Urlaub in der eigenen Stadt: Berlin
14. Januar 2018"Das sieht ja hier aus wie in Paris", schwärmt mein Sohn, als wir das schmale Treppenhaus des Henri Hotels hinauf ächzen. Auf den Treppenstufen ist tiefroter Teppich ausgelegt, das Holzgeländer biegt sich elegant um die Kurven, schwache Lampen spenden gedämpftes Licht.
Wir spielen Urlaub
Oben angekommen finden wir über knarzende Dielen den Weg in unser "Salonzimmer": Stuck an den Decken, Gründerzeitmöbel und ein angedeutetes Himmelbett. Hinter einer Flügeltür ist ein kleiner Balkon, von dem man zwar nicht Notre Dame oder den Louvre, aber immerhin einen Zipfel des Ku'damms erhascht.
Brrrr, das ist der Blick hinaus in die kalte Berliner Realität. Schnell wieder rein! Denn hier, im Hotel, gibt es für mich eine andere Wirklichkeit: Die Illusion einer heilen Welt - inmitten der allzu bekannten Umgebung mit ihren Ecken und Kanten, an denen ich mir schon das eine oder andere Mal blaue Flecken geholt habe.
Wir spielen hier Gründerzeit, sagt später Henri-Geschäftsführer Eckart Buss, der uns beim abendlichen Empfang von der sensiblen Hotel-Sanierung erzählt. Okay, lass ihn ruhig Gründerzeit spielen, denke ich bei mir. Ich spiele Urlaub. Urlaub in der eigenen Stadt.
Sie finden das komisch oder gar verrückt? Ich auch. Und das ist herrlich.
Fast 7000 Berliner haben es mir gleichgetan: "Erlebe deine Stadt" heißt diese Aktion des Berliner Stadtmarketings, die jetzt zum achten Mal veranstaltet wird.
Sonntag für die Seele
82 Hotels nehmen teil, darunter auch "mein" Henri-Hotel in der Meinekestraße, tief im Berliner Westen, in dem schon Peter Fonda und Peter Ustinov ihre kostbaren Häupter gebettet haben.
Für mich fühlt es sich an wie Sonntag für die Seele. Das beginnt schon, als ich meine Wohnung am Prenzlauer Berg verlasse und in den 200er-Bus steige. Ich habe die allerentspannteste Busfahrt, vorbei an der wiedereröffneten Staatsoper und dann entlang endloser Baustellen. Mir kommt ein Text von Peter Fox in den Kopf, der längst zur Berlin-Hymne geworden ist: "Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau." Aber das perlt an diesem Samstagnachmittag an mir ab. Auch der Nieselregen, der mich sonst so nervt. Berlin fühlt sich einfach anders an. Schon bevor ich mein Hotel erreiche, bin ich im Urlaubs-Wohlfühl-Modus. Und das lässt mich entspannter auf diesen winterlich grauen Moloch blicken.
Der Mann mit Schlägermütze, der beim Abendbrot im "Henri" an meinem Tisch sitzt, tut das augenscheinlich auch. Er stammt aus dem alternativ-lauten Kreuzberg und hat den ganzen Tag brav auf dem Kurfürstendamm promeniert. "Das macht man ja sonst nicht", sagt er. Tja, der Berliner verlässt seinen Kiez eben nur im äußersten Notfall. Ganz oben auf der Notfall-Skala: Wochenendsause inklusive Kneipentour.
Die Sehnsucht nach dem alten, bürgerlichen Berlin hat auch ein Ehepaar aus Berlin-Mitte ins Hotel Henri getrieben. Sie sei eine "Berliner Pflanze", sagt mir die Dame mit der Hochsteckfrisur. Am Ku'damm war sie schon länger nicht mehr. Alles eine Frage der Zeit, sagt sie. 15 Minuten mit dem Bus sind ja normalerweise auch unüberwindlich, nicht wahr? Aber einmal im Jahr? Jetzt hat sie es getan, dabei das Käthe-Kollwitz-Museum und das "Hard Rock Cafe" besucht. Nur um den Breitscheidplatz machte sie einen Bogen. Sie war dort zuletzt am 19. Dezember 2016, eine Stunde vor dem Terroranschlag. Das habe ihr den Rest gegeben - für immer.
Ich genieße erstmal das Abendbrot mit Berliner Buletten, Berliner Erbsensuppe und Berliner Heringssalat. Etwas zu viel Berlin auf einmal? Stimmt, aber muss jetzt sein im Berlin-Urlaub.
Schrippen und verklärtes Gesicht
Am nächsten Morgen sitzen wieder alle am Frühstückstisch - mit Schrippen und verklärtem Gesicht. Das Frühstück dauert länger als sonst. Auch bei mir. Ich merke, ich will gar nicht mehr weg, ich will bleiben in dieser schönen Welt inmitten meiner rauen Heimatstadt. Noch ein Lachshappen, noch ein Kaffee. Ich schiebe die Zeit des Abschieds von der Aus-Zeit immer weiter hinaus.
Doch dann, nach 13.00 Uhr, ist es unabänderlich: Auschecken in die Wirklichkeit.
Kommen Sie gut nach Hause, sagt mir der Herr an der Rezeption. Es ist ja nicht so weit. Auf dem Nachhauseweg dann geschieht etwas Überraschendes. Ich spüre plötzlich eine neue Verbundenheit zu Berlin. Das erste Mal, seit ich vor eineinhalb Jahren hier hinzog, so etwas wie ein Heimatgefühl. So kann es kommen, wenn man Urlaub in der eigenen Stadt macht.
Der Aufenthalt im Henri Hotel wurde von Visit Berlin ermöglicht.