. "Soziale Aktivisten, auch ganz viele Indigene, sind von diesen Morden betroffen." Und: "Diese Tötungen finden überproportional stark in den Gebieten statt, wo die FARC vorher aktiv war."

In dem Dorf von Felipe Baileran ist die Gewalt in den vergangenen Jahren zwar zurückgegangen. Doch der Kampf um ihr lebenswichtiges Land ist noch lange nicht vorbei. Denn eine Indígena ohne Land ist keine Indígena - so sagen es die Ureinwohner jedenfalls selbst.

Die Autorin reiste im Rahmen einer von der Johanniter-Unfall-Hilfe finanzierten Recherchereise nach Kolumbien.

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