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PolitikEuropa

Die EU und das Wesen des "Burgers"

Barbara Wesel
23. Oktober 2020

Das EU-Parlament stimmt ab, ob Gemüseprodukte künftig nicht mehr als "Burger" oder "Wurst" verkauft werden dürfen. Der Bauernverband will die Fleischproduzenten schützen - Umweltschützer und Vegetarier protestieren

Symbolbild | Hamburger | vegetarischer Burger
Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/N. Harnik

Eigentlich kämpft das Europaparlament dieser Tage um eine Reform der Agrarförderung. Das ist eine heiß umstrittene und ernste Sache. Mit auf dem Tisch ist ein Antrag, der vom Bauernverband Copa-Cogema unterstützt wird und es künftig verbieten soll, einen "Veggie-Burger" oder eine "Soja-Wurst" zu vermarkten. Denn nur wo Fleisch drin ist, darf Burger drauf stehen, so die Argumentation. Alles andere seien "surrealistische" Beschreibungen für Produkte, die den Verbraucher irreführen könnten. 

Echt, jetzt?

Man fragt sich, ob das eine nützliche und zeitgemäße Gesetzgebung wäre. Früher wurde der EU gerne vorgeworfen, sie würde sich vor allem mit der Überregulierung von kleinteiligem Blödsinn befassen. Als Beispiel dafür galt die berühmt-berüchtigte Gurkenkrümmungs-Verordnung. Boris Johnson, dieser Tage britischer Premier und Ende der 1980er Jahre Journalist in Brüssel, brillierte mit solchen Geschichten. Im Laufe der Jahre haben sie wohl nach dem Prinzip des steten Tropfens auf dem britischen Stein zum Brexit mit beigetragen. 

Der vegane Burger gehört längst zum hippen Lifestyle - in Paris und anderswoBild: Reuters/P. Wojazer

Auch gerne angeführt wird die Traktorsitz-Verordnung, die sich mit Form, Größe und Substanz des europäischen Traktorsitzes befasste. Die entsprang allerdings nicht dem Hirn von EU-Bürokraten, sondern den Wünschen des Verbandes der bayerischen Traktorenhersteller. Und so ist es jetzt auch mit dem "Veggie-Burger": Es ist nicht die überhitzte Phantasie von Europa-Abgeordneten, sondern es sind unter anderem irische Farmer, die gegen das gebratene Gemüse-Teil Sturm laufen. Man versteht es nicht recht, denn warum soll das Bedürfnis von Menschen eingeschränkt werden, gebratene Bohnen mit Rote-Beete-Saft zu tränken und das Ganze in ein weiches Brötchen zu klemmen? 

Und ist es nicht völlig wurscht, wie man diesen kulinarischen Höhepunkt dann nennt? "Wurst" soll übrigens auch verboten werden, wenn nicht Schweinefleisch sondern Quinoa, geraspelte Haselnüsse und Möhrenschnipsel in eine Pelle gedrückt werden. Aber wirklich - haben wir keine anderen Sorgen? Zwischen EU-Haushalt, Reform der Agrarförderung, Verschärfung der Klimaziele und dem dramatischen Wiederaufflammen der Corona-Epidemie in Europa möchte man den Bauern zurufen: Geht nach Hause und lasst die Abgeordneten über wichtige Themen nachdenken, sie haben für "Burger" und "Wurst" gerade keine Zeit.

In dieser Wurst ist alles mögliche, nur kein Fleisch Bild: picture alliance/dpa/A. Gebert

Gibt es ein Copyright auf "Burger"?

Schon ein schneller Blick in Wikipedia bringt zahlreiche, lustige Geschichten über die Entstehung des Burgers hervor. Hamburger Matrosen sollen das Frikadellenbrötchen mit auf große Fahrt in die neue Welt genommen haben. Eine andere Geschichte behauptet, Besucher hätten als erste begeistert die Erfindung eines Imbissbetreibers bei der Weltausstellung in St. Louis 1904 verschlungen. Dann wieder soll der Hamburger nichts mit der Hansestadt zu tun haben, sondern in Hamburg, Bundesstaat New York, erfunden worden sein. Alle diese Storys sind apokryph, wie die Theologen sagen: bloße Überlieferung und eher Glaubenssache.

Wie kann man also einen Begriff schützen, der eine dermaßen vage Historie hat? Und ein Produkt, dessen Qualitätsstandards von der 10 Millimeter dünnen Einlage aus den Resten in der Fleischfabrik reicht, bis hin zur hausgemachten Scheibe aus Bio-Hack, die ins Dinkelbrötchen kommt. Ein Burger kann demzufolge so ziemlich alles sein, was der Koch daraus macht. 

Vegetarische Bratlinge mit Beilagen - sieht alles sehr gesund aus Bild: picture-alliance/dpa/M. Wüstenhagen

Ein Menschenrecht auf Kleckern 

Deswegen und überhaupt sollte auch für Vegetarier das Menschenrecht auf Burger gelten. Auch sie wollen manchmal kleckernd aus der Hand essen, so dass aus den Seiten die Sauce runtertropft. Selbst wenn's kein Ketschup, sondern selbstgeschlagene Currymayo ist. Bei den Rezepten gibt es sowieso endlose Varianten: Manche empfehlen für den Veggie-Burger glutenfreie Haferflocken, brauner Reis kommt vor, Pilze, Brokkoli, Nüsse, Soja und Bohnen aller Arten. Dazu Eier als Bindemittel, weil sich die Masse sonst nicht braten lässt. Eigentlich geht fast alles, was man im Küchenmixer schreddern kann.

Diese Rezepte fallen gastronomisch betrachtet eher unter die Kategorie: Kann man, aber muss man nicht. Die Freiheit allerdings, sonderbare Sachen zu essen, gehört zu den europäischen Grundrechten. Siehe schottisches Haggis, Pfälzer Saumagen und was es sonst so gibt. Und gefährlich für die Verbraucher sind Veggie-Burger ganz bestimmt nicht. Es ist noch nie einer tot umgefallen, weil er Bohnenbrei statt Rindfleisch in seinem Brötchen vorfand.

Wenn am Ende alle guten Argumente nichts nützen, sollten wir uns an die Betriebs-Kantinen des ausgehenden 20. Jahrhunderts erinnern. Damals waren die Vegetarier noch eine seltene Spezies. Um sie satt zu machen, produzierten die Köche einen gebratenen Brei aus Möhren, Erbsen und was sonst so übrig war. Geboren war der "Gemüsebratling" - notfalls wird dieses Vintage-Produkt einfach zum neuen Trend erklärt. Und auf Englisch? "Veggie-fried-pattie" oder so - an dem Begriff müsste man vielleicht noch arbeiten.

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