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Kunst

Kolumne: Riesenchance Art Berlin

Gero Schließ
30. April 2017

Am Gallery Weekend wird Berlin zur Metropole des internationalen Kunsthandels. Doch einmal im Jahr reicht nicht, meint unser Kolumnist Gero Schließ. Pläne für eine neue Kunstmesse klingen aufregend.

Kolumne Berlin 24/7 Gallery weekend Gero Schließ
Bild: Alexander Iskin

Berlin ist ja so lausig – als kommerzieller Kunstmarkt. Na klar, für Künstler ist Berlin toll. Doch mit Kunst seinen Unterhalt zu verdienen? Auch wenn die Kunstszene hipp ist und die Kreativität kühne Kapriolen schlägt: Der D-Zug mit dem großen Geld der Sammler fährt normalerweise an Berlin vorbei – und hält lieber in Paris oder London. Den Berlinern zum Trost: Auch um Städte wie München, Hamburg, Düsseldorf oder Köln macht er einen Bogen. Doch dort wohnt eine wohlhabende Bürgerschaft, die in Kunst investiert und den lokalen Markt ernährt. Anders in Berlin, das zwar sexy, doch vergleichsweise arm ist. Und auch die typische Berliner Hauptstadt- und Umsonst-Kultur ist nicht gerade kunstförderlich!

Goldgräberstimmung in Berlin

In einer Performance zerstört Alexander Iskin Apple-ProdukteBild: DW/G. Schließ

Doch einmal im Jahr wird Berlin zur Bonanza. Goldgräberstimmung bricht aus. Dann nämlich, wenn die  internationalen Sammler in Scharen über die Stadt hernieder kommen: Immer Ende April, immer zum Gallery Weekend. Über 50 Galerien buhlen diesmal um die Gunst der Geldbeutel aus aller Welt.

Meine Tipp: Auch in diesem Jahr lohnt sich ein Investment. Gerade auch dort, wo Berlin stärker ist als die Konkurrenz in Paris, London und New York: bei den sehr jungen Künstlern.

Die Galerie von Jean-Philipp Sexauer beispielsweise hat mit dem 27-jährigen Alexander Iskin einen Jungmaler mit Potential (Bild oben). Iskin ist hochbegabt, auch in der Vermarktung.

Alexander Iskin gegen Apple

Dass er von Promikünstler Jonathan Meese gefördert wird, vergisst er nicht zu erwähnen. Wie passend, dass Iskin auch eine neue Kunstrichtung ausgerufen hat: den Interrealismus. Zwischen den Realitäten heißt das übersetzt. Was er damit meint? Bei der Eröffnung der aktuellen Ausstellung "Applesauce in Paradise" hämmert er es mir förmlich ein: Iskin kreuzt da als Racheengel auf und nimmt mit einer Streitaxt Revanche für mediale Überdosen. iPhones und ein edel glänzender Apple-Computer müssen dran glauben. Am Ende ist alles "Applesauce" (dt. Apfelmus).

Ganz altmodisch mit dem Pinsel punktet dagegen Jonas Burgert: In die Galerie Blain Southern hat er sein bisher größtes Gemälde mitgebracht: Vielleicht ist es ja auch Berlin Rekord. Es überwältigt, nicht nur wegen der schieren Größe. Über 22 x 6 Meter ist das Bild und es zieht mich mit der für Burgert so typischen Farbigkeit und seinen grotesken Szenen in Bann.

Anders als Iskin ist Burgert am Markt etabliert. Dass ein Maler soweit kommt, hat natürlich mit Kunst zu tun. Aber auch mit Strategien und Investments der Galeristen.

Galeristen werden kaum gewürdigt

Die grotesken Bilderwelten von Jonas BurgertBild: Jonas Burgert

250.000 Euro muss ein Galerist durchschnittlich hinblättern, bis es soweit ist  – für Sammlerbesuche, Messen und Ausstellungen. Diese Zahl nennt mir Anemone Vostell, die als wortgewaltige Geschäftsführerin des Landesverbandes Berliner Galerien einen großen Missstand anprangert: Dass Berlin das Wirken seiner Galeristen kaum würdigt – als "Kunstermöglicher" und Wirtschaftsfaktor. Sie hat recht. Gerade erst vor zwei Jahren hat der Senat die Galeristen mit einer rabiaten Mehrwertsteuererhöhung von sieben auf 19 Prozent getroffen. Schon mussten einige der ca. 330 Berliner Galerien schließen. Und während es für Künstler Förderprogramme regnet, meidet der sonst so förderwütige Berliner Senat die Galeristen. Mit dem VBKI-Preis der Berliner Kaufleute will Vostell jetzt gegensteuern und jungen Galeristen unter die Arme greifen.

Michael Kewenig ein großer Galerist      

Begegnung mit Michael Kewenig: Für den großen Galeristen war Ästhetik auch eine LebenshaltungBild: DW/G. Schließ

Einer, der ihr Vorbild sein könnte, ist dieses Jahr nicht mehr dabei: Michael Kewenig. Sein plötzlicher Tod schmerzt. Er wird fehlen, auch mir. Ich habe über Michael Kewenig einen Film gedreht, als er vor vier Jahren mit seiner Galerie von Köln nach Berlin zog, nochmal neu anfing. Ein leidenschaftlicher Mann. Er brannte für die Kunst und war dabei gleichzeitig so herrlich tiefenentspannt. Und er stand für das, was Sebastian Preuss jetzt in der Zeitung "Die Welt" schrieb: Ästhetisches Bewusstsein ist nicht nur Oberfläche und Glanz, sondern eine Lebenshaltung. Michael Kewenig war kompromisslos in der Kunst, und dennoch ein großer Menschenfreund. Starkünstler wie Christian Boltanski vertrauten ihm. Er machte sie groß und seine Galerie wuchs mit ihnen.

Art Berlin kommt vom Rhein

Und ich frage mich: Was hätte Kewenig noch alles anstoßen können von seinem herrschaftlichen Palais Happe aus, Berlins zweitältestem Bürgerhaus, das er vorbildlich restaurierte und zum neuen Juwel von Berlin-Mitte machte?

Berlin hat eine Riesenchance, sagt unser Kolumnist Gero Schließ

Vielleicht hatte der geborene Rheinländer ja noch seine Finger im überraschenden Deal mit der Art Cologne, dem bisher ungeliebten Konkurrenten aus Köln. Die Art Cologne will sich, wie gerade bekannt wurde, in Berlin engagieren. Damit die Stadt wieder eine Kunstmesse bekommt, die "Art Berlin". Bereits im Herbst soll sie starten. Eine Riesenchance für Künstler und Galeristen! Und auch wenn ihr es nicht gerne hört, liebe Berliner: Zu verdanken ausgerechnet einer Mund-zu-Mund-Beatmung vom Rhein.

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