1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Sebastian Kurz und die drei Affen

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
22. Mai 2019

Der 32-jährige Kanzler in Wien wird die politische Krise wohl überleben. Vermutlich kann er am Ende sogar profitieren. Aber er hat die FPÖ salonfähig gemacht und Österreich damit dauerhaft geschadet, meint Barbara Wesel.

Bild: imago/imagebroker

Präsident Alexander Van der Bellen appelliert fast verzweifelt an den guten Willen seiner Landsleute: "Ich bitte Sie: Wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab!" Aber der tapfere Demokrat im höchsten Staatsamt kann die Spuren in der österreichischen Gesellschaft nicht löschen, die aus der Regierungskoalition von Konservativen und Rechtspopulisten entstanden sind.

Kurz ließ alles durchgehen

In der kurzen Amtszeit der unseligen Wiener Koalition hielt sich Kanzler Kurz durchgehend an die Devise der drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nicht sagen. Er ließ den Rechtspopulisten unerhörte verbale Entgleisungen und die Vorbereitungen für eine Art Machtergreifung von Rechtsaußen durchgehen. Vor allem sein längst untragbarer Innenminister Herbert Kickl gab den Kampfhund. 

Österreichs Kanzler Sebastian KurzBild: Reuters/L. Foeger

Der Minister ließ den Teil des Geheimdiensts durchsuchen, der für die Verfolgung von Straftaten der Rechtsextremen zuständig war. Die Nachbarländer stellten entsetzt die Zusammenarbeit ein, das Vertrauen war dahin. Und Kurz schaute weg. Kickl machte die Betreuungs- zu "Ausreisezentren" für Asylbewerber, und erklärte, dass man die Menschen dort "konzentrieren" wolle. Das Zitat aus dem "Wörterbuch des Unmenschen" war wie seine anderen Grenzüberschreitungen kein Versehen, sondern Absicht. Und Kurz sagte nichts.

Wie aus dem Lehrbuch baute der Rechtspopulist im Innenministerium auch seinen Einfluss auf Polizei, Nachrichtendienste und Armee aus. Noch am letzten Tag seiner Amtszeit ernannte er in schier bodenloser Frechheit einen Parteifreund zum Chef der Sicherheit. Der Coup scheiterte allein am Bundespräsidenten. Kanzler Kurz griff nicht ein. Er wandte beharrlich den Blick von den Regelverstößen des Koalitionspartners ab, weil er den Rechtsrutsch für tragbar hielt als Preis für die Macht.

Der Damm ist gebrochen

Nur 18 Monate hat es gedauert, um in Österreich das Unsagbare wieder akzeptabel zu machen. Menschen können mit Ratten verglichen, Muslime verunglimpft und unter Generalverdacht gestellt werden, der FPÖ-Nachwuchs darf eine Karikatur aus dem Nazi-Kampfblatt Stürmer abmalen. Von Nazi-Symbolen, über die Sprache des Dritten Reiches und dessen Gedankengut - alles ist wieder hoffähig geworden im Österreich des Sebastian Kurz und seiner FPÖ- Konsorten. 

Barbara Wesel ist Europa-Korrespondentin in Brüssel

Kurz schritt auch nicht ein, als die Rechten die Presse einzuschüchtern versuchten und eine Kampagne gegen den öffentlich-rechtlichen ORF entfachten. Wer mehr darüber wissen will, schaue sich einfach das Ibiza-Video an. Der Kanzler aber hat sich zum Mittäter gemacht, zum Komplizen der Rechtspopulisten, die Österreich nach ungarischem Muster "orbanisieren" und gleichzeitig den Faschismus wieder beleben wollen.

Die Russland-Connection

Für die österreichischen Rechtspopulisten ist - wie für einige ihrer europäischen Freunde - Russland das größte Ideal. Außenministerin Karin Kneissl überlebt wohl nur deshalb die Kabinettsumbildung in Wien, weil Präsident Putin auf ihrer Hochzeit mit ihr so schön Walzer tanzte. Die FPÖ ist wiederum seit Jahren mit der russischen Regierungspartei verbandelt und wie sehr sich ihre Funktionäre dortigen Oligarchen an die Brust werfen wollen, ist ebenfalls seit Ibiza glasklar.

Die Rechtsextremen bewundern Präsident Putin, weil sie sein wollen wie er: frei von lästiger Demokratie, absolute Machthaber, Herren über Leben und Tod, Ankläger und Richter, und bei alledem reich - grenzenlos reich. Macht allein genügt nicht mehr, die große Abzocke gehört dazu. 

Der Lack ist ab

Sebastian Kurz galt als große Begabung und Nachwuchsstar der österreichischen Politik. Jetzt steht er da als banaler Opportunist und rückgratlose Gestalt. Vermutlich hat er trotz allem eine politische Zukunft. Aber wie man es auch wendet: Der Lack ist ab.

"So ist Österreich nicht", sagt Bundespräsident Van der Bellen fast beschwörend. Aber Österreich ist so, sonst hätten die Umfragen für die FPÖ vor dem Skandal nicht 26 Prozent gezeigt. Und wir anderen sind auch so: Die Italiener lassen sich von Salvini überrollen, in Frankreich hat Marine Le Pens beste Aussichten und in Deutschland konnte bisher kein Skandal die Wähler der AfD erschüttern. Nicht nur Österreich, viele Länder in Europa scheinen derzeit von Vernunft und Moral weitgehend verlassen. Wie gern möchte man sich angewidert abwenden, wenn da nicht die verflixte eigene Verantwortung wäre und der Vorsatz, dass man auf keinen Fall den "Kurz" machen will.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen