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Gesellschaft

Kolumne: Bethlehem in Berlin

Gero Schließ
24. Dezember 2017

An Weihnachten ist Berlin aufgewühlt wie nie. Der Terroranschlag am Breitscheidplatz und die antisemitischen Demonstrationen wirken nach. Vielleicht hilft das Friedenslicht aus Bethlehem, hofft DW-Kolumnist Gero Schließ.

Deutschland Friedenslicht von Bethlehem in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

"Tod den Katholiken"!

Oh Gott, so ein Hass-Ruf gerade jetzt zu Weihnachten? Stellen Sie sich das vor: Eine Menschenmenge wünscht Ihnen und Ihrer Glaubensgemeinschaft den Tod. Und danach gehen Sie zum Gottesdienst.

Genau diese Situation führt mir ein Berliner Jude vor Augen, als ich ihn nach den antisemitischen Ausschreitungen vor dem Brandenburger Tor frage.

Zeitgleich zu Chanukka antisemitische Demonstrationen: Das hat Spuren hinterlassen, nicht nur bei Berliner JudenBild: Reuters/F. Bensch

Wie viele andere Berliner hatte er mit ansehen müssen, wie mehrheitlich arabische Demonstranten als Reaktion auf US-Präsident Trumps Entscheidung für Jerusalem als Hauptstadt anti-israelische und anti-jüdische Hass-Tiraden skandierten und Fahnen mit dem David-Stern anzündeten.

Chanukka und Weihnachten

Und das zeitgleich zu Chanukka, dem traditionelle Lichterfest, mit dem die Juden die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem feiern. Am Brandenburger Tor hatte man symbolisch zum Fest einen achtarmigen Leuter illumniniert.

Daran muss ich jetzt zu Weihnachten denken.

Ich versuche mir das vorzustellen: Wie würde es mir als Katholiken gehen, wenn sich am Heiligen Abend vor der Hedwigs-Kathedrale genau so eine Szene abspielte. Was würde in mir vorgehen, wenn ich mir den Weg zur Christmesse zwischen dutzenden von Polizeiwagen und durch hunderte von Polizisten bahnen müsste. So wie es einen Tag nach den antisemitischen Demonstrationen die jüdischen Mitbürger tun mussten, als sie exakt am gleichen Ort der Demonstration, nämlich wieder am Brandenburger Tor, der Lichterzeremonie zu Chanukka beiwohnten. 

Hofft auf die heilende Wirkung des Friedenslichts von Bethlehem: Unser Kolumnist Gero Schließ

Ich rede mit dem Berliner Maler Yury Kharchenko. Er habe sein ganzes Leben lang Antisemitismus erfahren, sagt er mir. Auch schon in Düsseldorf, wo er vorher lebte und studierte. Dort hätten ihn damals Neonazis zusammengeschlagen. "Aber das, was vor dem Brandenburger Tor passiert ist, habe ich schon als Hardcore empfunden", sagt er mir jetzt.  

Berlin ist aufgewühlt, und das in einer Zeit, wo der religiöse Jahreskalender eigentlich Frieden und Besinnlichkeit verordnet.

Aber es sind nicht nur die antisemitischen Hassbekundungen. Da ist noch etwas anderes, was die Berliner nicht zur Ruhe kommen lässt: Der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Jetzt jährt er sich zum ersten Mal. Es gab eine Gedenkfeier mit den Angehörigen der zwölf Opfer, dem Bundespräsidenten, der Kanzlerin und dem Regierenden Bürgermeister. Sie weihten ein Mahnmal für die Ermordeten ein. Es ist ein goldener Riss, der sich vor der Gedächtniskirche durch den Boden zieht. Das ist der Riss, der sich durch die Herzen der Überlebenden und der Angehörigen der Terroropfer zieht.

Keine heile Weihnachtswelt am Breitscheidplatz

Hat Fehler eingestanden, aber sich nicht entschuldigt: Angela Merkel bei der Gedenkveranstaltung für die Terroropfer am BreitscheidplatzBild: Reuters/F. Bensch

Der Schmerz ist groß. Und jetzt zum Jahrestag tut es besonders weh. Bei den Angehörigen kommt noch die bittere Enttäuschung über die Bundeskanzlerin hinzu. In einem offenen Brief haben sie ihr Untätigkeit und Versagen vorgeworfen. Und ihr sehr persönlich vorgehalten, dass sie Ihnen noch nicht kondoliert hätte. Auch die polnische Familie des in Berlin ermordeten Truck-Fahrers äußert sich im DW-Interview enttäuscht.

Bei der Gedenkfeier gesteht Angela Merkel Fehler ein. Aber entschuldigt hat sie sich nicht. Zumindest nicht öffentlich.

Ich weiß: Der Terroranschlag und die antisemitischen Ausschreitungen sind nicht vergleichbar. Aber beide haben etwas mit Berlin gemacht. Die Stadt ist nicht mehr die gleiche. Die Berliner haben ein Gefühl von Angst, Verletzlichkeit, Ohnmacht  - und vielleicht auch von der eigenen Unvollkommenheit.

Ein Riss geht durch Berlin: Das Mahnmal für die Opfer des Terroranschlags wurde am Jahrestag des Anschlags eingeweihtBild: Reuters/F.Bensch

Nicht der Stoff, aus dem Weihnachten gemacht ist, meinen Sie? Auf jeden Fall ist das nicht das Weihnachten der strohweichen Krippenromantik. Die Zeiten sind nicht danach. Nicht in Berlin und nicht in vielen Teilen der Welt. 

Pünktlich zum Gedenken für die Terroropfer erreicht Berlin das Friedenslicht aus Bethlehem (siehe Artikelbild ganz oben). Mehr als 500 Pfadfinder haben es in die Stadt gebracht. Die Berliner begrüßen es als ein Zeichen gegen Terror und Gewalt.

Es ist deutlich zu spüren: Es geht ein Riss durch Berlin, durch das Herz dieser Stadt. Aber vielleicht kann das Friedenslicht helfen. Ich hoffe auf seine heilsame Wirkung.  

 

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